Definiert man Burn-out wesentlich über Arbeitsqualität, dann stellen sich natürlich Fragen wie: Was ist qualitätsvolles Arbeiten? Wann können wir sinnvollerweise überhaupt von Arbeiten sprechen? Welche Tätigkeiten werden heute als Arbeit bezeichnet? Welche Bedeutung geben wir der Arbeit in unserer Gesellschaft? Diese Fragen erscheinen auf den ersten Blick banal, sind aber bei genauerem Hinsehen keineswegs einfach zu beantworten; vor allem deshalb auch nicht, als wir Axel Honneth, dem wohl bedeutendsten deutschsprachigen Philosophen unserer Zeit, nur zustimmen können, wenn er in seinem 2010 erschienenen Buch „Das Ich im Wir“ konstatiert: „Noch nie in den letzen 200 Jahren hat es um Bemühungen, einen emanzipatorischen, humanen Begriff der Arbeit zu verteidigen, so schlecht gestanden wie heute (…) den Tendenzen eines intellektuellen Rückzugs aus der Arbeitswelt entspricht freilich in keiner Weise die Stimmung in der Bevölkerung … Die Sehnsucht nach einem nicht nur subsistenzsichernden, sondern auch individuell befriedigenden Arbeitsplatz ist keineswegs verschwunden, nur bestimmt sie nicht mehr die öffentlichen Diskussionen und die Arenen der politischen Auseinandersetzungen.“
Wir alle wissen zwar ziemlich genau, was wir meinen, wenn wir über das Arbeiten bzw. die Arbeit sprechen, und dennoch fällt es ungemein schwer, ja ist es schier unmöglich, heute eine allgemein verbindliche, von großer Mehrheit getragene Definition der Arbeit zu finden. Ist Arbeit wirklich nur Tätigkeit für andere oder ist sie wirklich nur das Notwendige, um den Lebensunterhalt zu verdienen; ist Arbeit fremdbestimmte Mühsal oder ist sie selbstbestimmte Verwirklichung des Menschen; ist sie Lebenszweck oder möglichst zu vermeidende Qual; ist sie Hort der Lebensfreude oder schwer ertragbare Aufgabe, ist sie schlichtweg bezahlte Tätigkeit oder darüber hinaus auch Möglichkeit der Menschwerdung? Für viele alles gemeinsam und für andere gleichzeitig kaum etwas davon. Rein pragmatisch gesehen, könnte man Arbeit als Summe jener Tätigkeiten des Menschen definieren, die von ihm als Arbeit erlebt werden – eine für den Einzelnen zwar in der Regel zutreffende, für allgemeine sozialpolitische Überlegungen zur Verbesserung der Arbeitsqualität in einer Gesellschaft aber völlig unzureichende Definition.
Das zentrale Problem der Definition von Arbeit liegt in der Abgrenzung von Tätigkeiten, die als Arbeit anzusehen sind, und jenen, die nicht als Arbeit gelten und dann nicht selten als „Freizeitaktivitäten“ ausgewiesen werden. Für die Griechen der Antike erschien diese Trennung noch einfach: Arbeit ist für sie das, was außerhalb des freien Lebens geschieht. Aristoteles unterscheidet drei Lebensweisen, zwischen denen ein freier Mann wählen kann: erstens das Leben, das im Genuss und Verzehr des Schönen dahingeht; zweitens das Leben, das innerhalb der Polis schöne Taten erzeugt; und drittens das Leben des Philosophen, der durch Erforschen und Erschauen dessen, was nie vergeht, sich in einem Bereich immerwährender Schönheit aufhält. formen des freien Mannes ausgeschlossen, sie bleibt Lebenszweck und Aufgabe von Sklaven. Mit dem Begriff Arbeit wurden also damals alle jene Tätigkeiten belegt, die als „unfrei“ galten, die demgemäß von Sklaven auszuführen waren, wobei hier vor allem alle körperlichen Tätigkeiten, die dem Lebenserhalt dienen, gemeint waren.
Arbeit als Tätigkeit außerhalb des freien Lebens: eine Anschauung, die zumindest als Hintergrundsaktivität bis heute Nachhaltigkeit zeigt. „Work-Life-Balance“ ist fatalerweise heute einer der prominentes – ten Begriffe des gesellschaftlichen Arbeitsdiskurses. Arbeit wird damit auch hier begrifflich aus dem „eigentlichen Leben“ ausgeschlossen; es gilt Arbeit demnach in eine ausgewogene Relation mit dem eigentlichen Leben zu stellen. Auf diese Weise wird die Arbeit zu einem nicht anstrebenswerten, eigentlich zu vermeidenden Unding unserer Welt. Auch die heute so oft gehörte Gegenüberstellung von „Arbeit“ und „Freizeit“ zeugt noch von aristotelischem Einfluss auf die heutige Lebens- und Erlebniswelt.
Die Reduktion der Arbeit auf Sklaventätigkeit und Frondienst findet sich aber keineswegs nur bei den alten Griechen. Auch im Deutschen war ursprünglich mit dem Wort ‚Arbeit‘ die Knechtsarbeit des Tagelöhners gemeint. Erst später wird der Arbeitsbegriff dann auch auf die Tätigkeiten von Handwerkern ausgedehnt. Und auch das slawische Wort für Arbeit, ‚rabota‘, steht für Knechtsarbeit bzw. Frondienst (vgl. ‚rab‘ = Knecht, Leibeigener, Diener). Geradezu martialisch wird die Bedeutung von Arbeit bei Betrachtung der Herkunft des französischen Wortes für arbeiten, ,travailler‘. M. Bierwisch bemerkt dazu in seinem 2003 erschienen Buch „Die Rolle der Arbeit in verschiedenen Epochen und Kulturen“: „Das Wort kommt vom mittellateinischen ‚tripalis‘, das auf ein griechisches Wort ‚tripassalon‘ für einen als Folterwerkzeug dienenden Dreipfahl zurückgeht. Im 12. Jahrhundert meint ‚travailler‘ noch ‚martern‘, ‚quälen‘ …“.
Seither widerfuhren dem Begriff Arbeit allerdings mannigfache Bedeutungsveränderungen. Mit dem Siegeszug des Protestantismus erlangte Arbeit zumindest in weiten Teilen der westlichen Welt eine positive Konnotation: sie wurde zur Gottesaufgabe; ihr Gegenspieler, der Müßiggang, zum Teufelswerk. In der Neuzeit gilt Arbeit dann als Tätigkeit zur Produktion von Gütern. Ihre Aufgabe ist die Herstellung von Gegenständen, und sie wird damit neben Boden und Kapital zum unverzichtbaren dritten Produktionsfaktor. Bei Marx bekommt die Arbeit dann eine Doppelbedeutung: einerseits verheißt sie unmittelbare Verwirklichung des Menschen, andererseits führt sie aber auch unmittelbar zur Entfremdung des Menschen. Der Mensch selbst wird zur Produktionsmaschine und verliert damit sein Menschsein. Demgegenüber kann man Arbeit aber natürlich auch als Mittel zur Entfaltung des Menschen oder gar als unverzichtbaren Mittler in der Menschwerdung des Menschen sehen – eine Anschauung, die allerdings leider nur von wenigen geteilt wird.
Der heutige politische Diskurs zur Arbeit fokussiert wenig einfallsreich nahezu ausschließlich auf die Fragen, wie viele Wochenstunden man arbeiten soll bzw. wie viele Jahre es bis zum staatlich verordneten Ruhestand braucht. So wichtige – weil auch (über)lebensbestimmende – Fragen zur Bedeutung der Arbeit als weltgestaltendes Element, Fragen zur Sinnfindung und Sinngebung durch Arbeit, Fragen zur Arbeitsqualität, zur Arbeitsethik und zur Arbeitsästhetik (alles Fragen, deren Beantwortung für eine zielführende Burn-out-Prophylaxe unverzichtbar ist) bleiben dabei auf der Stre – cke. Die Folgen einer solchen weitgehend fehlenden Arbeitskultur entäußern sich dann nicht zuletzt auch in einer heute immer mehr zunehmenden Arbeitsüberforderung, Erschöpfung, in Energieverlust, Leistungsminderung und Abkehr von der Mitwelt – alles Zeichen von Burn-out, dem Thema dieses Schwerpunktheftes, zu dessen Lektüre ich Sie herzlich einlade!
Mit meinen besten Wünschen für ein freudvolles Leben fernab des Burn-out
Herzlichst Ihr
Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Musalek