Risiko-Klassifikation im Zeitalter neuer Therapien Zytogenetik beim multiplen Myelom

International Staging System (ISS)

Die International Myeloma Working Group hat versucht, durch Verwendung von Standard-Laborparametern ein einfaches prognostisches System zu definieren, welches schließlich als ISS publiziert wurde (Greipp et al., J Clin Oncol 2005). Dies beruht auf den beiden Serumparametern Albumin und Beta-2-Mikroglobulin und unterscheidet 3 Stadien, die durch signifikant unterschiedliche Überlebenszeiten (sowohl bei konventioneller Chemotherapie als auch autologer Stammzelltransplantation) gekennzeichnet sind. Dieses System inkludiert jedoch nicht neue Parameter einschließlich relevanter zytogenetischer Veränderungen, welche anhand rezenter Daten die prognostische Information noch wesentlich verfeinern lassen.

Risikomodell anhand genetischer Faktoren

Anhand von Daten aus Therapiestudien wurden chromosomale Parameter mit bedeutsamer prognostischer Information identifiziert. Die Myelom-Gruppe an der Mayo-Klinik (Rochester, USA) hat versucht, diese Information in ein Risikomodell zu integrieren (sog. mSMART-Kriterien); dieses Modell wurde kürzlich aktualisiert und modifiziert, da sich aufgrund neuester Daten nun Patientengruppen mit Standard-, intermediärem und hohem Risiko identifizieren lassen (Tab.). Etwa 15 % der Patienten entsprechen dabei bei Diagnosestellung der Hochrisiko-Gruppe. Diese ist vor allem durch die genetischen Veränderungen t(14;16), t(14;20) und Deletion 17p (mit Verlust des p53-Gens) definiert; diese können beim MM praktisch nur in der FISH-Analyse zuverlässig nachgewiesen werden. Die negative prognostische Bedeutung der t(4;14) sowie der Deletion 13q (Nachweis mittels Metaphasen-Zytogenetik) hat sich durch die Behandlung mit Bortezomib-basierter Therapie abgeschwächt – daher die Klassifikation als intermediäres Risiko. Die Mayo-Klinik inkludiert auch Patienten mit gesteigerter Zellproliferation (anhand des sog. Labelling- Index) in der Gruppe mit intermediärem Risiko, dieser Parameter wird in Europa aber nicht routinemäßig bestimmt (bei uns wird häufiger die Ki-67 Wachstumsfraktion (MIB-1) erfasst). Patienten, welche die genannten zytogenetischen Parameter nicht aufweisen, bilden die sog. Standardrisiko-Gruppe. Dazu gehört auch die Translokation t(11;14), die in manchen Studien mit langer Überlebenszeit korreliert wurde (insbesondere mit niedrigem Beta-2-Mikroglobulin).

Stellenwert neuer Substanzen bei Hochrisikopatienten

Es liegen zunehmend Hinweise vor, dass die ungünstige Prognose von Patienten mit Hochrisiko-Zytogenetik durch Bortezomib und – zumindest teilweise – durch Lenalidomid überkommen werden kann. Für Bortezomib konnte bereits im Setting des rezidivierten und refraktären MM gezeigt werden, dass das Vorliegen einer Chromosom-13-Deletion die ungünstige prognostische Relevanz verliert. Diese Daten wurden nun durch Studienergebnisse aus der Erstlinienbehandlung erweitert. Besonders relevant sind die Ergebnisse der sog. VISTA-Studie (VMP [Velcade, Melphalan/Prednison] versus MP für unbehandelte MM-Patienten, die nicht für eine Stammzelltransplan – tation qualifizieren). Der Vorteil hinsichtlich Ansprechraten und Überlebenszeit unter Therapie mit VMP betrifft MMPatienten sowohl mit Hochrisiko- Zytogenetik (Translokation t(4;14), t(14;16), Deletion 17p) als auch mit Standardrisiko (Fehlen dieser Aberrationen).


Eine IFM-Studie zeigt den Vorteil Bortezomib+ Dexamethason gegenüber VAD in der Induktionstherapie vor autologer Stammzelltransplantation. Dies betrifft auch Patienten mit der Trans – lokation t(4;14) (Abb. 1), während die ungünstige Prognose für Patienten mit Deletion 17p auch unter Behandlung mit Bortezomib/Dexamethason bestehen bleibt.
Ganz aktuelle Daten liegen für Lenalidomid als Erhaltungstherapie nach autologer Stammzelltransplantation vor (2 Studien beim ASH-Meeting 2010 dokumentierten den günstigen Effekt im Sinne einer Verlängerung der progressionsfreien Zeit). In der französischen Studie wurde dabei auch eine Analyse verschiedener Risikogruppen durchgeführt. Es konnte gezeigt werden, dass auch Patienten mit ungünstigen Faktoren (erhöhtes Beta-2- Mikroglobulin, Deletion 13q) von einer Lenalidomid-Erhaltungstherapie profitieren (Abb. 2).

Schlussfolgerung

Es ist heute gut etabliert, dass beim multiplen Myelom Risikopatienten mit entsprechenden Labor- und zytogenetischen Analysen erfasst werden können. Die herkömmlichen Prognosemodelle, welche aufgrund von auf Chemotherapie basierenden Daten erstellt wurden, bedürfen im Zeitalter der sog. neuen Substanzen einer ständigen Re-Evaluation. Gerade MM-Patienten mit einer t(4;14) profitieren von einer Bortezomib-hältigen Therapie, wodurch eine Verbesserung der ursprünglich sehr ungünstigen Prognose erreicht werden konnte. Unklar bleibt weiterhin, welcher Therapieansatz für Patienten aus der Hochrisikopopulation (insbesondere Patienten mit Deletion 17p) zu empfehlen ist.