Im Prinzip muss überall die Regel gelten: Je mehr man etwas übt, desto besser kann man es. Das gilt für Klavierspieler im Umgang mit ihrem Instrument genauso wie für Ärzte im Umgang mit Medikamenten. Wir wissen an unserem Haus, dass die Inzidenz an febrilen Neutropenien deutlich zurückgegangen ist und dass Komplikationen nach Chemotherapien an Zentren geringer sind. In Richtung Mortalitätsanalyse wissen wir das noch besser von chirurgischen Interventionen: In erfahrenen Händen sind Morbidität und Mortalität geringer. Es ist schon so, dass innovative Substanzen einerseits vielleicht im generellen Einsatz studiert werden müssen, um dann Outcome-Analysen durchzuführen. Andererseits haben viele der zielgerichteten Substanzen nicht gezielte Nebenwirkungen. Off-Target-Effekte, die wir bis dato nicht gekannt haben. Hier liegt die Empfehlung nahe, diese Substanzen bevorzugt in Zentren einzusetzen, die tatsächlich über eine exquisite interdisziplinäre Erfahrung verfügen. Zum einen deswegen, weil es nicht mehr einzelne Personen gibt, die alles hervorragend können. Das wäre in der inneren Medizin nicht möglich, genauso wenig in der Onkologie. Daher sollte man doch der Interdisziplinarität das Wort sprechen, indem man sagt: Erst durch Bündelung von Expertisen kommt man zu entsprechenden Schlussfolgerungen. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist Ipilimumab, eine Substanz, die aufgrund ihrer Wirkung auch Autoimmunphänomene auslösen kann, die zum Teil beträchtlich sein können, wie etwa Hypophysitis. Tritt so ein Fall ein, ist es doch vorteilhaft, einen kundigen Endokrinologen nebenan zu wissen.
Die Kostendiskussion sollte nicht auf dem Rücken der Onkologie ausgetragen werden. Es gibt aus meiner Sicht die akademische Verpflichtung, darauf hinzuweisen, wenn eine Substanz oder Intervention Vorteile hat, darüber hinausgehende Entscheidungen sind gesellschaftspolitischer Natur. Kommt die Gesellschaft zum Entschluss, dass neue Substanzen zugelassen werden, muss sie auch Entscheidungen zur Kostenrückerstattung treffen. Auf Österreich bezogen ist das Gesundheitssystem sicher gut, wenngleich aus meiner Sicht etwas zu wenig visionär. Meine Erfahrung ist die, dass wenn im Gesundheitssystem Entwicklungen vorhergesagt werden, diese dann auch stattfinden. Es sei denn, wenn man an die Bevölkerungsentwicklung denkt, dass eine unvorhersehbare Katastrophe eintritt, wie ein Krieg mit einer Dezimierung von Menschen, vor allem junger Menschen. Wenn der demografische Trend aber anhält, dann ist in Zukunft mit mehr älteren Menschen und auch mit mehr Tumorerkrankungen zu rechnen. Hier hat das Gesundheitssystem etwas wenig Phantasie. Vielleicht ein anschauliches Beispiel: Man sieht am Flughafen Wien-Schwechat beim Ankommen, wie klein dieser Flughafen ist, obwohl man immer gewusst hat, dass das Passagieraufkommen steigen wird. Wenn ein Flughafen bei steigendem Passagieraufkommen zu klein ist, müssen daraus Konsequenzen gezogen werden.
Es ist meine Überzeugung, dass wir als Wissenschafter nicht dazu da sind, Dinge zu hemmen, wenn der eine oder andere Aspekt für die Gesellschaft ökonomisch nicht akzeptabel ist. Allein die Veränderung eines einzigen Schrittes, zum Beispiel des Produktionsprozesses, kann Medikamente auch günstiger machen; d. h., es ist nicht gesagt, dass alles immer teurer werden muss, es ist aber mit den aktuellen Methoden und der derzeitigen Kalkulation eine kostenintensive Situation gegeben, weil nicht allein das Medikament, sondern auch die zugrunde liegende Forschung einbezogen wird. Tatsächlich ist die Medikamentenentwicklung in den letzten Jahren erheblich aufwändiger geworden, vor allem wegen einer Vielzahl regulatorischer Maßnahmen, die von der Gesellschaft aber auch verlangt werden, weil der Konsument dadurch geschützt ist. In Wirklichkeit zahlt die Gesellschaft die Kosten für das, was sie einmal verlangt hat, und zwar in Form unterschiedlicher Geldgeber. Man kann in dem Zusammenhang auf Entwicklungen hinweisen, es ist aber nicht die erste Aufgabe des Wissenschafters, an die Kosten zu denken, sondern daran, wie man Forschung therapeutisch nutzbringend verwendet. Sobald ein Medikament eingesetzt werden kann und eine Preisstruktur geschaffen ist, schlägt sozusagen die Stunde derer, die sagen: Wollen wir diese Innovation oder wir wollen sie nicht? Hier bin ich der festen Überzeugung, dass eine solche Entscheidung nicht allein von Ökonomen getroffen werden kann, sondern es müssen auch Patienten einbezogen werden. Andernfalls entscheidet eine Übermacht – nämlich die der biologischen Überlegenheit des informierten Gesunden – über eine vermeintliche biologische Unterlegenheit des Kranken: „Das gebe ich dir, das du haben könntest, um dein Leben gegebenenfalls zu verlängern.“ Eine grauenhafte Vorstellung, die aber stattfindet, und nichts anderes als ein darwinistisches Konzept der Überlegenheit der Ökonomie, die von Gesunden verwendet wird gegen Leute, die krank sind.