Mag. Dr. Karl Kashofer: Durch Mutationen werden Proteine in der Tumorzelle verändert und können vom Immunsystem als fremd erkannt werden. Mutationen einer Tumorzelle sind der entscheidende Unterschied zur normalen Körperzelle. Je mehr Mutationen vorhanden sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für veränderte Proteine, die vom Immunsystem erkannt werden.
Der menschliche Körper enthält 23.000 Gene. Diese sind kodiert durch 44 Megabasen (44 Millionen Basen, MB), die 1 % des Gesamtgenoms ausmachen. Das heißt, wenn ich alle Veränderungen im Tumor erkennen will, die proteinkodierend sein können, muss ich 44 Megabasen sequenzieren, das ist das Whole Exome Sequencing. 44 MB fehlerfrei zu sequenzieren, ist aber auch heute noch keine einfache Aufgabe. Eine Publikation von Campesato et al. (Oncotarget 2015) zeigt jedoch: Ich muss nicht das gesamte Exom sequenzieren, sondern es reicht ein Teil davon, nämlich eine Megabase. Man bekommt statistisch die gleiche Aussage, und es ist letztlich auch das, was wir in Graz machen, unser Genpanel hat 1,7 MB. Wir sind bei der TMB auf der Suche nach somatischen Mutationen, dafür wird Tumorgewebe benötigt. Weiters braucht es prinzipiell auch Normalgewebe, um die im Patienten vorhandenen Keimbahnvarianten abzuziehen, auf die der Körper trainiert ist und die daher für die Immuntherapie keine Bedeutung haben.
Wenn man die Analyse ohne Normalgewebe durchführt, muss man die Keimbahnvarianten durch Rückgriff auf Datenbanken herausfiltern.
Dieser Test ist eine Möglichkeit. Die wissenschaftliche Evidenz dahinter ist aber prinzipiell die, zu wissen, wie viele Mutationen in einem Tumor sind und dass man diese mit einem Panel errechnen kann. FoundationOne etwa rechnet ohne Normalgewebe. Untersucht werden über 300 tumorassoziierte Gene, Keimbahnvarianten werden durch öffentliche und proprietäre Datenbanken herausgerechnet, und so kommt FoundationOne auf eine Mutationszahl. Wenn damit weltweit Zigtausende Analysen erfolgen, dann werden sukzessive immer mehr Keimbahnvarianten bekannt und der Assay wird verbessert, sodass man schlussendlich wohl auch ohne Normalgewebe relativ verlässlich arbeiten kann. Der Algorithmus und die Datenbanken dahinter sind aber firmenintern und nicht öffentlich zugänglich. Dadurch kann das Ergebnis nur schwer mit anderen Assays verglichen werden und es entsteht ein großer Vendor Lock-in, über kurz oder lang also eine Monopolstellung einer einzelnen amerikanischen Firma für die diagnostische Untersuchung aller einer Immuntherapie zugänglichen Patienten weltweit.
Hier handelt es sich um eine unklare Definition des Begriffes Mutation. Eine Mutation ist üblicherweise als somatische Veränderung, also als Unterschied zur Keimbahn definiert. Die vererbbare BRCA-Mutation in BRCA-positiven Familien ist aber, streng genommen, keine Mutation, sondern eine heterozygot vorliegende proteinzerstörende Keimbahnvariante. Da BRCA ein Tumorsuppressor ist, kann der Körper dies mit der funktionierenden Kopie auf dem anderen Allel kompensieren. Erst wenn durch eine somatische Veränderung, den sogenannten „second hit“, diese gesunde BRCA-Kopie verloren geht, kommt es zu weiteren genetischen Veränderungen und letztlich zur Neoplasie und zum Tumor. Ob die genetischen Veränderungen durch den BRCA-Verlust auch zur Immunogenität des Tumors führen, wurde bisher noch nicht untersucht.
Wir haben unterschiedliche Sequenzierpanels, jedes enthält etwas andere Gene, aber man nimmt an, dass ab einer Megabase fehlerfreier Sequenzierung die Vergleichbarkeit gegeben ist. Das ist der Punkt. Vergleichen kann man aber nur, wenn man sicher ist, dass das, was man misst, somatische Mutationen und keine Keimbahnvarianten oder Sequenzierartefakte sind. Der Befund „somatische Mutationen pro analysierter Megabase DNA“ ist zwischen Plattformen vergleichbar. Probleme entstehen eventuell, weil die einzelnen Panels nicht die gleichen Regionen fokussieren, dadurch werden mit unterschiedlichen Plattformen jeweils andere Gene analysiert, von denen ein gewisser Teil überlappend ist, aber eben nicht vollumfänglich. Beim Whole Exome Sequencing ist das nicht so, weil das Exom definiert ist. Bei einem Genpanel kann man sich vorstellen, wenn in einem Panel TP53 enthalten ist, das bei einem hohen Prozentsatz der Tumoren mutiert ist, und im anderen Panel nicht, dass sich die Messwerte der beiden Panels unterscheiden werden. Was man machen kann, ist, dass man bekannte Tumortreibermutationen aus der TMB herausrechnet, damit bekommt man eher eine auf das gesamte Exom angepasste Mutationslast. Dieser Bias entsteht übrigens dadurch, dass wir gewohnt sind, uns im Tumor auf die Treibergene zu konzentrieren, um zu wissen, warum der Tumor wächst. Das heißt, die Gene, die wir sequenzieren, sind jeweils die am häufigsten mutierten Gene; das heißt natürlich auch, dass die TMB, die wir ausrechnen, nicht jener des gesamten Genoms entspricht. Da die Treibermutationen aber gut untersucht sind, sollte es möglich sein, diese in der Analyse zu unterdrücken – das wird ja auch bei FoundationOne so gemacht.
Grob gesagt, sehen wir ein großes Spektrum an Mutationslast: auf der einen Seite Tumoren mit 0–3 Mutationen und auf der anderen Seite Tumoren mit 20+ Mutationen. Erstere sind vor allem Tumoren im Kindes- und Jugendalter, die sich generell durch wenige Mutationen auszeichnen. Letztere sind typischerweise MSI-high-Tumoren, Melanome und Lungenkarzinome von Rauchern, die eine hohe Mutationsrate aufweisen. Bei all dem ist es aber wichtig, zu wissen, dass anscheinend nur sehr wenige Mutationen vom Immunsystem erkannt werden. Auch wenn die Chance auf solche Neoantigene mit der Anzahl der Gesamtmutationen steigt, heißt das noch nicht, dass man im umgekehrten Fall bei wenigen Mutationen eine Immunantwort ausschließen kann. Daher wird ein Cut-off vielleicht schwer zu finden sein. Ich denke, dass sich die TMB nicht zu einem alleinstehenden Entscheidungskriterium entwickeln wird. Sondern in der klinischen Situation, in der Zusammenschau mit allen anderen Parametern, ergibt sich bei hoher Mutationslast eher eine Indikation zur Immuntherapie als bei geringer Mutationslast. Es wird nicht so sein, dass wir vonseiten der Pathologie einen Befund liefern mit der Diagnose „8 Mutationen, kein Ansprechen auf Immuntherapie“ oder „12 Mutationen, sicheres Ansprechen auf Immuntherapie“ – so darf man sich diesen Parameter nicht vorstellen.
Diese Cut-offs sind aus den retrospektiven Daten abgeleitet und scheinen sich derzeit bei 10 Mutationen pro Megabase Tumorgenom einzupendeln. Wenn man sich die Scatter-Plots der Kohorten ansieht, so erkennt man aber sehr klar, dass die Trennung zwar statistisch signifikant, aber in der Praxis nicht sehr stark ist. Außerdem sind alle bisherigen Studien nur mit dem Test von FoundationOne durchgeführt worden. Was
Begleittests, sogenannte Companion Diagnostics, generell betrifft, so besteht in Europa schon lange die Tradition, dass wir versuchen, technologisch offen zu bleiben. Das heißt, wir sind nicht restriktiv an einen bestimmten Diagnosetest für ein Medikament gebunden, sondern wir zielen auf die biologische Ursache ab. Das hat Vorteile, führt aber auch zu einer heterogenen Landschaft, weil nicht alle Tests gleich gut sind. Es muss uns aber in der gesamten molekularen Pathologie bewusst sein, dass wir oft keine Schwarz-Weiß-Antworten geben können. Wir finden natürlich indikative Mutationen und können diagnostisch den Tumor klassifizieren. In der Praxis aber muss die Therapieentscheidung immer im Kontext der Gesamterkrankung des Patienten und mit dem Wissen und der Erfahrung des Klinikers getroffen werden.
Interesse ist vorhanden, man würde die Information gerne haben. Es gibt aber noch Unsicherheiten in der Anwendung und man darf nicht vergessen: Die Testung kostet Geld. Das Problem des österreichischen Gesundheitssystems in diesem Bereich ist, dass die Diagnostik nicht von den Kassen bezahlt wird, sondern aus dem Klinikbudget. Auf der anderen Seite finden wir auch nur relativ wenige Patienten mit so hoher Mutationslast, dass sich eine Indikation zur Testung zwingend ableiten ließe. Dennoch ist es so, dass der Aufwand der Kassen gegenüber den Medikamentenkosten geringer wäre. Ich bin der Überzeugung, dass man bei guter Diagnostik zu einem gezielteren Einsatz von Medikamenten kommt und damit nicht nur einen therapeutischen Vorteil für den Patienten erzielt, sondern auch die Gesamtkosten der Behandlung senken kann.
Ich denke, dass wir in den nächsten Jahren das Immunsystem und seine Reaktion auf den Tumor näher charakterisieren werden. Prinzipiell brauchen wir für die Immuntherapie drei biologische Ereignisse: erstens einen immunogenen Tumor, hier ist der TMB derzeit der aussichtsreichste Kandidat; zweitens eine Immunantwort des Körpers, hier wird uns eventuell die Analyse des Immunrepertoires der den Tumor infiltrierenden Lymphozyten weiterhelfen. Und drittens braucht es eine Immunsuppression der Immunantwort durch den Tumor, die in vielen Fällen durch Immunhistochemie auf PD-L1 und andere Proteine nachweisbar ist. Unter Berücksichtigung dieser unterschiedlichen biologischen Ursachen ist es auch nachvollziehbar und mit den bisherigen Daten vereinbar, dass ein TMB-high-Tumor nicht unbedingt PD-L1-high sein muss und umgekehrt. Deshalb werden sich die TMB-Testung und die PD-L1-Testung nicht konkurrieren, sondern einander ergänzen.
Zur TMB bleibt noch zu sagen, dass wir derzeit in Graz eine Studie zur Vergleichbarkeit von TMB-Analysen zwischen FoundationOne und anderen Anbietern durchführen. Wir wollen dazu Zentren aus ganz Österreich, die schon Erfahrung mit FoundationOne haben, zur Teilnahme einladen. Start war im Juli dieses Jahres und wir würden uns freuen, wenn wir zahlreiche österreichische Zentren in das Projekt einschließen können.