Eine medizinische Maßnahme, auch wenn sie lege artis durchgeführt wurde, ist ohne Einwilligung oder gegen den Willen des Patienten grundsätzlich rechtswidrig. Ist der Patient einsichtsund urteilsfähig, entscheidet er selbst über die Zulässigkeit einer medizinischen Behandlung. Lediglich in medizinischen Notfallsituationen kann eine lebensrettende Maßnahme ohne Einwilligung des Patienten erfolgen. Dies ist aber auch nur dann zulässig, wenn nicht genügend Zeit ist, um einen möglichen gesetzlichen Vertreter des Patienten zu kontaktieren bzw. einen gesetzlichen Vertreter zu beantragen.1
Hat der Patient allerdings bereits vor diesem medizinischen Notfall rechtswirksam die Behandlung verweigert (z. B. in Form einer Patientenverfügung), darf auch in einer lebensbedrohlichen Situation nicht gegen den Willen des Patienten behandelt werden. Es ist nicht erforderlich, dass der Patient Gründe für die Ablehnung angibt, er kann sogar auch lebensnotwendige Maßnahmen verweigern. Das bedeutet, dass der Patient ein uneingeschränktes Vetorecht hat. Dieses Selbstbestimmungsrecht umfasst nicht nur die Entscheidung über medizinische Behandlungen im engeren Sinn, sondern auch die Entscheidung über eine lebenserhaltende „Basisversorgung“ einschließlich der künstlichen Ernährung.2
Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahren zwei wichtige Instrumente zur antizipierten Selbstbestimmung geschaffen: die Patientenverfügung und die Vorsorgevollmacht. Gemeinsam ist beiden Instrumenten, dass der Patient bei der Errichtung der Patientenverfügung oder der Vorsorgevollmacht einsichts- und urteilsfähig sein muss. Ist er dies nicht, stehen diese rechtlichen Möglichkeiten nicht zur Verfügung, und der Arzt oder der Träger der Krankenanstalt muss bei Gericht einen Sachwalter beantragen. In bestimmten Fällen, d. h. wenn nur kleinere medizinische Eingriffe bevorstehen, kann das rechtliche Instrument der Vertretungsbefugnis der nächsten Angehörigen weiterhelfen.
Im Folgenden wird dargestellt, wie eine Patientenverfügung errichtet wird, welche Formen es gibt und welche Vor- und Nachteile sie hat.
Eine Patientenverfügung ist eine Willenserklärung, mit der ein Patient eine bestimmte medizinische Behandlung ablehnt und die dann wirksam werden soll, wenn er zum Zeitpunkt der Behandlung nicht einsichts-, urteils- oder äußerungsfähig ist.
Wie bereits erwähnt, muss der Patient bei der Errichtung einer Patientenverfügung einsichts- und urteilsfähig sein. Es genügt allerdings, wenn die Einsichts- und Urteilsfähigkeit lediglich zum Zeitpunkt der Errichtung vorliegt.3 Der Patient muss bei Verfassung seiner Willenserklärung in der Lage sein, den Grund und die Bedeutung der von ihm abgelehnten Behandlung einzusehen. Darüber hinaus muss er aber auch über die Fähigkeit verfügen, seinen Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen. 4
Bei Vorliegen der Einsichts- und Urteilsfähigkeit steht aber das Vorhandensein eines Sachwalters der Errichtung der Patientenverfügung durch den Patienten nicht entgegen.
Wenn der Patient zum Zeitpunkt der medizinischen Behandlung noch eine autonome Entscheidung treffen und diese auch artikulieren kann, gilt seine aktuelle Entscheidung. Diese geht einer in Form einer Patientenverfügung gekleideten Willenserklärung vor.
Der Patient kann durch eine Patientenverfügung die ihm aufgrund besonderer Rechtsvorschriften auferlegten Pflichten sich einer Behandlung zu unterziehen, nicht einschränken. Eine sich aus einer solchen besonderen Bestimmung ergebende Behandlungspflicht bleibt in vollem Umfang bestehen und kann daher weder aktuell noch in Form einer Patientenverfügung abgelehnt werden. So können Patienten mittels Patientenverfügung eine zwangsweise freiheitsbeschränkende Maßnahme nach dem UbG oder dem HeimAufG nicht einschränken oder ablehnen.
Das PatVG unterscheidet die verbindliche von der beachtlichen Patientenverfügung. Eine Patientenverfügung ist nur dann verbindlich, wenn sie bestimmte inhaltliche Voraussetzungen und die entsprechenden Errichtungsvorschriften erfüllt. In einer verbindlichen Patientenverfügung müssen die medizinischen Behandlungen, die Gegenstand der Ablehnung sind, konkret beschrieben sein oder eindeutig aus dem Gesamtzusammenhang der Verfügung hervorgehen. Weiters bedarf es einer zwingenden ärztlichen Aufklärung und der Errichtung vor einem Notar, Rechtsanwalt oder Patientenanwalt. Durch diese hohen Anforderungen soll gewährleistet werden, dass der Patient eine wohl überlegte, ernsthafte Entscheidung trifft.
Eine Patientenverfügung, die nicht alle Voraussetzungen der inhaltlichen und formellen Kriterien einer verbindlichen Patientenverfügung aufweist, stellt eine beachtliche Patientenverfügung dar, die eine Orientierungshilfe für die Ermittlung des Willens des Patienten darstellt. Der Gesetzgeber hat für die beachtliche Patientenverfügung keine Mindesterfordernisse aufgestellt, sodass auch mündliche und konkludente Willenserklärungen, mit denen Behandlungen abgelehnt werden, darunterfallen. Die beachtliche Patientenverfügung ist bei der Ermittlung des Patientenwillens umso mehr zu beachten, je eher sie die Voraussetzungen einer verbindlichen Patientenverfügung erfüllt. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, inwieweit der Patient die Krankheitssituation, auf die sich die Patientenverfügung bezieht, sowie deren Folgen zum Errichtungszeitpunkt einschät – zen konnte. Entscheidend ist auch, wie konkret die abgelehnten medizinischen Behandlungen beschrieben sind, wie umfassend eine der Errichtung vorangegangene ärztliche Aufklärung war, inwieweit die Verfügung von den Formvorschriften für eine verbindliche Patientenverfügung abweicht, wie häufig die Patientenverfügung erneuert wurde und wie lange die letzte Erneuerung zurückliegt.
Die Bezeichnung oder die Absichtserklärung eines Patienten, eine verbindliche Patientenverfügung zu errichten, sagt noch nichts über die tatsächliche Form der Patientenverfügung aus. Der Arzt ist in jedem Fall verpflichtet, zu prüfen, ob eine verbindliche oder eine beachtliche Patientenverfügung vorliegt.
Bestimmtheit: Eine Patientenverfügung ist nur dann verbindlich, wenn die medizinische Behandlung, die Gegenstand der Ablehnung ist, konkret beschrieben wird oder eindeutig aus dem Gesamtzusammenhang der Patientenverfügung hervorgeht. Durch diese hohen Anforderungen soll sichergestellt werden, dass der Patient eine wohl überlegte, ernsthafte Entscheidung trifft. Die Patientenverfügung kann nur dann verbindlich sein, wenn die angenommene Situation der später tatsächlich eintretenden entspricht. Es ist nicht erforderlich, dass eine detaillierte Aufzählung aller möglichen Fälle vorliegt, in denen bestimmte Maßnahmen unterbleiben sollen. Vielmehr muss aus dem Gesamtzusammenhang der Patientenverfügung hervorgehen, welche medizinischen Behandlungen abgelehnt werden.
Folgeneinschätzung: Weiters muss aus der Patientenverfügung hervorgehen, dass der Patient die Folgen der Patientenverfügung zutreffend einschätzt. Dies hat vor allem der aufklärende Arzt zu dokumentieren.
Ärztliche Aufklärung: Eine weitere inhaltliche Voraussetzung für eine verbindliche Patientenverfügung ist eine um – fassende ärztliche Aufklärung vor der Errichtung. Diese Aufklärung ist unverzichtbar. Sie muss Informationen über Wesen und Folgen der Patientenverfügung für die medizinische Behandlung beinhalten. Der Umfang und die Intensität richten sich nach den allgemeinen Grundsätzen des „informed consent“. Je gravierender die Folgen einer Ablehnung sind, umso intensiver wird der Arzt über diese aufklären müssen. Der aufklärende Arzt hat die Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Patienten zu überprüfen und diese bei Vorliegen unter Angabe seines Namens und seiner Anschrift durch eigenhändige Unterschrift zu dokumentieren. Insbesondere muss er darlegen, dass der Patient die Patientenverfügung zutreffend einschätzt. Als einen Grund für eine folgenrichtige Einschätzung nennt der Gesetzgeber demonstrativ eine frühere oder aktuelle Erklärung des Patienten oder eines nahen Angehörigen. Die zutreffende Einschätzung der Folgen der Patientenverfügung kann sich aber auch aus vergleichbaren Umständen ergeben, etwa wenn der Patient selbst über lange Zeit mit bestimmten Krankheitsbildern beruflich zu tun hatte und für sich selbst eine solche Behandlung nicht will oder wenn er eine ganz bestimmte Behandlungsmethode aus religiösen Gründen ablehnt.
Eine Patientenverfügung ist verbindlich, wenn sie schriftlich unter Angabe des Datums vor einem Rechtsanwalt, einem Notar oder einem rechtskundigen Mitarbeiter der Patientenvertretungen5 errichtet wurde und der Patient über die Folgen der Patientenverfügung sowie die Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs belehrt worden ist. Der Rechtsanwalt, Notar oder rechtskundige Mitarbeiter der Patientenvertretungen hat die Vornahme dieser Belehrung in der Patientenverfügung unter Angabe seines Namens und seiner Anschrift durch eigenhändige Unterschrift zu dokumentieren. Für den Fall, dass der Errichtende wegen eines körperlichen Gebrechens nicht in der Lage ist, zu unterschreiben (z. B. ein ALSPatient), reicht ein gerichtlich oder notariell beglaubigtes oder vor zwei Personen gesetztes „Handzeichen“ (z. B. drei Kreuze) aus. Im letzten Fall muss einer der beiden Zeugen den Namen des Patienten unterfertigen. Kann der Patient nicht einmal ein Handzeichen setzen, besteht die Möglichkeit der Errichtung eines speziellen Notariatsaktes.
Mit dem Erfordernis der Errichtung der Patientenverfügung vor einer rechtskundigen Person soll vor allem sichergestellt werden, dass die Verfügung in ihrer Formulierung auch verständlich ist und den Anforderungen des Gesetzes entspricht.
Das PatVG legt fest, dass eine Patientenverfügung nach Ablauf von fünf Jahren ab der Errichtung ihre Verbindlichkeit verliert, es sei denn, der Patient hat eine kürzere Frist bestimmt. Nach Erneuerung der Patientenverfügung beginnt die Frist von fünf Jahren neu zu laufen. Eine Erneuerung ist nur nach neuerlichem ärztlichen Aufklärungsgespräch und unter Einhaltung aller formellen Voraussetzungen möglich.
Eine Patientenverfügung verliert jedoch nicht ihre Verbindlichkeit, solange sie der Patient mangels Einsichts-, Urteils- oder Äußerungsfähigkeit nicht erneuern kann.
Eine Patientenverfügung ist dann unwirksam, wenn sie der Patient selbst widerruft oder zu erkennen gibt, dass sie nicht mehr wirksam sein soll (z. B. Zerreißen durch Patienten, Einwilligung in die abgelehnte Maßnahme). Der Patient kann die Patientenverfügung jederzeit formfrei widerrufen. Für den Widerruf ist die Einsichts- und Urteilsfähigkeit nicht erforderlich. Eine gewisse – wenn auch bloß eingeschränkte – Fähigkeit zur Willensbildung wird aber dennoch zu verlangen sein.
Fraglich ist, inwieweit ein Widerruf höchstpersönlich erfolgen muss. Reicht es aus, wenn die Angehörigen glaubhaft darlegen können, dass der betroffene Patient eindeutig zu erkennen gegeben hat, dass er die Patientenverfügung widerruft? Hinsichtlich der Errichtung hat der Gesetzgeber ausdrücklich festgelegt, dass die Patientenverfügung nur höchstpersönlich errichtet werden kann. Dies legt er beim Widerruf nicht fest. Er spricht lediglich davon, dass der Patient selbst widerruft oder zu erkennen gibt, dass die Patientenverfügung nicht mehr wirksam sein soll. Weiters stellt sich die Frage, ob im Rahmen einer Patientenverfügung der Patient das Widerrufsrecht ausschließen kann. Dies ist m. E. ohnedies unbeachtlich, da durch einen neuerlichen Widerruf auch der Ausschluss der Widerrufbarkeit aufgehoben werden kann.
Eine Patientenverfügung ist auch dann nicht mehr wirksam, wenn sich seit dem Zeitpunkt der Errichtung oder der letzten Erneuerung die Medizin so wesentlich geändert hat, dass die ursprünglich erfolgte Aufklärung des Patienten nicht mehr ausreichend war, um die nun zu beurteilende medizinische Entscheidung abzudecken. Nicht jede Änderung der Medizin führt dazu, dass eine Patientenverfügung unwirksam wird. Es handelt sich dabei nur um wesentliche Änderungen, aufgrund deren man davon ausgehen kann, dass der Patient unter diesen Umständen die Behandlung nicht abgelehnt hätte. Der Gesetzgeber lässt offen, ob der Patient diesen Grund, der seine Patientenverfügung unwirksam macht, ausdrücklich ausschließen kann, indem er sich in der Patientenverfügung auf eine mögliche neue Entwicklung im medizinischen Bereich bezieht und deutlich klarlegt, dass dies keinen Einfluss auf seine Entscheidung hat. Nach den Gesetzesmaterialien ist die Patientenverfügung jedenfalls dann unwirksam, wenn sich seit dem Zeitpunkt der Errichtung der Fortschritt der Medizin derart wesentlich geändert hat, dass die ursprünglich erfolgte Aufklärung des Patienten nicht mehr ausreichend ist, um die in der Patientenverfügung zu beurteilende medizinische Entscheidung abzudecken.
Wurde die Patientenverfügung nicht frei, nicht ernstlich erklärt6 oder durch Irrtum7, List, Täuschung oder durch physischen oder psychischen Zwang8 veranlasst, ist sie unwirksam. Bei diesen Kriterien handelt es sich um Umstände, die allgemein für das Vorliegen einer zivilrechtlich wirksamen Willenserklärung gefordert werden. Ergeben sich aus der Verfügung selbst oder aus anderen Umständen Hinweise, dass einer dieser Mängel bei der Errichtung vorlag (z. B. Täuschung), ist die Patientenverfügung unwirksam. So wie im ABGB kommt auch hier die Vertrauenstheorie zur Anwendung. Grundsätzlich darf sich der behandelnde Arzt darauf verlassen, dass die Erklärung in der Patientenverfügung auch dem Willen des Patienten entspricht. In der Regel weiß der behandelnde Arzt nicht, unter welchen Umständen die Patientenverfügung zustande gekommen ist. Der Arzt kann aber nicht auf die Wirksamkeit vertrauen, wenn ihm konkrete Hinweise auf Willensmängel vorliegen oder andere Umstände bestehen, die daran zweifeln lassen, dass die Patientenverfügung nicht dem tatsächlichen freien (wahren) Willen des Patienten entspricht.
Eine Patientenverfügung ist dann unwirksam, wenn das verlangte Verhalten strafrechtlich verboten (z. B. Wunsch nach aktiver Sterbehilfe) oder sonst unzulässig ist (Anordnung von nicht indizierten Behandlungsmaßnahmen).
Eine Patientenverfügung ist eine antizipierte Willenserklärung, die empfangsbedürftig ist. Sie kann nur dann eine rechtliche Wirkung hervorrufen, wenn sie in die Sphäre des Adressaten (des behandelnden Arztes) gelangt. Zugegangen ist die Erklärung, sobald sie in den Machtbereich des Empfängers gelangt, sodass er sich unter normalen Umständen von ihrem Inhalt Kenntnis verschaffen kann. Dies ist dann der Fall, wenn die Patientenverfügung in der Krankengeschichte dokumentiert ist. Nach § 10 Abs. 1 Z 7 KAKuG sind die Krankenanstalten verpflichtet, bei der Führung der Krankengeschichte Patientenverfügungen des Pfleglings zu dokumentieren.
Ein großer Kritikpunkt beim Patientenverfügungsgesetz ist das Fehlen einer zentralen Dokumentation. So wäre ein zentrales Register denkbar, bei dem die Verpflichtung von Seiten der Ärzte bestünde, (vgl. Widerspruchsregister bei Organentnahme). Hier besteht klarer Handlungsbedarf von Seiten des Gesetzgebers, „damit Ärzte möglichst rasch und einfach vom Vorliegen einer Patientenverfügung Kenntnis erlangen können“.9
Es bestehen bereits unterschiedliche Register von den Rechtsanwälten und Notaren, die allerdings zu mehr Unsicherheit führen, weil der Patient oft irrtümlich glaubt, dass dadurch die Zugänglichkeit seiner Patientenverfügung sichergestellt ist. Ähnliche Unsicherheit besteht, wenn der Patient mehrere Exemplare (bzw. Kopien) ausgestellt hat. Problematisch ist vor allem die Situation, wenn der Patient das Original der Patientenverfügung vernichtet hat und die Kopie sich noch in der Krankengeschichte der Anstalt befindet. Auch hier könnte durch eine zentrale Registrierung mehr Sicherheit geschaffen werden.
Gemäß § 12 PatVG kann in Notfällen eine medizinische Notfallversorgung durchgeführt werden, sofern der mit der Suche nach einer Patientenverfügung verbundene Zeitaufwand das Leben oder die Gesundheit des Patienten ernsthaft gefährdet. Ist aber in der Notfalleinrichtung oder in einer anderen Versorgungseinrichtung die Patientenverfügung bekannt, muss diese zwingend beachtet werden. Lediglich die Suche nach einer möglichen Patientenverfügung darf nicht zu einer Verzögerung einer Behandlung in einer akut lebensbedrohlichen Situation führen. Da aber die Krankenanstalten verpflichtet sind, Vormerkungen über die wichtigsten Personaldaten von Patienten zu führen, was eine Durchsicht der Papiere bei nicht äußerungsfähigen Patienten voraussetzt, kann eine Hinweiskarte auf eine Patientenverfügung hilfreich sein. Ob diese Patientenverfügung dann auch tatsächlich beachtet werden muss, hängt von den näheren Umständen ab, nämlich wie der Arzt letztlich an die Patientenverfügung gelangen kann.
Fraglich ist, inwieweit aus § 12 PatVG der Gegenschluss gezogen werden kann, dass der Arzt, außer in Notfällen, verpflichtet ist, nach einer Patientenverfügung zu suchen.10 Dies wird wohl nur in einem dem Arzt zumutbaren Maße zu fordern sein. Keinesfalls kann es eine Verpflichtung geben, dass der Arzt außerhalb der Krankenanstalt Nachforschungen vornehmen muss. Da es im Gegensatz zum Widerspruchsregister auch keine gesetzliche Registrierungsmöglichkeit gibt, besteht für den Arzt auch keine Verpflichtung, in den derzeit einzeln angebotenen Registern nachzuschauen. Eine Verpflichtung kann sich lediglich aus dienstrechtlichen Vorschriften ergeben. Ein Mitsichführen der Hinweiskarte vonseiten des Patienten kann hilfreich sein, kann aber den Arzt auch nicht verpflichten, weitere Nachforschungen außerhalb der Krankenanstalt vorzunehmen.
Bei Vorliegen einer Patientenverfügung ist diese zu berücksichtigen.11 Allerdings wird man vom Arzt in einer akuten Situation auch nicht erwarten können, dass er eine intensive Prüfung der Gültigkeitsvoraussetzungen im Einzelnen vornehmen muss. Ergibt eine erste grobe Prüfung, dass die Patientenverfügung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gültig ist, kann der Arzt die notwendige Notfallversorgung vornehmen. Spricht aber die erste Prüfung dafür, dass es sich um eine für die bevorstehende Behandlung verbindliche Patientenverfügung handelt, darf der Arzt die Notfallbehandlung nicht durchführen, sondern muss die Voraussetzungen der Patientenverfügung weiter prüfen.
Inhalt der Patientenverfügung kann – wie schon oben erwähnt – nur eine Ablehnung bestimmter medizinischer Behandlungen sein. In manchen Fällen kann aber eine Ablehnung mehrerer Maßnahmen im Ergebnis dazu führen, dass nur eine medizinische Maßnahme durchgeführt werden darf. Dadurch kommt es gleichsam zur Anordnung dieser Maßnahme. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die verbleibende, nicht abgelehnte Maßnahme medizinisch indiziert ist und dass der betroffene Arzt diese Methode auch fachlich beherrscht.
Unstrittig ist nunmehr, dass auch die künstliche Ernährung mittels Patientenverfügung abgelehnt werden kann, da das Legen von Magensonden sowie die Durchführung von Sondenernährung bei liegenden Magensonden ärztliche Tätigkeiten sind.
Eine Schwierigkeit im Zusammenhang mit der Patientenverfügung besteht darin, dass der Patient nicht über eine konkrete und gegenwärtige (unmittelbar bevorstehende) Heilbehandlung entscheidet. Er gibt damit vorweg – möglicherweise fünf Jahr vorher – seinen Willen für künftige (mögliche oder wahrscheinliche) Situationen bekannt, die sich häufig nicht konkret abschätzen lassen. So wurde bereits im Vorfeld der Entstehung des Gesetzes darauf hingewiesen, dass in solchen Fällen vor allem auch die dynamische Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit unter dem Einfluss eines schweren Krankheitsverlaufes nicht prognostizierbar ist. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber einem pro futuro geäußerten Willen Grenzen gesetzt.
Das Patientenverfügungsgesetz, welches seit 2006 in Österreich gilt, wurde im Auftrag des Gesundheitsministeriums in einer Studie vom Institut für Ethik und Recht in der Medizin evaluiert. Die erste Phase der Studie war vor allem auf Fragen hinsichtlich der Erstellung der Patientenverfügung ausgerichtet. Die Studie hat gezeigt, dass Menschen, die eine Patientenverfügung errichten, diese zu ganz verschiedenen Zwecken nutzen wollen:
Für eine Gruppe der Errichtenden dient die Patientenverfügung als Abwehrinstrument u. a. gegen ärztliche Überversorgung am Lebensende. Diese Gruppe nutzt die Patientenverfügung, um am Lebensende nicht – aus ihrer Sicht – unnötig „an Schläuchen“ künstlich am Leben gehalten zu werden oder um Maßnahmen, die sie aus weltanschaulichen Gründen für grundsätzlich falsch hält, abzulehnen.
Eine zweite Gruppe versucht sich mithilfe der Patientenverfügung gegen ärztliche Überversorgung abzusichern. Die Patientenverfügung dient als kommunikativer Platzhalter, der während des Sterbeprozesses die eigene Rolle gegenüber Ärzten und Angehörigen stellvertretend einnehmen soll. Dieser Gruppe geht es weniger um die Inhalte und die individuelle Gestaltung als um die Sicherheit, dass die Dinge geregelt sind.
Die dritte und größte Gruppe sieht in der Patientenverfügung ein Instrument zum schönen Sterben. Die Patientenverfügung wird dafür eingesetzt, die Sterbephase zu gestalten. Es geht darum, Sterben nicht unnötig zu verlängern und therapeutische Maßnahmen zu unterbinden, die nur zu einer Lebensverlängerung führen, nicht aber zu einer seelischen/psychologischen, und nur als eine Verlängerung des Leidens eingestuft werden.12
Problematisch ist vor allem für jene Errichtenden aus der dritten Gruppen dass ihr Wille sehr exakt beschrieben werden muss, insbesondere müssen positive Vorstellungen des guten Sterbens in die Ablehnung medizinischer Maßnahmen übersetzt werden. Die Anforderungen von Medizinern und Juristen an eine verständliche Formulierung ist dabei unterschiedlich, sodass es häufig vorkommt, dass Errichtende von Juristen wieder zurück zum Arzt geschickt werden, weil die Formulierungen ihnen nicht passend erscheinen. Weiters wird kritisiert, dass am Ende dennoch der behandelnde Arzt die Patientenverfügung deuten und entsprechend handeln muss. Insbesondere bei Formulierungen wie „im Fall einer in – fausten Prognose“ o. ä. fühlen sich die Errichtenden wiederum den Ärzten ausgesetzt, die z. B. den Beginn des Sterbeprozesses festlegen.13
Die Schaffung der Patientenverfügung war ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Autonomie der Patienten.14 Die Studie hat ganz deutlich gezeigt, dass sich die Patientenverfügung vor allem für jene Fälle eignet, wo ein Patient eine bestimmte Maßnahme (z. B. künstliche Beatmung bei ALS-Patienten oder Blutkonserve bei Zeugen Jehovas) ablehnt. In allen anderen Fällen eignet sich das Instrument der Vorsorgevollmacht besser.
1 Siehe auch Kletecka-Pulker, Neue Formen der Selbstbestimmung, Journal of Hypertension 2012; 4:12–20.
2 Siehe AB 1381 BlgNR 22. GB, 2; Vgl. auch Kopetzki, Einleitung und Abbruch der medizinischen Behandlung beim einwilligungsunfähigen Patienten, iFamZ 2007, 198.
3 Es ist nicht erforderlich, dass der Patient auch weiterhin einsichts- und urteilsfähig bleibt. RV 1299 BlgNR 22. GP, 10.
4 RV 1299 BlgNr 22. GP 5; Siehe Kletecka, Einwilligung. In: Aigner/Kletecka/ Kletecka-Pulker/Memmer (Hrsg). Handbuch Medizinrecht in der Praxis, Kap. I, Wien 2008; 134:131–154.
5 Nach dem Wortlaut des Gesetzestextes muss es sich dabei nicht zwingend um einen Juristen handeln. Die Materialien gehen allerdings von einem „juristischen Mitarbeiter“ aus; siehe RV 1299 BlgNr 22. GP 7
6 Die Erklärung ist ernstlich, wenn der Patient mit dem erkennbaren Willen handelte, eine gültige Verfügung zu treffen (RV 1200 BlgNr 22. GP 9)
7 Dies beinhaltet auch einen Irrtum über die Beweggründe
8 Dies kann auch dann der Fall sein, wenn auf den Patienten ein unangemessener finanzieller oder auch nur gesellschaftlicher Druck ausgeübt wurde, eine bestimmte Behandlung in Zukunft anzulehnen (RV 1299 BlgNr 22. GP 9)
9 Entschließung des Nationalrats betreffend Vorlage eines Berichtes über die rechtlichen, ethischen und faktischen Erfahrungen im Zusammenhang mit der Errichtung von Patientenverfügungen, angenommen in der 142. Sitzung des Nationalrates am 29. 3. 2006, StProtNR 22. GP. 142. Sitzung 107 (1381 BlgNR 22. GP)
10 Siehe dazu ausführlich Memmer, Patientenverfügungen, in Aigner/Kletecka/Kletecka-Pulker/Memmer (Hrsg.), Handbuch Medizinrecht (2004 ff) I/324 f
11 Eine Patientenverfügung ist den Ärzten jedenfalls dann bekannt, wenn sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 KAKuG in der Krankengeschichte dokumentiert wurde
12 M. Kletecka-Pulker/J. Inthorn, Ergebnisse der ersten Phase der Evaluationsstudie zum Patientenverfügungs-Gesetz, iFamZ 2008, S. 139–141.
13 Siehe dazu M. Kletecka-Pulker/J. Inthorn, Ergebnisse der ersten Phase der Evaluationsstudie zum Patientenverfügungs-Gesetz, iFamZ 2008; S. 139-141
14 RV 1299 BlgNr 22. GP 5; G. Kathrein, Das Patientenverfügungs-Gesetz, ÖJZ 2006; 555–567, S. 560