Burn-out bei professionellen Helfern in Psychiatrie und Psychotherapie

Herbert Freudenberger beschrieb damals eine Gruppe von Mitarbeitern einer Anlaufstelle für Drogenabhängige in New York, die als zunächst engagierte Helfer mit zunehmender Erschöpfung und einer distanzierten Einstellung gegenüber ihren Klienten wie auch einer negativen Wahrnehmung ihrer eigenen Arbeitsleistung zu kämpfen hatten. Ein eigentliches wissenschaftliches Profil erhielt der Begriff allerdings erst durch Christina Maslach, Sozialpsychologin im kalifornischen Berkeley. Sie beschrieb vor allem, wie Menschen im Gesundheitswesen und sozialen Berufen mit emotionalen Belastungen umgehen. Im Wesentlichen bestätigt sie die Beobachtung Freudenbergers und charakterisiert Burn-out durch drei Themenbereiche1:

• Emotionale Erschöpfung: Befragte schildern das Gefühl, emotional ausgelaugt zu sein und nicht mehr mitfühlen zu können,
• Depersonalisierung: Die Fachleute begegnen ihren Klienten mit Widerwillen oder Zynismus,
• reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit: Die Fachleute durchleben eine Krise hinsichtlich ihrer professionellen Kompetenz.

Zahlreiche Untersuchungen haben in der Zwischenzeit die Ergebnisse von Christina Maslach bestätigt und weiter differenziert. Was aber inzwischen deutlich wurde ist, dass Burn-out kein Phänomen ist, das sich exklusiv auf Gesundheitsund Sozialberufe beschränkt, sondern in unserer heutigen Dienstleistungsgesellschaft breitere Bevölkerungsschichten erfasst zu haben scheint. Nach wie vor gültig ist, dass sich Burn-out auf den Arbeitskontext bezieht.

Belastung der Sozialleistungssysteme durch psychische Erkrankungen

Burn-out ist aber nicht nur ein mediales Phänomen, sondern belastet in vielfacher Hinsicht unsere Sozialleistungssys – teme. Psychische Erkrankungen ganz allgemein – und davon besonders häufig Depressionen – führen in der westlichen Welt zu immer mehr Krankschreibungen. Seit 1994 hat sich die Zahl der Krankschreibungen wegen psychischen Erkrankungen verdoppelt. Ebenso hat sich die Länge der Krankschreibung in dieser Zeit verdoppelt2. Psychische Erkran – kungen nehmen damit inzwischen den 5. Platz unter allen Krankheitsarten ein, die zu Krankschreibungen führen. Besonders häufig bei den Krankschreibungen sind natürlich Atemwegserkrankungen, Muskel- und Skeletterkrankungen sowie Verletzungen – also häufig alles banale Alltagserkrankungen mit relativ kurzen Abwesenheiten. Psychische Störungen führen zu den längsten Abwesenheiten mit durchschnittlich 23,4 Fehltagen.
Wenn wir nun die Daten der Krankenkassen daraufhin betrachten, welche Berufsgruppen von Krankschreibungen besonders betroffen sind, sind es zunächst einmal körperlich sehr anstrengende Berufe. Helfer in der Krankenpflege fallen auch in diese Gruppe, wobei es in diesem Zusammenhang wohl weniger um psychiatrische Krankenpflege geht. Nun sind Personen aus der Krankenpflege nicht nur allgemein krankheitsanfälliger, sondern sie sind auch in den Fehlzeitenstatistiken besonders anfällig für psychische Erkrankungen.
Auf der Seite der Berufsgruppen, die besonders wenig krankgeschrieben sind, ragen Ärzte mit 7,5 Arbeitsunfähigkeitstagen besonders heraus. Daraus sollte man nicht prinzipiell schließen, dass Ärztinnen und Ärzte im Vergleich zu anderen Berufsgruppen besonders gesund wären. Die Annahme liegt nahe, dass Ärzte sich in der Regel einem hohen Arbeitsethos verpflichtet fühlen und eher selten wegen Alltagserkrankungen von der Arbeit fern bleiben. Ärzte stehen deshalb möglicherweise in einem erhöhten Risiko für Burnout, weil sie weniger Rücksicht auf ihre Gesundheit nehmen.

Burn-out im Gesundheitswesen

Es gibt eine Vielzahl von Untersuchungen, die sich speziell mit Burn-out im Gesundheitswesen beschäftigen. Der Eindruck, den man aus dieser Vielzahl von Studien gewinnt, ist jedoch eher verwirrend, und deren Bedeutung im Einzelnen schwer einzuschätzen3–8. Es scheint klar zu sein, dass insbesondere ärztliche Berufsanfänger unter einem besonderen Burn-out-Risiko stehen9. Aber ob psychiatrische Assistenzärzte und auch Pflegepersonen ein erhöhtes Risiko für Burn-out zeigen, scheint sehr vom kulturellen Kontext, sprich von den Arbeitsbedingungen abhängig zu sein. Die Arbeitszufriedenheit und umgekehrt das Risiko für Burn-out von Ärzten scheint vorrangig von Arbeitslast, Arbeitsatmosphäre, Beziehungen zu Vorgesetzten, Beziehung zu Patienten und Kompensationsmöglichkeiten abzuhängen. Weitere Risikofaktoren für ein Burnout im Gesundheitswesen sind hohe Patientendichte, häufiger Wechsel des Arbeitsplatzes, schneller Arbeitstakt, wechselnde Arbeitszeiten, Rollenunklarheit, Verantwortungsüberlastung und geringe Tätigkeitsspielräume. Der größte Stressfaktor für Ärzte ist jedoch so genannte patientenferne Arbeit, z. B. administrative Arbeiten.

Wandel der Unternehmenskultur: Ärzte sind heute mit einem deutlichen Wandel der Unternehmenskultur im Gesundheitswesen allgemein und speziell in den Kliniken konfrontiert. Vor nicht all zu langer Zeit waren Kliniken ganz vorrangig an den Werten der Medizin und Pflege orientiert. Die administrative Organisation stand im Dienste der übergeordneten medizinischen und pflegerischen Behandlungsziele.
Heute stellt der größte Teil der Kliniken betriebswirtschaftlich geführte Unternehmen dar, die vorrangig auf ökonomische Ziele ausgerichtet sind. Dabei geht es auch um den Abbau ineffizienter Leis – tungseinheiten. In diesen Umstrukturierungsprozessen werden insbesondere die autonomen Entscheidungsprozesse der diversen Berufsgruppen in Frage gestellt und den ökonomisch vorgegebenen Zielen untergeordnet. Zu diesem Punkt lässt sich sagen, dass die gemeinsame Werteorientierung des Unternehmens im Gesundheitswesen nicht mehr klar ist. Eine von der beruflichen Werteorientierung abweichende unternehmerische Werteorientierung stellt ebenfalls einen Risikofaktor für ein Burn-out dar.

Persönlichkeit und Burn-out

Die Rolle der Persönlichkeit bei der Entwicklung eines Burn-out ist kompli ziert3, 8, 10. Korrelationen zwischen bestimmten Persönlichkeitszügen und Burn-out sollen jedenfalls nicht „kausal“ interpretiert werden, weil aus Querschnittsuntersuchungen die Richtung der Kausalität nicht unbedingt deutlich wird. So suchen Menschen beispielsweise Berufe, die ihrer Persönlichkeit entsprechen, und diese Berufe können ihrerseits für Burn-out prädestinieren. Sicher kann man sagen, dass bestimmte Persönlichkeitszüge moderierend wirken, wie stressreiche Situationen von der einzelnen Person erlebt und verarbeitet werden (Tab. 1).


Vermutlich finden wir in Gesundheitsund Sozialberufen eher Menschen, die sich für andere Menschen interessieren, die eher gefühlsorientiert und einfühlsam und die durch Sorge und Aufmerksamkeit für andere geprägt sind. Auf einem Kontinuum einer Persönlichkeit finden wir auf der anderen Seite in technischen Berufen eher Menschen, die sich für Dinge interessieren, intellektuell rational orientiert sind und weniger auf andere Menschen fokussiert sind.
Welche Persönlichkeitsmodelle wir auch wählen, das Risiko eines Burn-out ergibt sich immer aus der Person und ihren Persönlichkeitszügen – grob gesprochen: ihrer Vulnerabilität für Stress und auf der anderen Seite dem tatsächlichen Stress, den die Arbeit mit sich bringt. Es gibt also Berufe, die so extrem mit Stress assoziiert sein können, dass das Risiko für ein Burn-out auch bei an und für sich „gesunden Menschen“ hoch ist, während es bei stressanfälligen Menschen nur einer geringen Stressanforderung bedarf, um ein Burn-out zu entwickeln. In der Medizin dürfen wir davon ausgehen, dass wegen der hohen Arbeitsbelastung auch „gesunde“ Personen in einem hohen Risiko für Burn-out stehen.

Persönlichkeitscluster: Vor dem Hintergrund bestimmter arbeitsbezogener Verhaltens- und Erlebnismuster haben Schaarschmidt und Fischer11 einen Test entwickelt, der es erlaubt, anhand bestimmter Kriterien Personen und Persönlichkeiten zu klassifizieren (Abb.).


Da gibt es zum einen den „gesund ambitionierten“ Typ, der eine gesundheitsförderliche Einstellung zur Arbeit hat, ehrgeizig im Beruf ist und eine relativ große Verausgabungsbereitschaft hat. Gleichzeitig ist eine solche Person gut in der Lage, sich emotional von der Arbeit zu distanzieren. Solche Personen weisen in der Regel eine relativ hohe Arbeits- und Lebenszufriedenheit auf und zeichnen sich durch hohe Stressresistenz, durch offene Problembewältigung und niedrige Resignationstendenz aus.
Der so genannte „Schonungstyp“ zeigt relativ wenig beruflichen Ehrgeiz. Diese Person hat eine niedrige Verausgabungsbereitschaft und eine hohe Distanzierungsfähigkeit. Das niedrige Engagement ist nicht unbedingt durch Resignation bedingt, sondern vor dem Hintergrund zu sehen, dass diese Person ihre Lebensziele außerhalb des beruflichen Kontexts umsetzt.
Ein ungleich höheres Burn-out-Risiko hat der „überhöht engagierte“ Typ mit exzessiver Verausgabungsbereitschaft und Perfektionsstreben, der jedoch unfähig ist, sich emotional von der Arbeit zu erholen. Diese Person ist innerlich relativ wenig ausgeglichen und zeigt Resignationstendenzen. Auch kommt eine solche Person schnell in eine so genannte Gratifikationskrise, die dann auftritt, wenn große Anstrengungen mit einer subjektiv empfundenen mangelnden Anerkennung von außen verbunden sind.
Zuletzt zu nennen ist der „resignierte“ Typ mit einer niedrigen Arbeitsmotiva – tion, jedoch mit Schwierigkeiten, abzuschalten. Die Stressresistenz ist deutlich reduziert, mit der Arbeit sind wenig positive Emotionen verbunden. Auch solche Personen zeigen ein hohes Risiko an Burn-out.
Alle diese Persönlichkeitscluster sind den meisten von uns aus ihrer medizinischen Arbeitsumgebung bekannt. Schulz und Kollegen7 untersuchten auch psychiatrische Pflegefachpersonen in vier Krankenhäusern mit diesem Test und konnten zeigen, dass 18,3 % dem „gesund ambitionierten“ Typ zuzuordnen sind, 44,1 % dem „Schonungstyp“, 10,4 % sind dem „überhöht engagierten“ Typ und 27,2 % dem „resignierten“ Typ zuzuschreiben. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass rund zwei Drittel der Befragten aufgrund ihrer Ein- stellung zur Arbeit und ihres Engagements prinzipiell nur ein geringes Risiko für Burn-out aufweisen.

Ebenen der Burn-out-Prävention

Arbeits- und Organisationsmerkmale als Risikofaktoren: Empirisch gut belegt ist, dass die Höhe der Arbeitsbelastung, das heißt als Summe des Zeitdrucks und der Arbeitszeit, einen wesentlichen Risikofaktor für Burn-out darstellt. Auch ist gut dokumentiert, dass die Anzahl der zu betreuenden Patienten und das Ausmaß des direkten Patientenkontaktes sowie die Schwere der Probleme, die vom Patienten präsentiert werden, weitere Risikofaktoren für Burn-out sind. Diese genannten Einflussfaktoren sind gewissermaßen die Rahmenbedingungen klinischer Tätigkeit und relativ schwer zu ändern, auch wenn heutzutage die jüngeren Ärztinnen und Ärzte nicht mehr bereit sind, unendlich über die geregelte Arbeitszeit hinaus in der Klinik tätig zu sein.
Gleichwohl gibt es auch Einflussfaktoren von Seiten der Institution, die sehr wohl einer Modifikation durch die Verantwortlichen unterliegen. Diese betreffen insbesondere fehlende oder unzureichende Informationen durch die Vorgesetzten und Kollegen, unklare Zielvorgaben oder auch mit Aufgaben „überhäuft“ zu werden, ohne die Möglichkeit, eigene Prioritäten zu setzen. Weitere institutionelle Merkmale sind unvorhergesehene Änderungen der Arbeitssituation ohne vorherige Absprache und Vorbereitung und – last, but not least – eine mangelnde Anerkennung der erbrachten Leistung (Tab. 2). Der von professionellen Helfern im Gesundheitswesen oft beklagte Mangel an sozialer Unterstützung, der ebenfalls das Risiko für ein Burn-out erhöht, liegt in unterschiedlichen Arbeitsphilosophien, dem unterschiedlichen Zugang zu Ressourcen, einer starken hierarchischen Gliederung, Gruppenbildung, steifer Arbeitsatmosphäre und häufigem Wechsel der Mitarbeiter. Ein guter Lohn ist in diesem Zusammenhang hilfreich, reicht aber nicht bei mangelnder Wertschätzung. Chefärzte tun sich bis heute oft schwer, Lob auszusprechen (Tab. 3).

Was können wir aus dem bisherigen Wissen lernen

Das bisher Gesagte macht deutlich, dass es keine eindimensionalen Modelle für Burn-out gibt, sondern dass sich das Risiko für ein Burn-out aus sehr unterschiedlichen Quellen speist, nämlich dem Individuum selbst, wie auch den Rahmen- und Arbeitsbedingungen, in dem sich das Individuum bewegt. Die, die für die Gesundheit anderer zuständig sind, sind nicht unbedingt prädes tiniert, ihre eigene Gesundheit auf gutem Niveau zu halten. So ist zum einen die Bereitschaft, die professionellen Mitarbeiter „auszubeuten“, in der Me – dizin zwar im Abnehmen, aber im Vergleich zu vielen anderen Berufsfeldern immer noch groß. Hier wird meistens an die ärztlich-medizinische Ethik appelliert, die die eigenen Interessen weit hinten anstellt. Im betrieblichen Gesundheitsmanagement gäbe und gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, die Rahmenbedingungen für ärztliche und pflegerische Tätigkeiten deutlich zu verbessern. Auf Seiten der Mitarbeiter liegen natürlich auch einige Verantwortlichkeiten. Wo sonst, wenn nicht in der Psychiatrie, sollten Mitarbeiter die Grenzen ihrer selbst kennen und entsprechend einsetzen. Die eigenen Grenzen zu erkennen heißt unter Umständen auch, einen Arbeitsplatz zu wechseln, wenn man erkennt, dass man den stressreichen Anforderungen eines Arbeitsplatzes aus unterschiedlichen Gründen nicht gewachsen ist. Prävention von Burn-out erfordert eine offene Kommunikation auf allen Ebenen, zwischen den verschiedenen Hierarchiestufen, aber auch auf der eigenen Stufe miteinander und untereinander. Nur in einem gesunden Umfeld kann gute Arbeit im Gesundheitswesen geleistet werden.


1 Maslach C, Schaufeli WB, Leiter MP, Job Burnout. Annu Rev Psychol 2001; 52:397–422.
2 Badura B, Ducki A, Schröder H, Klose J, Macco K, Fehlzeiten-Report 2011: Führung und Gesundheit. Zahlen, Daten, Anlaysen aus allen Branchen der Wirtschaft. Reihe: Fehlzeiten-Report. Heidelberg:Springer; 2011.
3 McManus IC, Keeling A, Paice E, Stress, Burnout and doctors’ attitudes to work are determined by personality and learning style: A twelve year longitudinal study of UK medical graduates. BMC Medicine 2004; 2:29.
4 Arigonia F, Bovierb PA, Sappino AP, Trend in Burnout among Swiss doctors. Swiss Med Wkly 2010; 140:w13070.
5 Devi S, Doctors in distress. Lancet 2011; 377(9764):454–5.
6 Dyrbye LN, Shanafelt TD, Physician Burnout: a potential threat to successful health care reform. JAMA 2011; 305(19):2009–10.
7 Schulz M, Damkröger A, Voltmer E, Löwe B, Driessen M, Ward M, Wingenfeld K, Work-related behaviour and experience pattern in nurses: impact on physical and mental health. J Psychiatric Mental Health Nursing 2011; 18:411–417.
8 Tartas M, Walkiewicz M, Majkowicz M, Budzinski W, Psychological factors determining success in a medical career: A 10-year longitudinal study. Medical Teacher 2011; 33:e163–e172.
9 Skovholt TM, The Resilient Practitioner. Burnout Prevention and Self-Care Strategies for Counsellors, Therapists, Teachers and Health Professionals. Boston: Allyn and Bacon 2001.
10 Shanafelt TD, Colin PW, Sloan JA, Novotny PJ, Pland GA, Menaker R, Rummans TA, Dyrbye LN, Career Fit and Burnout Among Academic Faculty. Arch Intern Med 2009; 169(10):990–995.
11 Schaarschmidt U, Fischer AW, AVEM – ein diagnostisches Instrument zur Differenzierung von Typen gesundheitsrelevanten Verhaltes und Erlebens gegenüber der Arbeit. Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie 1997; 18(3):151–163.
12 Kaluza G, Stressbewältigung. Trainingsmanual zur psychologischen Gesundheitsförderung. Berlin:Springer; 2004.