Das hepatozelluläre Karzinom (HCC) ist eine chronische Lebererkrankung – in über 90 % der Fälle entsteht das HCC in der westlichen Welt auf dem Boden einer Leberzirrhose. Das Risiko eines Leberzirrhotikers, an einem HCC zu erkranken, steigt mit der Dauer der Lebererkrankung und liegt laut internationalen Studien zwischen 2–4 % pro Jahr. Neben der Hepatitis-B- und -C-assoziierten Leberzirrhose wurden zunehmend Arbeiten publiziert, die eine Assoziation zwischen HCC und der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung auch im nichtzirrhotischen Stadium belegen.
Das Management und die Prognose des HCC wird ganz wesentlich von der Leberzirrhose und ihren Komplikationen, insbesondere denen der portalen Hypertension, bestimmt. Vor diesem Hintergrund ist es naheliegend, dass jede therapeutische Intervention bei einer malignen Lebererkrankung immer im Gesamtkonzept gesehen werden muss und nicht auf eine rein tumorzentrierte Therapie reduziert werden kann.
Zahlreiche Stadieneinteilungen für das HCC wurden in der Literatur diskutiert. Das American Joint Committee on Cancer/ Union internationale Centre le cancer Tumor-Node-Metastasis staging Sys – tem (AJCC/UICC TNM) stratifiziert die Patienten aufgrund morphologischer Tumorcharakteristika. Allerdings berücksichtigt dieses System keine Parameter hinsichtlich des Stadiums der zugrunde liegenden Lebererkrankung, insbesondere Komplikationen der portalen Hypertonie, die ganz wesentlich für die Prognose von HCC-Patienten von Bedeutung sind. Die Okuda-Kriterien und die Cancer of the Liver Italien Program (CLIP) Klassifikationen beinhalten sowohl tumor- als auch leberspezifische Variablen, jedoch konnten sich beide Systeme in der Praxis aus verschiedensten Gründen nicht durchsetzen. Insbesondere sind dies Prognosesysteme, die keine Hilfe in der Therapieentscheidung bieten.
Die 1999 erstmals vorgestellten Barcelona- Kriterien (Barcelona Clinic Liver Cancer [BCLC] Staging System) wurden in zahlreichen Studien hinsichtlich ihrer Praktikabilität sowie prognostischen Validität bestätigt und gelten daher als Goldstandard. Das BCLC-Staging System (Abb.) beinhaltet sowohl tumorspezifische Kriterien (Tumorgröße, Anzahl der Herde, Gefäßinvasion) wie auch patienten- (WHO Performance Status) und leberbezogene Parameter (Child-Pugh Score). Patienten werden anhand der oben genannten Kriterien in ein „sehr frühes“, „frühes, „intermediäres“, „fortgeschrittenes“ und „terminales“ Stadium eingeteilt.
Für Patienten im „sehr frühen“ Stadium wie auch bei Vorliegen einer nichtzirrhotischen Lebererkrankung wird die Leberresektion empfohlen. Der ideale Patient zur Resektion, der in einer Studie der Barcelona-Klinik vor mehr als 10 Jahren definiert und evaluiert wurde, präsentiert sich in einem frühen Tumorstadium (ein Herd < 2 cm), mit unauffälliger Lebersynthese (Child Pugh A, normales Bilirubin) und ohne Hinweis auf eine portale Hypertension (keine Ösophagusvarizen, normaler hepatovenöser Druckgradient [HVPG]). Allerdings liegt der Prozentsatz dieser Patienten bei Erstdiagnose des HCC unter 10 %. Zudem ist die Resektabilität von HCC sehr häufig durch eine reduzierte funktionelle Reserve der zirrhotischen Restleber limitiert. Obwohl die mittelfristige Prognose nach Leberresektion mit einem 5-Jahres-Überleben von etwa 70 % ausgezeichnet ist, stellt das Tumorrezidiv (> 50 % nach 5 Jahren) eine wesentliche Limitation im Langzeitverlauf dar. Berichte über eine so genannte „Rescue-Lebertransplantation“, d. h. Transplantation bei Auftreten eines Rezidivs nach Resektion, sind hinsichtlich Effektivität und Langzeitprognose widersprüchlich.
Die Lebertransplantation stellt die einzig kurative Therapieoption für Patienten mit einem HCC dar, da mit dem Ersatz der zirrhotischen Leber auch die Präkanzerose geheilt wird. Diese Therapieoption wird im BCLC-System für Patienten im „frühen“ Stadium, d. h. für Patienten mit frühem Tumorstadium (ein bis maximal drei Herde < 3 cm) und einem Child-Pugh-Score von entweder A oder B, empfohlen. Voraussetzung für die erfolgreiche Heilung des HCC mittels Transplantation ist ganz wesentlich die Diagnose und Therapie im frühen Tumorstadium und weniger der Grad der Lebererkrankung. Patienten mit einem Tumor < 5 cm oder drei Herden < 3 cm (Mailand- Kriterien) gelten als optimale Kandidaten. Exzellente Überlebensraten von > 70 % nach 5–10 Jahren wurden von zahlreichen Zentren berichtet. Bedingt durch die weltweit deutlich zunehmenden Wartezeiten stellt die Tumorprogression während dieser Periode ein bedeutendes Problem dar. Daher werden in den meisten Zentren überbrückende lokale Therapieverfahren angewendet. Anders als im BCLC-System sollte auch für Patienten mit fortgeschrittener Lebererkrankung (Child-Pugh C) und einem HCC innerhalb der Mailand-Kriterien eine Lebertransplantation vorgesehen werden.
Die Radiofrequenzablation (RFA) wie auch perkutane Alkoholinstillation (PEI), die insbesondere bei Kontraindikationen für eine Resektion oder Lebertransplantation bei Patienten im „early“ Stadium zur Anwendung kommen, gelten ebenfalls als potenziell kurative Therapieansätze, da sie in einem hohen Prozentsatz zu einer kompletten Tumornekrose führen. Rezente Studien bestätigten, dass die RFA der PEI hinsichtlich Antitumoreffektivität und Gesamtüberleben (5-Jahres- Überleben um 50 %) überlegen ist. Auch bei diesen Verfahren ist der Langzeittherapieerfolg jedoch durch Rezidivraten von über 70 % nach 5 Jahren limitiert. Erste prospektiv erhobene Daten randomisierter Studien aus Asien ergaben, dass die RFA der Leberresektion in puncto Effektivität und Überleben gleichwertig zu sein scheint. Diesbezüglich sind jedoch noch weitere prospektive, randomisierte Studien vor allem auch aus dem europäischen und amerikanischen Raum abzuwarten.
Hinsichtlich palliativer Therapieoptionen, die für Patienten im „intermediärem“ Stadium vorgesehen sind, stellt die transarterielle Chemoembolisation (TACE) bei Patienten mit fortgeschrittenem Tumorstadium die Therapie der Wahl dar. Die lebensverlängernde Effektivität der TACE konnte in zwei großen prospek-
tiven kontrollierten Studien sowie in einer Metaanalyse bestätigt werden. Die Radioembolisation mit 90Yttrium (SIRT) stellt eine interessante Alternative zur TACE dar. Im Gegensatz zur TACE kann die SIRT auch bei (maligner) Pfortaderthrombose (PVT) angewendet werden. Erste Ergebnisse prospektiver Phase-IIStudien wurden im letzten Jahr präsentiert. Abhängig vom Child-Pugh-Stadium und dem Vorhandensein einer PVT wurde von medianen Überlebenszeiten zwischen 5 (PVT ± Child B) und 17 Monaten (Child A + keine PVT) berichtet. Die Zeit zur Tumorprogression (TTP) lag bei etwa 8–11 Monaten. Obwohl diese ersten Ergebnisse zu SIRT erfolgversprechend sind, ist der direkte Vergleich mit der TACE zur exakten Beurteilung des Stellenwerts der 90Yttrium-Therapie unerlässlich. Eine europäische Multicenter- Studie steht diesbezüglich kurz vor ihrem Beginn.
Das HCC ist hinsichtlich der molekularbiologischen Perspektive ein komplexer Tumor. Fortschritte im Verständnis der Hepatokarzinogenese führten zu neuen Therapieansätzen beim HCC und zum Einsatz von Substanzen aus der Klasse der molekularen, gezielten („targeted“) Therapeutika (siehe Beitrag von C. Müller, Seite 36 dieser Ausgabe). Auf der Basis einer 2008 publizierten internationalen, randomisierten multizentrischen (SHARP) Studie stellt der Multikinaseinhibitor Sorafenib den Therapiestandard für Patienten mit fortgeschrittenem (PVT, metastasierend) Tumorstadium („fortgeschrittenes“ Stadium) dar. In dieser Studie führte Sorafenib im Vergleich zu Placebo zu einer signifikanten Verbesserung des medianen Überlebens (10,7 vs. 7,9 Monate) und der medianen Zeit zur Tumorprogression (5,5 vs. 2,8 Monate). Die Verträglichkeit von Sorafenib war gut, nur selten kam es zu schwerwiegenden Nebenwirkungen, im Besonderen Diarrhoe und Hand-Fuß-Syndrom. Allerdings wurden in der SHARP-Studie nur Patienten mit kompensierter Leberzirrhose (Child-Pugh A) inkludiert. Eine retrospektive Analyse aus Österreich zeigte zudem, dass nur Patienten mit (partiell) kompensierter Leberzirrhose (Child-Pugh A/maximal B) von einer Sorafenib-Therapie profitieren. Zahlreiche weitere Substanzen aus der Klasse der „targeted therapies“ werden in laufenden Studien mit Sorafenib in ihrer Wirksamkeit untersucht. Dass Kombinationstherapien von Vorteil sind, konnte noch nicht gezeigt werden. Die zumeist vorliegende Leberzirrhose mit eingeschränkter Leberfunktion stellt den wesentlichen limitierenden Faktor hinsichtlich Verträglichkeit und Effektivität dieser Substanzen dar. Nur selten können die Substanzen in der Standarddosierung anderer Tumorentitäten beim HCC verabreicht werden. In laufenden Phase-III-Studien wird der mögliche (neo)adjuvante Effekt von Sorafenib in Kombination mit chirurgischen und lokalablativen Therapieverfahren untersucht. Erste Ergebnisse werden mit Spannung in Kürze erwartet.
Für Patienten mit fortgeschrittenem Tumor- wie auch Lebererkrankung („terminales“ Stadium) stehen keine effektiven, lebensverlängernden Therapieoptionen zur Verfügung, und es wird eine symptomatische Behandlung (best supportive care) empfohlen. Es muss nochmals darauf hingewiesen werden, dass im Gegensatz zu den BCLC-Empfehlungen die Lebertransplantation für Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose (Child- Pugh C) und einem Tumorstadium innerhalb der Mailand-Kriterien in Erwägung zu ziehen ist. Ergebnisse einer rezenten österreichischen Studie zeigten, dass das Langzeitüberleben dieser Patienten vergleichbar mit Child-Pugh-A- und -B-Patienten ist.
FACT-BOX
• Das Management und die Prognose des HCC wird ganz wesentlich von der Leberzirrhose und ihren Komplikationen, insbesondere denen der portalen Hypertension, bestimmt. Daher muss die Therapie des HCC immer im Gesamtkonzept Tumor- und Lebererkrankung gesehen werden.
• Die Lebertransplantation ist die einzig kurative Therapie, da sowohl die maligne Erkrankung als auch die zugrunde liegende Präkanzerose – Leberzirrhose – gleichzeitig behandelt wird. Daher sollte primär die Transplantation in Erwägung gezogen werden. Bei Kontraindikationen stellen die Resektion und Radiofrequenzablation Therapiealternativen im frühen Tumorstadium dar.
• Im fortgeschrittenen Stadium des HCC stehen mit der transarteriellen Chemoembolisation und im metastasierten Stadium mit dem Multikinaseinhibitor Sorafenib jeweils Therapieoptionen zur Verfügung, die in prospektiven Studien ihre Effektivität beweisen konnten.
Literatur beim Verfasser