Vierte Corona-Impfung schützt Krebspatient:innen

Patient:innen mit Krebserkrankungen haben ein höheres Risiko für schwere COVID-19-Krankheitsverläufe und weisen eine erhöhte Mortalitätsrate auf verglichen mit der Allgemeinbevölkerung1–4. Spezifische Schutzmaßnahmen für diese besonders vulnerable Gruppe inklusive COVID-19-Impfungen sind daher von besonderer Bedeutung5. Rezente Studien zeigten, dass Patient:innen mit einer malignen Erkrankung ein schwächeres immunologisches Impfansprechen aufwiesen als gesunde Proband:innen5–7. Dennoch profitierten Krebspatient:innen von der Drittimpfung zum Schutz vor einer SARS-CoV-2-Infektion8. Während die Durchbruchsrate bei geimpften Patient:innen Ende 2021 etwa 43% betrug, lag sie Anfang 2022 bereits bei 71%9. Im Frühjahr 2022 haben europäische Behörden (EMA, ECDC) die Viertimpfung für medizinisch vulnerable Personen empfohlen, nicht zuletzt aufgrund des erhöhten Übertragungsrisikos unter der vorherrschenden Omikron-Variante10, 11. Angepasste Impfstoffe waren zum Zeitpunkt der Empfehlungen noch nicht verfügbar. Eine aktuelle Studie der MedUni Wien konnte nun zeigen, dass die Viertimpfung für Krebspatient:innen sinnvoll ist. Die Ergebnisse wurden im renommierten Journal JAMA Oncology publiziert12.

Studiendesign

An der Studie nahmen 72 Patient:innen mit unterschiedlichen Krebserkrankungen teil, das mediane Alter betrug 74 Jahre, mehr als die Hälfte der Patient:innen war männlich (65%). Insgesamt erhielten 54 Patient:innen (75%) eine vierte Impfung mit den derzeit zugelassenen, nicht angepassten Impfstoffen (aktive Immunisierung), bei 18 (25%) wurde eine passive Immunisierung mit der monoklonalen Antikörperkombination Tixagevimab/Cilgavimab durchgeführt. Um die variantenspezifische humorale Immunität nach der Impfung zu analysieren, wurden die Antikörperspiegel gegen die rezeptorbindende Domäne (RBD) des SARS-CoV-2 Spike-Proteins inklusive der Omikron-Subvarianten BA.1 und BA.4 nach der aktiven und passiven Immunisierung der Krebspatient:innen gemessen. Zusätzlich wurden molekulare Interaktionstests durchgeführt, um die Hemmung der Bindung des SARS-CoV-2 Spike-Proteins an den entsprechenden Rezeptor (Angiotensin-konvertierendes Enzym 2, ACE2) durch die Patientenseren zu messen.

Verstärktes humorales Impfansprechen nach der Viertimpfung

Alle Krebspatient:innen zeigten einen Anstieg der Antikörpertiter nach der vierten Dosis eines der derzeit verfügbaren Impfstoffe. Patient:innen mit soliden Tumoren zeigten einen deutlichen Anstieg der medianen Anti-RBD-Spiegel (optische Dichte vor vs. nach der vierten Impfung: Wuhan-Variante: 1,157 [0,121–2,210] vs. 1,438 [0,213–1,801]; p = 0,02); BA.1: 0,721 [0,103–1,486] vs. 1,026 [0,146–1,553]; p = 0,003) und BA.4 0,556 [0,119–1,496]). Auch hämatoonkologische Patient:innen unter laufender B-Zell-Therapie zeigten erhöhte Anti-RBD-Spiegel, insbesondere gegen die Omikron-Subvariante BA.1 (0,154 [0,059–1,556] vs. 0,969 [0,057–1,306]; p = 0,02) und BA.4: 0,245 [0,052–1,270] vs. 0,966 [0,052–1,383]; p = 0,02). Es gab keine Unterschiede in den Antikörperspiegeln bei Patient:innen mit anderen hämatologischen Erkrankungen.

Darüber hinaus zeigte sich, dass die Inhibition der RBD-ACE-Bindung nach der Viertimpfung größer war als nach der Drittimpfung, insbesondere für die Subvarianten BA.1 und BA.4. Dies war sowohl bei Patient:innen mit soliden Tumoren (Abb. A) als auch bei hämatologischen Patient:innen mit oder ohne B-Zell-Therapie der Fall.

Passive Immunisierung mit monoklonalen Antikörpern nicht effektiv

Die Analyse der Hemmwirkung von Tixagevimab/Cilgavimab legte nahe, dass eine Immunisierung mit der monoklonalen Antikörperkombination keinen ausreichenden Schutz gegen die Omikron-Subvariante BA.4 bietet. Es wurde ein Unterschied in der Inhibition der RBD-ACE-Bindung festgestellt, abhängig von der jeweils untersuchten SARS-CoV-2-Virusvariante; die Hemmwirkung betrug im Median 99,9% für die Wuhan-Variante, 34,9% für BA.1 und 15,4% für BA.4 (Abb. B).


Kommentar

Dr. Maximilian Mair
Abteilung für Onkologie,
Universitätsklinik für Innere Medizin I,
Medizinische Universität Wien

In dieser Studie konnte gezeigt werden, dass die vierte Impfung mit den derzeit zugelassenen Impfstoffen bei onkologischen Patient:innen wirksam ist. Krebspatient:innen profitierten auch von einem Viertstich mit einem nicht adaptierten Vakzin. Eine passive Immunisierung mit dem monoklonalen Antikörper Tixagevimab/Cilgavimab hingegen schützte die Patient:innen nicht ausreichend gegen die derzeit vorherrschende Omikron-Variante BA.4. Weitere Studien zur zellulären Immunität sind notwendig, um den Impfschutz vor schweren Verläufen zu untersuchen.


Kommentar

Prof. Dr. Manfred Mitterer
Zentrale internistische Tagesklinik,
Krankenhaus Meran

Aufgrund der Studienergebnisse sollte die Viertimpfung für die besonders vulnerable Gruppe von Menschen mit Krebserkrankungen möglichst rasch durchgeführt werden, im Idealfall mit einem variantenspezifischen Impfstoff. Sofern dieser nicht verfügbar ist, ist aber auch ein zeitnaher Viertstich mit einem Wildtyp-Vakzin sinnvoll.