Das Bedürfnis nach Glücksspielen ist in Ländern, in denen das Glücksspiel verfügbar ist, weit verbreitet. In Österreich nimmt einer rezenten Untersuchung zufolge etwa die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung an Glücksspielen teil1. Bei 1,1 % führt das Glücksspiel zu Problemen, etwa 0,7 % erfüllen ausreichend Kriterien für die Diagnose einer Spielsucht oder „pathologisches Glücksspiel“, wie diese Erkrankung nach den diagnostischen Manualen (DSM-IV oder ICD-10) bezeichnet wird.
Die Spielsucht ist nicht allein durch häufiges Spielen gekennzeichnet, sondern durch die zunehmende gedankliche Einengung auf das Glücksspiel. Das Glücksspiel wird zum Wichtigsten im Leben, dadurch wird dafür nicht nur viel Geld ausgegeben, sondern auch viel Zeit damit verbracht; Zeit, die dem Familienleben, anderen Interessen, der Arbeit oder auch sozialen Beziehungen verloren geht.
Die Betroffenen erleben einen plötzlichen Drang zu spielen, der scheinbar ohne Anlass auftritt und als überwältigend und unwiderstehlich erlebt wird. Sie können dann an nichts anderes mehr denken und erleben innere Unruhe (meist auch mit vegetativen Symptomen), die sich erst durch das Glücksspiel löst. Spieler fühlen sich wie in einer anderen Welt, befreit von Sorgen und wohl. Typischerweise kann das Spiel erst beendet werden, wenn kein Geld mehr verfügbar ist. Das Spiel endet bei Glücksspielsüchtigen somit fast immer mit Verlust, auch wenn zwischenzeitlich Gewinne aufgetreten sind. Die Verluste führen dazu, dass das Bedürfnis entsteht, verlorenes Geld demnächst wieder zurückzugewinnen, wodurch sich das Verhalten perpetuiert.
Als finanzielle Folge der Spielsucht entstehen fast immer Schulden, durchschnittlich ca. 40.000 Euro (Daten: Spielsuchthilfe, 2011)2. Die Höhe der Schulden richtet sich nach den Möglichkeiten der Person, Geld aufzunehmen. So haben manche Schulden in Millionenhöhe, Betroffene, die aufgrund einer geringen Pension keine Kreditmöglichkeit haben, sind bereits durch wenige Tausend Euro Privatschulden überfordert. Daher ist die Höhe der Schulden kein diagnostisches Kriterium der Spielsucht, sondern nur die Tatsache, dass trotz weitreichender Folgen weitergespielt wird. Der finanzielle Druck trägt dazu bei, dass weiter und mit höheren Einsätzen gespielt wird, da der Gedanke auftritt, dass nur ein großer Gewinn die finanziellen Probleme lösen kann.
Sehr typisch ist auch, dass das Ausmaß des Spielverhaltens, aber auch der Folgen verheimlicht werden. Einerseits wird verheimlicht und gelogen, um trotz der massiven Folgen Geld zu bekommen und weiterspielen zu können oder Schuldner zu vertrösten, aber auch weil das Spielen sehr schambesetzt sein kann oder die (berechtigte) Angst besteht, dass bei anderen kein Verständnis dafür besteht, dass man so verrückt sein kann, trotz massiver Probleme weiterzuspielen. Gerade das Lügen bezüglich des Glücksspielverhaltens erleben viele Betroffene als massive Belastung und als besorgniserregende Charakterveränderung.
Obwohl es beim Glücksspiel um Gewinn oder Verlust von Geld geht, ist der Wunsch, Geld zu gewinnen, nur ein Aspekt des Glücksspiels. Viel stärker ist die emotionale Wirkung des Spiels. Bereits der Gedanke an das Spiel bewirkt die Verbesserung der Befindlichkeit. Sorgen treten in den Hintergrund und die Erwartungshaltung (bezüglich Gewinne) wird optimistisch.
Während des Spiels bewirkt die Anspannung durch die Erwartung des Spielergebnisses eine ständige Stimulierung des Belohnungssystems. Patienten berichten, dass sie sich wie in einer anderen Welt und frei von alltäglichen Sorgen fühlen und dass dies die beste Art sei, sich zu entspannen. Durch die finanziellen Verluste aufgrund des Kontrollverlustes folgt depressive Verstimmung, die mit dem Wunsch zusammenwirkt, die Verluste wieder auszugleichen, und zu weiterem Drang zu spielen führt. Dadurch ergibt sich eine Spirale von positiven und negativen Verstärkern, und das Glücksspiel verankert sich bei der Spielsucht als letztendlich dysfunktionale, aber für die Patienten unmittelbar beste und einfachste Art der emotionalen Regulation (Abb.).
Die Art des von Spielsüchtigen bevorzugten Glücksspiels ergibt sich aus der Verfügbarkeit und den Eigenschaften des Spiels wie etwa der raschen Ereignisfrequenz. Am häufigsten werden Glücksspielautomaten frequentiert, da sie relativ leicht zugänglich sind und ein kurzes Intervall zwischen Einsatz und Spielergebnis haben. Auch die klassischen Casinospiele und Wetten in Wettlokalen können zu Problemen führen, obwohl Wetten in Österreich offiziell nicht als Glücksspiel gelten (Tab. 1). Wachsende Bedeutung bekommen Glücksspiele, Wetten und Poker im Internet als besonders leicht zugängliches Medium mit zahlreichen Anbietern. Manche Spielsüchtige sind auf eine Spielart und in einigen Fällen sogar einen bestimmten Glücksspielautomaten fixiert, andere betreiben verschiedene Spielarten in unterschiedlichen Medien. Wenig bekannt ist die Spielart der Börsenspekulationen. Dabei werden besonders risikoreiche Anlageformen wie Termingeschäfte bevorzugt. Die Diagnose der Spielsucht bleibt hier oft unerkannt.
Die Glücksspielsucht ist seit 1980 als eigene Diagnose in der 3. Version des diagnostischen und statistischen Manuals der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (DSM-III und aktuell DSM-IV)3 und seit 1992 auch in der ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation als pathologisches Glücksspiel (ICD-10 F63.0)4 unter den abnormen Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle verzeichnet.
In beiden diagnostischen Systemen beschreiben die diagnostischen Kriterien neben der exzessiven Häufigkeit des Spielens die ständige gedankliche Beschäftigung mit dem Glücksspiel, den intensiven Drang zu spielen, dem nicht widerstanden werden kann, die Unfähigkeit, das Spielen selbst zu beenden, und das fortgesetzte Spielen trotz gravierender Folgen (Tab. 2).
Im DSM-IV werden aber noch weitere typische Verhaltensweisen angeführt, wie das Lügen bezüglich der Häufigkeit des Glücksspiels und daraus resultierenden Verlusten und dem Drang, Verluste durch neuerliches Spielen wieder auszugleichen.
Zusätzlich gibt es Kriterien, die denen der substanzgebundenen Abhängigkeiten entsprechen, wie wiederholte erfolglose Versuche, das Spielen einzuschränken oder aufzugeben, Spielen, um Problemen zu entkommen oder um die Stimmung zu verbessern (Wirkung), Steigerung der Einsätze, um die gewünschte Erregung zu erreichen (Toleranzentwicklung) und Unruhe und Gereiztheit beim Versuch, das Spielen einzuschränken (Entzugssymptome).
Die Steigerung der Einsätze findet sich nur bei einem Teil der Spieler. Manche Spieler bleiben bei kleineren Einsätzen, um möglichst lange spielen zu können und so länger die entspannende und ablenkende Wirkung des Spiels erleben zu können. Das Bedürfnis zur Steigerung der Einsätze kann auch durch den Versuch bedingt sein, die Chance auf einen größeren Gewinn zu erhöhen. Unruhe und Gereiztheit können der emotionalen Erregung beim Unterbinden des Dranges entsprechen und sind somit keine klassischen Entzugssymptome wie bei einer Substanzabhängigkeit.
Gestützt auf Untersuchungen, die unter anderem auf gemeinsame genetische Faktoren und ähnliche Aktivierungsmuster bei Substanzabhängigkeit und Spielsucht hinweisen, ist in der zukünftigen Version des DSM geplant, die Spielsucht/das pathologische Glücksspiel als „nichtstoffgebundene Abhängigkeit“ zu verzeichnen.
Zu allererst geht es meist um die Abgrenzung vom so genannten sozialen Spielen und vom professionellen Spielen, somit um die Frage, ob bereits eine Abhängigkeit vom Glücksspiel besteht. Soziale Spieler, also Personen, die am Glücksspiel teilnehmen und damit kein Problem haben, spielen meist nicht alleine, können ein selbst gesetztes Limit für den möglichen Verlust ohne Probleme einhalten und haben genügend andere Interessen als das Glücksspiel. Sind nur wenige Symptome der Spielsucht vorhanden, wird dies als problematisches Glücksspiel bezeichnet und die Betreffenden sind gefährdet, in der Folge eine Spielsucht zu entwickeln.
So genannte professionelle Spieler können ebenso ein Limit einhalten und sollten überwiegend einen Gewinn aufweisen. Meist ist die Behauptung, durch Glücksspiel Geld zu verdienen, eine Schutzbehauptung, um das Ausmaß der Spielsucht zu verschleiern.
Differenzialdiagnostisch schwieriger kann exzessives Glücksspiel bei manischen Episoden sein. Besteht die Spielsucht zusätzlich zu einer bipolar affektiven Erkrankung, so ist das exzessive Spielverhalten und die gedankliche Fixierung auf das Glücksspiel mit der Unfähigkeit, ein Limit einzuhalten, auch außerhalb einer manischen Episode vorhanden. Auch eine depressive Episode kann exzessives Spielen auslösen, da das Glücksspiel als das effektivste und einfachste Mittel zur Verbesserung der Befindlichkeit gesehen wird.
Die meisten Glücksspielabhängigen leiden zusätzlich an anderen psychiatrischen Erkrankungen. Das Erkennen dieser Erkrankungen ist für die Planung der weiteren Behandlung wichtig. In epidemiologischen Studien zeigt sich eine sehr hohe Komorbidität mit substanzbezogenen Abhängigkeiten (Tab. 3)5. Bei Patienten, die primär wegen Spielsucht Hilfe aufsuchen, findet sich meist eine deutlich geringere Rate von substanzbezogenen Abhängigkeiten. Die Einnahme von Alkohol oder Stimulantien kann die Impulskontrolle vermindern und den Drang zu spielen auslösen oder verstärken.
Komorbidität: Häufig bestehen affektive Erkrankungen und Angststörungen. Die Depression kann sowohl primär als auch sekundär im Rahmen der zunehmenden Belastungen durch die Spielsucht auftreten. In beiden Fällen verstärkt dabei die negative Befindlichkeit den Drang zu spielen und den Wunsch, damit die Stimmung zu verbessern.
Häufig besteht auch eine Persönlichkeitsstörung, dabei spielt die Spannungsregulation und die Regulation des Selbstwertes durch das Glücksspiel eine wichtige Rolle. Gerade bei der Beurteilung von antisozialem Verhalten ist dabei aber zu bedenken, dass dieses Verhalten auch sekundär im Rahmen der Spielsucht entstanden sein kann, also im Sinne einer Persönlichkeitsänderung. Es besteht dann keine antisoziale Persönlichkeitsstörung, die den Behandlungsverlauf sonst meist ungünstig beeinflusst.
Als Besonderheit ist auf die Komorbidität mit Morbus Parkinson und dem Restless-Legs-Syndrom zu achten. Die dabei verordneten Dopaminagonisten können die Neigung zu Verhaltenssüchten wie die Spielsucht verstärken.
Auch wenn die negativen Folgen der Spielsucht meist erst nach Jahren des Bestehens der Erkrankung zur Behandlung führen, haben sich gleichzeitig die verschiedenen positiv erlebten Wirkungen des Glücksspiels eingeprägt und die Problembewältigungsmechanismen der Betroffenen auf diese positiven Wirkungen des Glücksspiels eingeengt. Daher ist die Behandlungsmotivation in der Regel ambivalent, und die Betroffenen suchen, wenn überhaupt, im Durchschnitt erst nach ca. 8 Jahren Problemdauer erstmals Hilfe auf. Die wenigen Studien, die zum Hilfesuchverhalten von Glücksspielabhängigen vorliegen, zeigen, dass nur maximal 10 % der Betroffenen Hilfe wegen Spielsucht aufsuchen.6
Falls Patienten den Wunsch in sich hegen, mit dem Spielen aufzuhören, besteht oft große Scham, darüber zu erzählen, oder es wird erwartet, dass kein Verständnis für diese Problematik besteht. Daher ist es eine besondere Herausforderung, Spielsucht bei Patienten zu erkennen, die nicht primär wegen diesem Leiden zur Behandlung kommen. Wie bereits erwähnt, leiden viele Glücksspielabhängige an Depressionen oder Angststörungen und suchen diesbezüglich eher Hilfe auf oder kommen wegen eines Suizidversuches in Behandlung. Bei der Exploration von psychosozialen Belastungsfaktoren können etwa ungeklärte finanzielle Probleme einen Hinweis auf eine bestehende Spielsucht ergeben.
Screening-Instrumente: Für die weitere Klärung der Diagnose können Screening-Fragebögen hilfreich sein. Dafür gibt es derzeit 3 Fragebögen, die bezüglich ihrer Reliabilität untersucht sind. Der South-Oaks-Gambling-Screen (SOGS)7 ist ein älterer Fragebogen, der sich nur beschränkt auf die diagnostischen Symptome der Spielsucht nach DSM-IV bezieht. Neuere Fragebögen, die sich an die Symptome nach DSM-IV halten, sind der NODS8 und der Spielsuchtfragebogen nach Stinchfield9 (deutsche Version im Praxishandbuch bei www.lsgbayern.de). Die genannten Fragebögen eigen sich in der Praxis auch gut als Leitlinie für die Exploration der Symptome und Problematik der Spielsucht.
Für die rasche Erkennung einer möglichen Spielsuchtproblematik in der Praxis eigenen sich aber Instrumente mit möglichst wenigen Fragen. Auch dazu gibt es mehrere Ansätze. Ein Instrument, das mit nur 3 Fragen hohe Sensitivität und Spezifität erreicht, ist der NODS-CLiP10 (Tab. 4).