Krebs)Erkrankungen von Personen im erwerbsfähigen Alter sind in Österreich von sozialpolitischer und wirtschaftlicher Relevanz. Durch zunehmend arbeitsplatzorientierte Rehabilitations- und Wiedereingliederungsmaßnahmen wird mit Mitteln der Sozialpolitik versucht, von (Krebs)Erkrankungen Betroffenen den Einstieg zurück in das Berufsleben zu erleichtern. Die kleinteilige österreichische Unternehmensstruktur, ein chronischer Arbeitsmedizinermangel und die aktuelle Pandemielage erschweren die Zielerreichung, erste Kombilohnmodelle zur finanziellen Absicherung der Betroffenen haben sich aber im Kontext von Erkrankungen und Arbeitswelt bewährt.
Im Jahr 2017 wurden in Österreich bei 41.389 Menschen Krebsneuerkrankungen dokumentiert, zum Jahresende 2017 lebten in Österreich 357.781 Personen mit der Diagnose Krebs. Die Gesamtzahlen, die Altersverteilung, die Krankenstandsdaten sowie die altersspezifische Inzidenz aller Malignome in Österreich1 zeigen, dass Rehabilitation und Wiedereingliederung von von Krebserkrankungen Betroffenen in die Arbeitswelt wirtschaftlich und politisch ein wesentliches Thema ist (Abb.).
Krankenstände wegen Krebserkrankungen spiegeln sich statistisch in der Altersgruppe der erwerbsfähigen Personen sehr unterschiedlich wider. Weniger als 1 % der Krankenstandsfälle und weniger als 4 % der Krankenstandstage gehen auf das Konto von Neubildungen (nach ICD 10). Die durchschnittliche Krankenstandsdauer hingegen liegt mit 42,5 Tagen pro Fall weit über dem Schnitt der Krankenstandstage aus anderen Krankheitsgruppen (Krankenstandsdauer-Durchschnittswert 2018: 13,1 Kalendertage). An zweiter Stelle bei den langen Krankenständen finden sich psychische und Verhaltensstörungen mit 34,6 Tagen durchschnittlicher Krankenstandsdauer (siehe Übersicht 1.7 WIFO Fehlzeitenreport 20192). Derart lange ununterbrochene Krankenstände können für Betroffene über die gesundheitliche Belastung hinaus auch das Risiko erhöhen, den Arbeitsplatz zu verlieren.
Um dieses wirtschaftliche Risiko für von überdurchschnittlich langen durchgehenden Krankenständen Betroffene zu mildern und deren Arbeitsfähigkeit zu erhalten oder zu verbessern, wurden in Österreich seit den 1990er Jahren und insbesondere im letzten Jahrzehnt verschiedene gesetzliche Verbesserungsschritte vorgenommen. In den letzten Monaten wurden überdies pandemiebedingt sondergesetzliche Regelungen für die Arbeitnehmer, die Angehörige der sogenannten Risikogruppe sind, erlassen.
Diese gesetzlichen Regelungen umfassen insbesondere
Angebote zur frühzeitigen Beratung und Begleitung zur Sicherung des Arbeitsplatzes und zur Vermeidung von Berufsunfähigkeit (fit2work), die eine lange Krankenstandsdauer als Voraussetzung haben, werden von Betroffenen psychiatrischer/psychischer Erkrankungen sehr häufig in Anspruch genommen (1. Platz der Inanspruchnahmeraten mit 36,4 %, vgl. Fit2work Jahresbericht 20193). Betroffene mit Krebserkrankungen hingegen machen jedoch nur 1,7 % der Beratungsfälle bei fit2work aus.
Bemerkenswert ist, dass trotz der geringen Inanspruchnahmerate von fit2work-Beratungen rund 15 % der Wiedereingliederungsgeld-BezieherInnen eine Krebs-Diagnose aufweisen.4
Da eine Beratung durch eine fit2work-Organisation oder alternativ durch einen Arbeitsmediziner bzw. ein Arbeitsmedizinisches Zentrum für das Wiedereingliederungsprozedere und den Bezug von Wiedereingliederungsgeld rechtlich zwingend erforderlich ist, drängt sich die Vermutung auf, dass die Mehrzahl der Wiedereingliederungsgeld-Bezieher in größeren Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten beschäftigt sein dürfte. Die größeren Unternehmen sind verpflichtet, Arbeitsmediziner bzw. Arbeitsmedizinische Zentren unter Vertrag zu nehmen. Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten haben nur zum Teil eine (auch nur weitmaschige) arbeitsmedizinische Betreuung (diese umfasst im Bedarfsfall auch eine medizinische Beratung zu Wiedereingliederungs-Teilzeitvereinbarungen) durch das für die Unternehmen kostenlose AUVAsicher-Programm der AUVA, denn der AUVAsicher-Marktanteil in Prozent aller betreubaren ArbeitnehmerInnen im Zeitraum 1999 bis 2018 betrug lediglich 57,8 %.5
Berufliche Maßnahmen der Rehabilitation werden grundsätzlich im Bereich der Sozialversicherung von einem Unfallversicherungsträger (in Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall bzw. einer Berufskrankheit) oder von einem Pensionsversicherungsträger – allerdings ohne Rechtsanspruch – erbracht. Bei drohender Invalidität bzw. Berufsunfähigkeit besteht allerdings bei Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ein Rechtsanspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation. Der Grundsatz „Rehabilitation vor Pension“ tritt verstärkt in den Vordergrund. Eine befristete Gewährung einer Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension kommt für ab 1. 1. 1964 geborene Versicherte nicht mehr in Betracht. Dessen ungeachtet haben zum Stand Dezember 2019 insgesamt 6.451 an Krebs erkrankte Personen von der Pensionsversicherungsanstalt eine Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension bezogen (2.348 Frauen, 4.103 Männer). Davon waren noch 277 befristet (98 Frauen, 179 Männer). Im Jahr 2019 gab es 1.756 neue Zuerkennungen6.
Statt krankheitsbedingter Pensionsleistungen wird nunmehr Rehabilitationsgeld oder Umschulungsgeld gewährt (in den Jahren 2018 und 2019 haben nach den Daten der ÖGK 2.771 an Krebs erkrankte Personen Rehabilitationsgeld bezogen).7 Die medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation wurden durch die Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen um Maßnahmen der medizinisch-berufsorientierten Rehabilitation erweitert. Neben der Erkrankung wird speziell die berufliche Situation der Rehabilitanden berücksichtigt. Seit 1. 1. 2018 bietet die Pensionsversicherungsanstalt das neue Konzept „RehaJET“ (Rehabilitation für Job, Erwerbsfähigkeit und Teilhabe) in ihren eigenen Einrichtungen an. In sogenannten Workparks wird in einem simulierten bzw. nachgebauten Arbeitsumfeld trainiert, wodurch die für den Arbeitsplatz erforderlichen Abläufe und Bewegungen geübt, verbessert und trainiert werden.
Spannend ist die Frage, inwieweit das Konzept RehaJET auch spezifische berufsorientierte Bedürfnisse onkologischer Rehabilitation abdecken wird. Die Bewältigung der Schnittstelle zwischen Reha und Wiedereingliederung auf einen Arbeitsplatz wird zusätzlich auch – wie in § 81 Abs. 3 AschG statuiert – die Kooperation insbesondere mit Arbeitsmedizinern und im Bedarfsfall mit sonstigen Experten brauchen. Mit Hinweis auf den allgemeinen Arbeitsmedizinermangel8 und die seit Jahrzehnten lückenhafte arbeitsmedizinische Betreuung von Klein- und Mittelbetrieben in Österreich (mit weniger als 50 Beschäftigten), die immerhin mehr als 910.000 Arbeitnehmer beschäftigen,9wird die Herausforderung darin liegen, diese Unterstützung zur (Wieder-)Eingliederung faktisch in den Betrieben leisten zu können.
Die neuen arbeitsschutzrechtlichen Rahmenbedingungen10 der COVID-19-Pandemie, die für einen Teil der von Krebserkrankungen Betroffenen gelten, die zur Risikogruppe (im Sinn der COVID-19-Risikogruppe-Verordnung, BGBl II 203/2020) zählen, sind für jenen Teil, der Homeoffice durchführen kann, hinsichtlich der wegfallenden Reisezeiten eine Erleichterung – ob der IT-Arbeitsplatz zuhause eine Erleichterung und Verbesserung darstellt, ist wohl schwieriger zu beantworten. Für jene Betroffenen, die nicht von einem Homeoffice aus arbeiten können, erleichtert die Risikogruppe-Rechtslage den Einstieg bzw. Wiedereinstieg in den Beruf zwar nicht, gewährt jedoch – falls die Voraussetzungen zur Arbeitsleistung im Betrieb nicht erfüllbar sind – unter den gesetzlichen Bedingungen einen Rechtsanspruch auf Dienstfreistellung bei vollem Entgeltfortzahlungsanspruch. Dieser Weg der Berücksichtigung gesundheitlicher Einschränkungen oder Gefährdungen durch kombinierte Entgeltmodelle (mit Entgeltanteilen der Arbeitgeber sowie Beiträgen der Sozialversicherungsträger) und Arbeits(zeit)adaptionen, der mit dem Wiedereingliederungsgeld erstmals klar gezeichnet wurde, wird nun während der Pandemie der Grundidee nach weitergetragen und wird hoffentlich als „Kollateralnutzen“ der Krise auch nach der Krise nicht verschwinden, sondern in bedarfsangemessener Form für genesen(d)e oder chronisch kranke Arbeitnehmer weiterentwickelt und verbessert werden.
Viele der gesetzten sozialpolitischen Maßnahmen sind erst seit vergleichsweise kurzer Zeit umgesetzt und wirksam. Verlässliche Kosten- und Nutzen-Erhebungen zu diesen Maßnahmen sind kaum verfügbar, das erschwert das politische Handeln erheblich – zu unser aller Nachteil.