KONTEXT: Das Überbringen einer schlechten Nachricht gehört wohl zu den schwierigsten und einschneidendsten Momenten in der Arzt-Patienten-Begegnung. Auf der einen Seite wird große Einfühlsamkeit vorausgesetzt, und auf der andern Seite fehlt im Rahmen des alltäglichen Ablaufs oft die Zeit zur Anteilnahme an den emotionalen Reaktionen der Patienten. Schließlich bedarf es einer großen fachlichen und auch handwerklichen Kompetenz in der Diagnose und Therapie von Krebserkrankungen. Hin- und hergerissen zwischen Leistungsdruck und Empathie muss der Arzt sowohl medizinisch wie auch psychologisch den an ihn gestellten Anforderungen genügen. In der Ausbildung wird dieser Teil wenig konstruktiv gelehrt, meist in der Erwartung, man werde durch die praktische Erfahrung schon lernen, was funktioniert und was nicht. Der Arzt lernt im Sinne der berühmtberüchtigten Philosophie des „Learning by Doing“, welche kommunikativen Elemente beim Patienten ankommen und welche das Ziel verfehlen. Wird es zu schwierig, zu komplex oder zu sensibel, dann fehlen ihm oft das Handwerkszeug zur Kommunikation, die notwendige Zeit, das Vertrauen zu sich und in sich, um diese für den Patienten gravierende Situation auszuhalten. Der Patient bleibt in seiner Welt der Empfindungen sich selbst überlassen.
Es ist unser Anliegen, dem ärztlichen Gespräch in einer Zeit zunehmender Regulierung und Ökonomisierung vieler Aspekte des Arztseins, den Stellenwert und die Zeit zu geben, die ihm gebühren. Es ist eine Notwendigkeit, die Fortschritte und die Grenzen der modernen Medizin in der Begegnung zwischen Arzt und Patient im ärztlichen Gespräch für die Betroffenen begreifbar zu machen und damit eine Grundlage zu schaffen, um das, was Krankheit bedeutet, verstehen und damit ertragen zu können.*
Es ist ein Trugschluss, zu glauben oder zu meinen, die Patienten wüssten meist nichts über ihre innere Befindlichkeit und ebenso wenig über die Bedrohung einer möglicherweise ernsthaften Erkrankung. Wir (z.B. Ärzte, Pflegende, Therapeuten) wissen es nicht, weil wir nicht danach fragen. Ziel in dieser Phase ist es, die emotionale Ausgangslage des Patienten mit dem ärztlichen Fachwissen zu verknüpfen, um in gegenseitiger Kooperation die notwendigen Schritte zusammen mit dem Patienten und seiner Familie zu bewältigen. In Kooperation heißt, dass der Patient von Beginn weg mit allem, was ihn ausmacht, in den Prozess der Auseinandersetzung integriert wird. Er erhält die Möglichkeit, zu entscheiden, wie weit er sich zu einem bestimmten Zeitpunkt auf diesen Prozess einlassen kann oder will. Dadurch wird es ihm möglich, mit seinem sozialen Netz (z. B. Familie, Partnerschaft) und dem Arzt zusammen den Weg der Diagnostik und Behandlung zu skizzieren und ihn daher auch als seinen eigenen Weg anzusehen. Diese Denkweise führt aber weit weg von seiner fürsorglichen Umgarnung mittels barmherziger Lüge und dem Aushalten-Müssen in einer nicht näher erklärten und daher nicht fassbaren Bedrohung.
Die Gefahr einer Überforderung sowohl des Patienten als auch seiner Angehörigen während dieser intrapsychischen Auseinandersetzung ist besonders dann gegeben, wenn sie über kein tragfähiges Netzwerk in ihrer unmittelbaren Umgebung verfügen. Wir wissen heute, dass Armut, geringe Schulbildung, vorbestehende psychiatrische Erkrankungen, fehlendes soziales Netzwerk oder Kleinkinder im gemeinsamen Haushalt hochsignifikante Stressoren bei Patienten mit Krebserkrankungen darstellen.
Oft ist es bereits hilfreich und entlastend für den Patienten, wenn der Arzt diese Belastung- und Überforderungssituation erkennt, anspricht und gegenüber dem Patienten anerkennt, Ressourcen erkennt und mobilisiert.
• Ein Großteil der Patienten hat durch die spezifische Eigenwahrnehmung eine Geschichte vor der Diagnoseeröffnung und kennt diese auch.
• Die Patienten kennen sich und damit auch ihre Ängste, Sorgen und Nöte.
• Die Eröffnung der Diagnose ist oft nicht mehr als eine Bestätigung dieser Befürchtungen.
• Es ist nicht wichtig, wie viel Zeit zur Verfügung steht. Wichtig ist, was in dieser kurzen Zeit an konstruktiver Interaktion möglich ist.
• Psychosoziale Faktoren sind hoch – signifikante Einflussfaktoren auf die Arzt-Patienten-Beziehung.
• Psychosoziale Zusammenhänge setzen hohe persönliche Kompetenz voraus.
• Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass das Beste für mich wohl auch für den andern gut sein wird.
• Die Etablierung gemeinsamer Entscheidungsprozesse verstärkt eine gute Beziehung, mobilisiert Ressourcen und erhöht die Bereitschaft, die getroffenen Entscheidungen mitzutragen.
• Die Integration der Angehörigen von Anfang an führt eher zu Kooperation als zu Konfrontation.
• Schade um die Fachkompetenz, wenn sie durch die fehlende Sozialkompetenz zunichte gemacht wird!
• Authentizität ist die Lebenshaltung, die alles wirkliche Leben zur Begegnung macht.
• Wir begegnen einem Menschen mit einer Krankheit und nicht einem kranken Menschen.
Die Eröffnung der Diagnose einer Krebserkrankung ist stets unabhängig davon, wie gut wir kommunizieren, und wie auch immer die spezielle Prognose dieser Erkrankung aussieht: Sie ist eine schlechte Nachricht. Sie erschüttert fundamental und zieht den Boden unter den Füßen weg. Nichts scheint mehr so, wie es war, die Welt ist anders geworden, selbst dann, wenn sich der Patient schon längere Zeit damit auseinandergesetzt hat und die Diagnose nur die Bestätigung einer schlummernden Befürchtung gewesen ist. Eine schlechte Nachricht kann man nicht gut überbringen, sondern nur sofort. Hierbei ist das Ziel, einen Prozess in Gang zu setzen, der, aufbauend auf Begegnung und klarer Struktur, Ressourcen verfügbar macht und Folgeschäden minimiert.
„Shared decision making“: Ein Weg, diese Ressourcen zu mobilisieren und in den Prozess einzubinden, ist das so genannte „shared decision making“. Hierbei leistet der Patient nicht mehr nur den Anweisungen des Arztes Folge, stimmt lediglich zu oder willigt in einen vorgelegten Behandlungsplan ein (das, was wir als Compliance bezeichnen). Vielmehr wird der Untersuchungs- und Behandlungsplan gemeinsam erstellt. Dies bedeutet in keiner Weise, dass etablierte onkologische Protokolle oder chirurgische Vorgangsweisen abgeändert werden. Es werden Bereiche definiert, die ohne Nachteil für den Patienten seinen unmittelbaren Bedürfnissen entsprechend angepasst werden können. Es werden Grenzbereiche definiert, in denen Abänderungen Nachteile oder Schaden für den Patienten nach sich ziehen könnten oder werden. Es wird in diesem Prozess für den Patienten klar fassbar, worüber er wann entscheidet. Wir sprechen nun anstelle von Compliance (der Patient befolgt die Anweisungen des Arztes) von einer Kohärenz, einer Verbundenheit zwischen Arzt und Patient in einem klar gegliederten und verständlichen Prozess. Die bekannten Daten über Noncompliance zeigen eindrücklich, dass neue Wege der Arzt-Patient-Kommunikation, nämlich ein gemeinsamer Entscheidungsprozess (shared decision making) und einer Kohärenz des Behandlungsteams notwendig sind. Kohärenz kann vorliegen, wenn der Patient die Ernsthaftigkeit seines Leidens erkennt, an die Wirksamkeit der Therapie glaubt, mit der medizinischen Betreuung zufrieden ist, von seiner Familie unterstützt wird und wenn ein Behandlungsplan durch einen gemeinsamen Entscheidungsprozess gestaltet wurde und der Patient die Durchführung der Therapie als seine Entscheidung erlebt und anerkennt.
Zu einer guten Vorbereitung gehört das Wissen um die soziale Vernetzung des Patienten und die Wahrnehmung seiner Beziehungsstruktur.
Der Patient ist der Vertragspartner des Arztes, und er entscheidet, was er zu einem bestimmten Zeitpunkt über sein Kranksein wissen will und an wen diese Informationen weitergegeben werden dürfen. Nur gehört zu diesem Prozess der Aufklärung auch die Information, dass ein soziales Netzwerk (z. B. Familie) und die Ressourcen hilfreich sind. Damit der Patient eine Entscheidung darüber treffen kann, wen er in diesem Prozess einbinden möchte, benötigt er eine Information darüber, was dafür und was dagegen spricht. Oft verbirgt sich hinter dem Zögern, die eigene Familie einzubinden, eine Angst, die uns Betreuern auch vertraut ist: Es ist die Angst vor der Reaktion der Partner und/oder der Kinder auf die schlechte Nachricht. Oder die Angst, denen, die man liebt, Schmerzen und Leid zuzufügen, ihnen durch Krankheit zur Last zu fallen. Es ist eine große Qualität, wenn schon vor dem Aufklärungsgespräch geklärt ist, wen der Patient bei sich haben möchte.
In das Diagnosegespräch ist – wenn immer möglich – die Pflege mit einzubeziehen, auch wenn Verwandte oder Bekannte beim Gespräch anwesend sind. Es ist uns klar, dass es aufgrund von Personalmangel und einer Vielzahl von administrativen Aufgaben schwierig ist, dieses Ziel zu erreichen. Ein gemeinsames Diagnosegespräch hat allerdings viele Vorteile, die zu nutzen kein Schaden sein kann (verbesserte Kommunikation, ein Mehr an Gemeinsamkeit und Teamgeist zwischen Pflege und Arztteams, zusätzliche Ressourcen wie z. B. das Wissen um private Bedürfnisse). Oft erhält das Pflegeteam aufgrund der anderen Art der Beziehung einen unmittelbareren Einblick in das soziale Umfeld des Patienten. Die Pflege weiß, was besprochen worden ist, und kann mit dem Patienten nun in aller Offenheit auch weiter gehende Fragen diskutieren.
• Ich bin sorgfältig vorbereitet und kann mögliche Fragen gut erklären.
• Ich weiß um die Erschütterung und lasse dem Patienten die für ihn notwendige Zeit.
• Ich will ein Vertrauensverhältnis zum Patienten aufbauen.1
• Ich nehme mir vor, weder Fremdwörter noch lateinische Bezeichnungen oder Kürzel zu verwenden.
• Ich formuliere einfache und kurze Sätze und beobachte die Reaktion des Patienten.
• Hilfreich ist auch, Telefon und Pager kurzzeitig abzuschalten (falls dies aufgrund der Dienstverpflichtung nicht möglich ist, hilft es, den Patienten zu informieren, dass eine Unterbrechung aufgrund der Rufbereitschaft möglich sein könnte).
Zur erweiterten Vorbereitung auf das Diagnosegespräch gehören nachfolgende Grundlagen:
• Sämtliche relevanten Befunde sind dem aufklärenden Arzt bekannt, und er hat sie bei sich.
• Er verfügt über Zeichnungen oder Bilder, mit denen er dem Patienten und seinen Angehörigen die Lokalisation der Krankheit darstellen kann.
• Er bereitet sich auf das Gespräch vor, indem er in hoher Sachlichkeit ohne Pathos oder emotionale Verstärkung die derzeitige Ausgangslage klar formuliert.
• Als hilfreich erweist sich eine handgeschriebene Liste mit den markanten Fixpunkten aus den Unterlagen.
• Er kennt sich in der Gesprächsführung aus und weiß um das Recht der emotionalen Reaktion des Patienten.
• Er beschönigt die Fakten nicht, um den Patienten so schonungsvoll wie möglich aufzuklären.
• Er lügt nicht.
• Er glaubt an das, was er sagt.
• Er spricht bekannte Tabus direkt und selbstverständlich an.
• Er achtet auf die Einbindung aller Entscheidungsträger in das Gespräch.
• Er beobachtet sorgsam die Sorgen, Ängste und Nöte der Patienten und spricht diese auch direkt und hemmungslos an.
• Er wird dem Patienten die Diagnose so eröffnen, dass er sie verstehen wird.
Die Überbringung einer Diagnose ist weniger eine Methode als vielmehr Inhalt: Wesentlich an diesem Inhalt ist die Authentizität des Überbringers. Der Patient hört nicht nur die Botschaft, er beobachtet auch die Gestik, Mimik und die Stimme (Stimmlage, Vokalität) des Überbringers. Deshalb ist eine sorgfältige Vorbereitung auf diese Konfrontation von größter Bedeutung.
Redewendungen einer möglichen Erstinformation:
• Es ist, wie wir befürchtet haben: Sie haben Krebs.
• Ich habe keine gute Nachricht für Sie: Wir haben eine bösartige Erkrankung entdeckt. Sie haben Krebs.
• Wir wissen nun definitiv, dass dieser Knoten Krebs ist.
• Leider muss ich Ihre Befürchtung bestätigen: Wir haben bösartige Zellen gefunden. Das heißt: Sie sind an Krebs erkrankt.
Nach dem Wort „Krebs“ ist es den meisten Betroffenen nicht möglich, Kontakt zu halten. Oft erfolgt ein Rückzug aus dem Gespräch, wenn auch nur kurz. Die nun nachfolgenden Informationen werden in aller Regel nicht aufgenommen und können nicht wiedergegeben werden. Daraus lässt sich auch erklären, dass Patienten behaupten, nie von ihrem Arzt aufgeklärt worden zu sein. Die in der Untersuchung eingebundenen Ärzte hingegen sagen aus, dass sie den Patienten sehr wohl aufgeklärt haben. Beide Seiten haben Recht!
Es wird immer wieder versucht, den Patienten so schonungsvoll wie möglich aufzuklären. Das mag zwar gut gemeint sein – unter dem Strich ist es für den Patienten fatal. Dieser Prozess der Erschütterung erfolgt so oder so, früher oder später! Wer soll denn den Patienten aufklären, und wann soll dies erfolgen? Wollen wir diesen Schritt irgendwelchen Zufälligkeiten oder Willkürlichkeiten überlassen? Hat der Patient eine bessere Lebensqualität, wenn er diese Information nicht durch den Arzt erhält?
Es wird durch eine Vorinformation über den standardisierten äußeren Ablauf – d. h. wer alles wann anwesend ist – sichergestellt, dass auch ein Gespräch zwischen Arzt und Patient alleine möglich ist. Es soll hier nochmals betont werden, dass es sich hierbei um eine Empfehlung handelt, denn der Patient entscheidet, ob er alleine mit dem Arzt oder zu dritt oder zu viert dieses Gespräch führen möchte.
Äußere Bedingungen:
• Anwesend sind Patient, Angehörige oder andere Vertrauenspersonen, Arzt und Pflegefachperson
• Geschützter Ort ohne fremde Zuhörer
• Telefon und Funk sind ausgeschaltet (falls dienstrechlich nicht möglich, einen Kollegen zur Übernahme des Dienstpagers motivieren oder den Patienten klar darüber informieren, dass möglicherweise eine Störung durch den Funkpager das Gespräch erschweren könnte)
• Grundlagen (Berichte, Bilder usw.) liegen bereit.
Innere Bedingungen:
• Sachlich klare Sprache verwenden
• Mit Mimik und Gestik keine emotionale Verstärkung erwirken
• Empathie zeigen und Authentizität leben
• Einfache Sprache anwenden
• Verständnis über das Gehörte klären.
Schritt 1: Erstinformation: Erstinformation wie beschrieben. Es folgt jetzt eine kurze Pause, in welcher der Patient und seine Reaktion beobachtet werden.
Schritt 2: Einblick in die innere Welt: Diese Beobachtung wird direkt angesprochen: „Was denken Sie gerade jetzt?“ Dem Patienten wird jetzt die Gelegenheit geboten, Einblick in seine innere Welt zu geben. Als Antwort ist alles denkbar, wie:
• Nichts, nichts Konkretes!
• Es nimmt mir schon den Boden unter Füßen weg!
• Sagen Sie das bitte meinen Angehörigen nicht; meine Frau könnte es nicht ertragen!
• Ist es sehr schlimm?
• Ich hab’s schon immer gewusst!
• Was wird aus meinen Kindern?
Nur schon diese wenigen Rückmeldungen geben genügend Material für eine klärende Intervention. Mit gezielten Rückfragen kann die Ausgangslage aufgenommen werden:
• Haben Sie damit gerechnet?
• Seit wann hatten Sie den Verdacht?
• Kommt das für Sie jetzt völlig überraschend?
• Wie erklärten Sie sich die Beschwerden der letzten Wochen?
Schritt 3: Fakten: Der nächste Schritt steht bevor. Wir versuchen nun mit den Involvierten die Fakten zu klären. Als großes Bedürfnis seitens der Patienten hören wir Fragen wie:
• Werde ich wieder gesund?
• Ist das der Anfang vom Ende?
• Wie lange habe ich noch zu leben?
• Ist die Erkrankung aussichtslos?
Verständliche Information kann den Patienten unterstützen, seinen eigenen Weg zu gehen. Diese Information muss allerdings wiederholt gegeben werden. Es ist gemeinsam zu klären, wie viel der Patient wann wissen möchte. Nur weil vor einer Woche statistische Informationen abgelehnt wurden, heißt das nicht, dass sie zwei Wochen später nicht doch gewünscht werden. Zur Sicherstellung des Verständnisses ermutigen wir den Patienten, mit seinen Worten zu wiederholen, was wir gesagt haben. Durch seine Redewendungen erkennen wir sofort, worauf er fokussiert hat und wie viel von dem, was wir ihm zu sagen hatten, er noch gespeichert hat. Wir wiederholen die Informationen mehrmals, bis gewährleistet ist, dass er uns verstanden hat.
Je mehr Ohren an einem Diagnosegespräch teilnehmen, umso unterschiedlicher sind die daraus resultierenden Schlussfolgerungen. Das führt zu vertiefter Diskussion z. B. zwischen Patient und Angehörigen, Patient und Pflege und zwischen Pflege und Ärzten. Die unterschiedliche Auffassung durch das Gehörte führt zu einem besseren oder intensiveren Verständnis der Diagnose. Ohne diese Grundlage sind die therapeutischen Schritte oft nicht überzeugend und für den Patienten zu wenig nachvollziehbar.
Schritt 4: Therapieplan: Unser Ziel ist hier, einzelne therapeutische Interventionen im Kontext eines Therapieplans den Patienten begreifbar zu machen. Das hier beschriebene Vorgehen betrifft in der Regel chronische Erkrankungen und nicht Notfälle oder Situationen, in denen Akutinterventionen für das Überleben notwendig sind. Egal wie gravierend ein Eingriff sein wird, er erhält durch einen gemeinsamen Therapieplan Sinn, und die Gefühle des Patienten sind nicht ignoriert worden.
Wir begreifen die Erstellung des Therapieplans als gemeinsamen Prozess mit dem Patienten und (wenn möglich) seinem sozialen Umfeld (shared decision making). Kohärenz bedeutet hier, dass Arzt und Patient vergleichbare Vorstellungen mit den einzelnen Teilen des Therapieplans verbinden und ihre Aufgaben in diesem Plan kennen. Adhärenz heißt, dass alle Beteiligten ihre Verantwortung wahrnehmen und ihre Aufgaben erfüllen. Ziel ist es, die Ressourcen, über welche die Betroffenen (Patient und Angehörige) verfügen und die in andern Lebenslagen selbstverständlich eingesetzt werden, auch hier zu aktivieren und nutzbar zu machen. In keiner Weise wollen wir die Belastung einer schweren Erkrankung missachten. Wir möchten allerdings bewusst machen, dass auch im Falle von schwerer Krankheit Patienten über gesunde Anteile, Kompetenzen, Wissen und Fertigkeiten verfügen. Diese stellen wichtige Hilfsmittel im Ertragen und in der Bewältigung der Krankheit dar. In diesem Prozess, der Kohärenz und Adhärenz ermöglichen soll, wollen wir nicht nur Krankheit und Schwäche thematisieren, sondern auch die gesunden Anteile mobilisieren und unterstützen.
Egal, wie sich ein Patient verhält: Erlebt er unerschrockene Menschen um sich, dann signalisieren diese Reaktionen, dass sein Verhalten möglich ist, vielleicht ungewöhnlich, aber nicht „krank“. Die Entlastung erfolgt eben dadurch, dass diese Reaktionen zugelassen und vom Betreuungsteam ausgehalten werden. Auf viele dieser Ausdrucksweisen brauchen wir auch nicht unbedingt zu reagieren. Was der Patient indes braucht, ist Verständnis und die Gewissheit der Normalität dieser Entwicklung.
Schritt 5: Entscheidung: Die Entscheidung ist fällig. Bevor diese einschneidende Veränderung vollzogen wird, sind nochmals alle offenen und neu entstandenen Fragen zu klären – sorgfältig, einfühlsam und ohne motivierende Manipulation.
FACT-BOX
Wichtige Termine:
Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für onkologische Rehabilitation und Psychoonkologie (ÖARP),
1.–2. Dezember 2011, Kongress-Casino Baden bei Wien
Lehrgang Psychoonkologie der Österreichischen Akademie für onkologische Rehabilitation und Psychoonkologie,
Anmeldung über die Website der ÖARP (http://www.öarp.at) oder bei Prof. Gaiger (alexander.gaiger@meduniwien.ac.at),
Start Februar 2012
Linksammlung:
ÖARP (Österreichische Akademie für onkologische Rehabilitation und Psychoonkologie) http://www.öarp.at
Buchtipps:
Peter Fässler-Weibel, Alexander Gaiger:
Über den Schatten springen.
Vom Entwirren einer Erkrankung durch Begegnung. (Paulus Verlag)
Hinweise an Ärzte und Pflegende
• Die soziale Vernetzung des Patienten ist für die Behandlung von großer Bedeutung.
• Es ist zu klären, wer zur Entscheidungsfindung beizuziehen ist.
• Mit betroffen von jeder Krankheitsentwicklung sind immer auch die Angehörigen.
• Die Pflege ist kompetent mit einzube ziehen.
• Gleichwertigkeit ist mehr als Gleichberechtigung.
• Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit sind Grundlagen der Authentizität!
* Der Beitrag ist in 2 Teile gegliedert (der 2. Teil erscheint in der nächsten Ausgabe von SPECTRUM Onkologie) und ist eine Kurzfassung der ent sprechenden Kapitel des Buches „Über den Schatten springen“ von Peter Fässler-Weibel und Alexander Gaiger, Paulus Verlag, Ch, 2009). Thema der nächsten Ausgabe ist u.a. die „Auflösung der psychischen Akutphasen reaktion“.
1 Carl R. Rogers, Die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie. Fischer TB, Frankfurt a. M. 1993