Die Pädiatrie ist ein besonderes Fach im Fächerkanon der Medizin. Hier sei nur ein hervorstechendes Merkmal erwähnt: die Frage der rechtlich vollständigen Vertretung des zu behandelnden Kindes durch die Eltern bis zum 14. Lebensjahr. Ab dem vollendeten 14. Lebensjahr hat das kranke Kind, welches inzwischen zu einem Jugendlichen geworden ist, laut österreichischem Recht ein Selbstbestimmungsrecht über die Behandlung, die Elternrechte sind durch die gestärkten Eigenverantwortungsrechte des jugendlichen Patienten in Fragen der medizinischen Entscheidung fast gänzlich aufgehoben1. Ab dem 18. Lebensjahr ist diese Verantwortung zur Einwilligung bei medizinischen Maßnahmen vollständig auf den ehemals kindlichen Patienten übergegangen. Der Patient ist nun rechtlich für seine Entscheidungen bezüglich seiner Gesundheit und einer etwaigen Zustimmung zu medizinischen Behandlungen allein verantwortlich. Diese gesetzliche Änderung des Selbstbestimmungsrechts des jugendlichen Patienten erfolgte übrigens in Österreich erst ab dem Jahre 2001 nach Anerkennung der UN-Konvention über die Rechte des Kindes2.
Es gibt somit einen bereits jetzt vorhandenen Übergang von der Altersgruppe der bis 14-jährigen zu den bis 18-jährigen Patienten – eine täglich gelebte Transition – im Kinderkrankenhaus. Diese Ausweitung des Faches Pädiatrie auf die Behandlung von jugendlichen Patienten erfolgte auch erst vor Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts3. Anders formuliert, das Thema der Transition ist bereits seit längerem in der Pädiatrie verankert und beherrscht den klinischen Alltag.
Neu an der kontinuierlich national und international geführten Diskussion ist seit Beginn der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts die zentrale Frage, in welchen Krankenhausstrukturen man die chronisch erkrankten Kinder, die durch das Älterwerden aus dem pädiatrischen Versorgungsbereich im wahrsten Sinne des Wortes „hinausgewachsen“ sind, danach am besten versorgen soll. In dem Wort „versorgen“ steckt bereits der mehrdeutige Kern des Wortes „Sorge“4: kümmern, behüten, Acht geben, bewahren. Das heißt, es stellt sich die Frage, in welcher Struktur kann man am optimalsten auf die Bedürfnisse dieser Personengruppe achten und eingehen.
Mit dieser kurzen Ausführung ist man bereits vollständig im Themenbereich eingetaucht: Die Frage der unterschiedlichen Generationen, die im Entscheidungsprozess der Behandlung eines kranken Kindes befasst sind. Diese Frage der rechtlichen, medizinischen und psychologischen Verantwortlichkeiten betrifft je nach Position das kranke Kind, die Eltern und die behandelnden Ärzte unterschiedlich.
Im Folgenden sei kurz auf die verschiedenen Positionen dieser drei Parteien eingegangen.
Die Gruppe der Ärzte im Kinderkrankenhaus befreite sich am Ende des vorigen Jahrhunderts zuerst kurzfristig durch die Ausweitung des Behandlungsbereiches auf den Jugendbereich vom Druck der medizinischen Berechtigung der Behandlung durch entsprechende Gesetzesänderungen. Durch die Spezialisierungen der Fächer im Rahmen der Pädiatrie in den letzten Jahrzehnten entstand von Seite der Internisten und Allgemeinmediziner auf der anderen Seite kein großer Druck, etwas in ihren Bereich hinüberzuziehen. Es waren somit vorerst alle beteiligten Ärztegruppen froh, dass es pädiatrische Zentren mit hoher Kompetenz gab, die auch teilweise die medizinischen Interessen dieser Patientengruppe abdecken. So entstanden in den Kinderkrankenhäusern durchaus Nischen, sogenannte „Erwachsenensprechstunden“, in denen die inzwischen erwachsen gewordenen Patienten weiterhin von Pädiatern, die das „Jus practicandi “ hatten, behandelt wurden. Zum Teil wurden konsiliarisch Internisten zugezogen. Bald wurde aber sichtbar, dass die Strukturen einer Kinderabteilung den fachlich medizinischen und psychosozialen Anforderungen nicht gewachsen waren. Die Pädiater unterstützten deswegen in der Folge eindeutig den Prozess der Etablierung neuer Versorgungsstrukturen, zuerst in Kooperation mit den Elterninitiativen der kranken Kinder und später gemeinsam mit den neu gebildeten Selbsthilfegruppen „Survivors“ (siehe untenstehend). Dieser Prozess spielte sich ab der Mitte der neunziger Jahre weltweit ähnlich ab.
Bei den Eltern der erkrankten Kinder verhielt sich die Situation etwas anders. Die Elternverbände für krebskranke Kinder z. B. hatten sich bereits sehr früh nach der Öffnung der Kinderabteilungen in den sechziger Jahren, in Großbritannien und in Österreich ab den achtziger Jahren gebildet und sich für die Verbesserung der medizinischen und psychosozialen Behandlungen ihrer Kinder im stationären und ambulanten Spitalsbereich engagiert2. Sie waren jetzt deswegen wiederum die ersten Personengruppen in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, die auf eine Neuordnung der medizinischen und psychosozialen Versorgung für ihre überlebenden Kinder bestanden. Einerseits sahen sie bedingt durch die eigene Position als Erwachsener und dem damit verbundenen Wissen um die Gesundheitsversorgung ihrer eigenen Person schnell die Begrenzungen der medizinischen Versorgungslandschaft. Andererseits entdeckten sie als Leibärzte5 ihrer Kinder schnell, dass ihre Kinder im Erwachsenenbereich ihrer Meinung nach nicht ausreichend medizinisch versorgt wurden und im Bereich der Kinderabteilungen ebenfalls nicht mehr richtig angesiedelt waren. Anhand der Erzählungen ihrer erwachsenen Kinder konnten sie unmittelbar die Nöte der Versorgung erleben. Nachdem man faktisch und psychologisch gesehen die Elternschaft mit der Volljährigkeit der Kinder nicht einfach abgeben kann, kümmerten sie sich als Zeugen des Überlebenskampfes ihrer Kinder weiterhin um die Anliegen ihrer Nachkommen. Sie brachten sich dementsprechend immer wieder als Anwälte ihrer Kinder auf allen verschiedenen nationalen und internationalen politischen Ebenen ein. Sie forderten eine Integration des Wissens der Pädiatrie in die Wissensbestände der Medizin im erwachsenen Bereich. In der SIOP (International Society of Paediatric Oncology) trafen sich die weltweit führenden Mediziner regelmäßig; ab 1994 wurden die internationalen Elternverbände zu regelmäßigen Arbeitsgruppen hinzugezogen – und gemeinsam beratschlagten Mediziner, Psychologen und Elternvertreter eine bessere Versorgungsstruktur für die überlebenden Patienten6. In dieser Kombination verabschiedeten sie bereits im Jahr 1996 entsprechende internationale Empfehlungen zu verbesserten Nachsorgestrukturen7.
Die aktive Partizipation der ehemaligen kindlichen Patienten als rechtlich gleichberechtigte Personen im Behandlungsprozess gegenüber den Eltern wurde – wie oben angeführt – bereits durch die Vorverlegung des Selbstbestimmungsrechtes in Österreich im Jahre 2001 erreicht. Die Gruppe der Jugendlichen und erwachsen gewordenen Patienten formierte sich und forderte ihrerseits angemessene medizinische Strukturen für ihr weiteres Leben. Die Fragen der medizinischen Nachsorgestrukturen wurden als Vorsorgestrukturen für ein besseres und gesünderes eigenes Leben interpretiert. Im Jahre 2001 hielten diese ehemaligen Patienten, die sich in der Folge „Survivors“ nannten, in Luxemburg ihr erstes weltweites Treffen ab8. Seitdem treten sie für ihr Recht auf eine ausreichend abgebildete medizinische Versorgungsstruktur ein.
Abschließend sei an dieser Stelle erwähnt, dass Transition auch bedeutet, dass man die Übergänge von einem entwicklungspsychologischen Bereich in den nächsthöheren Bereich nicht „lastenfrei“ passieren kann. Es ist beim Übergang von einer Entwicklungsstufe zur nächsten nicht möglich, dass man kritische Ereignisse in der Vergangenheit streicht und nicht mitnimmt. Der erworbene positive Erfahrungsschatz in einem früheren Bereich hilft einem im besten und optimalen Falle zu einer besseren Bewältigung der neu erreichten Stufe – der des Erwachsenenalters. Die „Survivors“ haben durch die Erkrankung in jungen Jahren regelhaft Fähigkeiten entwickeln müssen, die sie mit einem Reichtum an Bewältigungsstrategien ausgestattet haben und die sie für viele Aufgaben des Lebens reifer und tüchtiger gemacht haben als andere junge Menschen. War der Weg doch bereits auf einer früheren Stufe unverschuldet dornenreicher als üblich. Wenn es dann keine entsprechenden medizinischen Versorgungsstrukturen gibt, so lässt man sie unverschuldet allein und beraubt sie ihrer vorhandenen Entwicklungsmöglichkeiten. Sie mit ihren erhöhten Anforderungen alleine zu lassen, wäre deswegen ein schweres Versäumnis. Die Patienten mit einer Krebserkrankung im Kindesalter haben tatsächlich heldenhafte Leistungen im Kampf um das Überleben vollbracht und haben ein Anrecht – wenn notwendig und von ihnen selbst gewünscht – auf entsprechende Versorgungsstrukturen!
1 Kletecka-Pulker M: Medizinrechtliche Aspekte der medizinischen Behandlung krebskranker Kinder und Jugendlicher. In: Topf R J (Hg.): Das krebskranke Kind und sein Umfeld. Psychosoziale Aspekte der Versorgung und Unterstützung. New academic press. 204-208, Wien, 2014
2 Topf R J: Meilensteine in der Ideengeschichte des Kinderschutzes – Historische Anmerkungen zum Beitrag der Psychoanalyse und Pädagogik. In: Inthorn J, Kletecka-Pulker M (Hg.) Kinderschutzgruppen in Österreich. Verlag Österreich, Recht und Ethik in der Medizin, Band 7. 1-40, Wien, 2012
3 Kerbl R: 50 Jahre Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugend-heilkunde (ÖGKJ). Monatszeitschrift Kinderheilkunde 2012; 160 (9): 825-826
4 Kluge F: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Walter de Gruyter, New York, 1989
5 Topf R J: Die Mutter als „Leibärztin“: Das Kind, die Krankheit und der Tod. Psyche: Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen 2009; 63 (6): 566-588
6 https://www.childhoo dcancerinternational.org/about-cci/
7 Masera G et al: SIOP Working Committee on Psychosocial issues in pediatric oncology: guidelines for care of long-term survivors. Med Pediatr Oncol 1996; 27 (1): 1-2
8 https://www.childhoodcancerinternational.org/cci-survivors-network/ how-to-create-a-survivors-group/