Einer der stärksten Momente in den Anfängen der Knochenmarktransplantation war, dass man erstmals die Aussicht auf Heilung hatte, und zwar bei einem substantiellen Prozentsatz an Patienten. Bemerkenswert war, dass Patienten bei diesem unglaublichen Unterfangen mitgemacht haben, unglaublich, was Risiken und Nebenwirkungen, aber auch den Aufwand der Therapie betrifft. Innovation ist nicht immer einfach durchzusetzen, aber hier war das Prinzip „greifbare Hoffnung“ ausschlaggebend. Es ist ein Erdrutsch, wenn Krankheiten wie Krebs, die zu den gefährlichsten und mit Sicherheit tödlichsten zählen, plötzlich eine Chance auf Heilung haben. Allerdings waren die finanziellen Spielräume zur Etablierung der nötigen Infrastruktur in Wien und in Innsbruck äußerst gering, nicht zuletzt im Wettbewerb mit anderen Fächern. Knochenmarkspenderdateien, Typisierung, all das war zuerst wohltätigen Organisationen, Charity-Aktionen zu verdanken, nicht überwiegend der öffentlichen Hand.
In meiner Zeit in Innsbruck bis Mitte der 1970er Jahre gab es die erste Welle der Antikörperentwicklung, mein Interesse galt aber von Beginn an der T-Zelle – und zwar getrieben durch einen Zufall. Der damals noch junge Ordinarius Professor Herbert Braunsteiner hat einmal in die versammelte Runde geblickt und halb im Scherz gesagt: „Da sind ja alles lauter alte Kerle, ich brauche junge Leute! Und wenn es keine Promovierten gibt, dann nehmen wir halt Studenten.“ Und so hatte ich tatsächlich mit 20 Jahren die Gunst, ein Labor zu bekommen und ein Thema. Das Thema waren Lymphozyten, diese kleinen ruhenden Zellen unklarer Funktion, von T- und B-Zellen wusste man damals nichts. Anfang der 60er Jahre hatten schwedische Forscher erkannt: Wenn man Lektine aus Pflanzen isoliert und auf Lymphozyten rührt, dann beginnen diese, sich zu transformieren. Die Erkenntnis war dramatisch, wie plötzlich aus ruhenden Zellen exponentiell wachsende Kulturen entstanden – und ich war einer der ersten weltweit, der das nachvollziehen konnte. Mit zunehmender Beschäftigung hat man die großen Lymphoblasten aus der Zellkultur dann auch in der Pathologie gesehen. Sie waren immer mit Entzündung assoziiert, mit viraler Inflammation. Bei Pfeifferschem Drüsenfieber waren 10 % der zirkulierenden Lymphozyten solche Blasten. So hat man verschiedene Phänomene zusammengetragen, bis klar war: Die transformierten Blasten hatten etwas mit aktiver Abwehr zu tun. Man hat sie bei Abstoßungsreaktionen gesehen, bei Transplantat-gegen-Wirt-Reaktionen. Ich habe dann in meinem ersten Labor in Innsbruck begonnen, B- und T-Lymphozyten zu charakterisieren, mit von uns entwickelten Methoden. Danach sind Zellkulturen aufgekommen, mit denen man aktivierte T-Zellen als Killerzellen charakterisieren konnte. Neue Methoden der gemischten Lymphozytenkultur und zellmediierten Lyse wurden von Post-Doc-Studenten von Forschungsreisen nach Innsbruck gebracht – und plötzlich war es möglich, verschiedene funktionelle Welten präklinisch abzubilden.
So hat sich die Geschichte durch Zufälle entwickelt. Strukturiert wurde der Werdegang dann, als man begonnen hat zu sehen, dass durch Übertragung von Immunzellen eines Spenders die Leukämie des Empfängers angegriffen wird, und als Impfstoffe und genetisch manipulierte Zelltherapeutika entwickelt wurden. Nachdem diese Idee stärker geworden ist, wurde auch klar, dass eine solche Entwicklung, wie sie mir vorschwebte, in der Academia nicht darzustellen ist. Die Fördermaßnahmen der öffentlichen Hand reichen quantitativ nicht aus, um den Weg von innovativen Produkten in die Klinik zu gehen. D. h., man muss wohl in die Gründung von Firmen gehen. Zudem, noch wichtiger, braucht es vertiefte Kenntnisse zum drug development, ein Wissen, das aus der Klinik allein nicht zu schöpfen ist. Regularien und Herstellungstechnologien sind herausfordernd. Gleiches gilt für Prüfungen zur klinischen Zulassung. Die meisten klinischen Forscher bekommen ausverhandelte Protokolle, die schwer genug umzusetzen sind, aber nur wenige wollen ein Produkt aktiv über die Hürden der Zulassung führen. Es ist ein hochspezialisierter Prozess, der komplementäre Fähigkeiten verlangt, die sinnvollerweise in der Academia nicht abgebildet sind. Aus diesem Grund haben wir Ende der 1990er Jahre begonnen, Firmen wie BioNTech zu gründen, nicht aus einer monetären Sehnsucht heraus, sondern weil die präklinischen Konzepte ermutigend waren.
Neben der ungeheuren Bedeutung, die eine prophylaktische Impfung in der Geschichte der Medizin bisher schon hatte, gibt es einen zweiten Paradigmenwechsel, eine Schallmauer, die wir derzeit zu durchbrechen beginnen, das ist die therapeutische Impfung. Die gängige Meinung ist, dass diese bei Tumoren nicht funktioniert. Unsere Daten zeigen, dass dieses Paradigma zu wanken beginnt und Zulassungen bevorstehen. Die Therapie basiert auf neuen Technologien, die von einem „Lebensmolekül“ getragen sind, das bisher in der Medizin therapeutisch noch nicht eingesetzt wurde, nämlich mRNA. Wir haben in den letzten 30 Jahren den Hauptfeind von mRNA besiegen gelernt, nämlich die ubiquitär vorkommende RNAse. Wir erreichen mit einer Injektion der genetisch modifizierten mRNA eine massive Expansion spezifischer T-Lymphozyten, d. h. solcher, die gegen individuelle Tumorneoantigene des Patienten gerichtet sind. Wir haben ursprünglich gedacht, dass Mutationen, die für die Krebsentstehung verantwortlich sind und diese vorantreiben, nur eine Handvoll an der Zahl sind, vielleicht 100 Mutationen bei soliden Tumoren. Wir dachten, dass diese Mutationen zumeist von klassischen Onkogenen abgeleitet sind, die Zellproliferation antreiben. In Wirklichkeit aber sind es unzählige individuelle „random“ Antigene. Jeder Patient hat andere. Geteilt werden nur 2–3 % shared antigens, und diese sind aus bestimmten Gründen schwer zu benützen. Die Schwierigkeit ist also, wenn man gegen patientenspezifische Tumorantigene eine therapeutische Strategie entwickelt, dass man diese individualisieren muss. Eine derartige Individualisierung hat es noch nie gegeben. Es braucht künstliche Intelligenz, Algorithmen. Bei Atopie, Heuschnupfen wird jeder Patient getestet. Man sieht, welche Allergene Hautreaktionen verursachen, und kann eine personalisierte Mischung herstellen. Die Anzahl an Antigenen ist aber überschaubar. Bei Krebs ist es eine unendliche Vielzahl. Eine solche therapeutische Impfung bei Krebs heißt, dass man sich von allen Regeln der üblichen Arzneimittelentwicklung trennen muss. Man muss den Aufwand, den man sonst für Blockbuster-Medikamente betreibt, für einen einzelnen Patienten betreiben, und man muss die Herstellungsregularien ändern. Das Überspringen dieser Hürden war gebunden an ein Bündel von Technologierevolutionen. Neben mRNA als Träger für Impfantigene war es notwendig, dass man sämtliche Prozesse digitalisiert und roboterisiert. In Mainz stehen mittlerweile mehrere Fabriken mit Produktionsstraßen, wo man vorne Patientenproben hineinsteckt und hinten kommt der Impfstoff heraus. Die Öffentlichkeit beginnt unter anderen Vorzeichen gerade zu verstehen, welche Bedeutung der Impfung innewohnt. In der Onkologie wird die Validierung unseres Konzepts im Sinne der Zulassung am Menschen in mehreren Studien erfolgreich vorangetrieben, in Wien besonders von Professor Christoph Höller.
Was also ist in der Hämatologie und Onkologie, wenn man es aus einer Vogel-perspektive betrachtet, über die letzten 50 Jahre geschehen? Es hat ein Reifungsprozess stattgefunden von einem diagnostischen Bereich mit therapeutischem Nihilismus und einer weitgehenden Ahnungslosigkeit über Pathomechanismen hin zu einem wissenschaftlich besser verstandenen Gebiet mit substanziellen Heilungsfortschritten und soliden Hypothesen, wie man die Onkologie weiter verbessern kann. All das ist nicht von oben verordnet worden, von mächtigen Eminenzen, sondern es waren die Forscher, die aus den Grundlagen heraus Fortschritte ermöglicht haben.