Integrationschancen psychisch Kranker in die Arbeitswelt

Arbeitsrehabilitation für  psychisch kranke Menschen

Arbeits- und Beschäftigungslosigkeit hat  negative Folgen für psychisch erkrankte  Menschen, da ein Verlust der Tagesstruktur  ebenso die Folge ist wie eine Ausdünnung  der sozialen Kontakte, finanzielle  Schwierigkeiten, gesellschaftliche Stigmatisierung  und eine Verminderung des  Selbstwertgefühls1. Umgekehrt berichten  verschiedene Autoren, dass sich die klinische  Symptomatik psychisch kranker  Menschen unter Arbeitstherapie verbessert2–  4. Arbeit bzw. Arbeitstherapie führt  darüber hinaus zu einer deutlichen Verbesserung  der Lebensqualität bei Menschen  mit schweren psychischen Erkrankungen4–8. Nicht zuletzt geben die  Betroffenen selbst einen hohen Leidensdruck  durch Arbeitslosigkeit an und erwähnen  das (Wieder-)Erlangen einer Beschäftigung  als wichtiges Ziel9. Aus all  diesen Beobachtungen ergibt sich die  Notwendigkeit, über allgemeine medizinisch-  rehabilitative Maßnahmen hinaus  auch eine Rehabilitation psychisch  Erkrankter in den Arbeitsalltag anzustreben.

„First train, then place“: Arbeitsrehabilitative  Angebote lassen sich nach den  Rahmenbedingungen der Betreuung  (Betreuungsdichte, Art und Ort der Unterstützung,  Anforderungsniveau bzw.  Nähe zum allgemeinen Arbeitsmarkt)  aufgliedern und reichen von arbeitstherapeutischen  Maßnahmen in voll- und teilstationären  Einrichtungen und Rehabilitationszentren  über beschützte Werkstätten  und spezielle Trainingsprogramme  vor Eingliederung in den Arbeitsmarkt bis  hin zur direkten Begleitung in den bzw.  am ersten Arbeitsmarkt10. Verfügbare  Untersuchungen beziehen sich in erster  Linie auf eine erfolgreiche Integration in  den allgemeinen, ersten Arbeitsmarkt.  Hier werden – v. a. im englischsprachigen  Raum – zwei große Ansätze der Arbeitsrehabilitation  unterschieden. Zum  einen die Methode des „First train, then  place“ – hier nimmt der Klient an speziellen  Trainingsprogrammen (z. B. soziales  Kompetenztraining, Bewerbungstraining)  teil und arbeitet zeitlich begrenzt an  einem geschützten Arbeitsplatz (Arbeitstrainingsplatz mit reduzierten Anforderungen),  bevor er in den ersten Arbeitsmarkt  eingegliedert wird.

„First place, then train“: Zum anderen  der Ansatz des „First place, then train“,  bei dem der Klient schon in der ersten  Phase der Rehabilitation in den ersten  Arbeitsmarkt integriert und dort professionell  unterstützt wird.  Der erfolgversprechendste Ansatz ist  nach heutigem Wissensstand eindeutig  jener des „First place, then train“. Crowther et al. demonstrierten in einem  systematischen Übersichtsartikel, in den  die Ergebnisse von elf randomisierten,  kontrollierten Studien Eingang fanden,  die Überlegenheit des „First place, then  train“-Ansatzes gegenüber der „First  train, then place“-Methode11. In einer  kontrollierten Studie mit 219 Patienten  mit schwerer psychischer Erkrankung  zeigte sich, dass Patienten, die zur „First  place, then train“-Gruppe randomisiert  worden waren, leichter Beschäftigung  am ersten Arbeitsmarkt fanden und eine  höhere Arbeitsleistung (mehr Arbeitszeit  und höhere Löhne) erbrachten, jedoch  ebenso wie die Patienten der Kontrollgruppe  erhebliche Schwierigkeiten hatten,  den Arbeitsplatz längerfristig zu behalten12.

Die Überlegenheit des sogenannten Individual-  Placement-and-Support-(IPS)- Programms gegenüber herkömmlichen  arbeitsrehabilitativen Maßnahmen bestätigte  sich auch in einer amerikanischen  Multicenter-Studie mit 1.273 Patienten  und einer kanadischen randomisierten,  kontrollierten Studie mit 150 schwer  psychisch Erkrankten sowie in einer kleineren  Untersuchung mit über 40-jährigen  schizophrenen bzw. schizoaffektiven  Patienten13.  Zwischenzeitlich liegt auch für den europäischen  und auch den deutschsprachigen  Raum eine große kontrollierte Studie  vor, die ebenfalls eindeutige Vorteile der  direkten Vermittlung der Patienten in  einen Job am allgemeinen Arbeitsmarkt  im Gegensatz zu einem vorgeschalteten  Training unter geschützten Bedingungen  fand14.

Abgesehen vom Setting der Intervention  prädizieren auch individuelle Eigenschaften  den Rehabilitationserfolg15, ebenso  wie die Gesamtsituation am Arbeitsmarkt  (Höhe der Arbeitslosenrate, konjunkturelle  Schwankungen) naturgemäß die Jobchancen  für durch psychische Erkrankungen  in der Leistungsfähigkeit ein –  geschränkte Menschen beeinflusst. Ein  Erfolg von Arbeitsrehabilitation hängt  auch von den gegebenen rechtlichen  Rahmenbedingungen im Gesundheits- und  Sozialrecht ab. Die einschlägigen gesetzlichen  Bestimmungen, auf deren  Basis sich die verfügbaren rehabilitativen  Angebote etabliert haben, sind in den  deutschsprachigen Ländern so verschieden,  dass eine Vergleichbarkeit von Angeboten  und deren Effizienz äußerst schwierig ist.

Die Situation in Österreich

In Österreich waren nicht mehr als 14 %  der stationär psychiatrisch behandelten  Patienten berufstätig16. Arbeitsrehabilitative  Angebote sind in sehr unterschiedlicher Dichte und Verteilung vorhanden.  Der Ausbaugrad spezifischer Unterstützungsangebote  ist – bedingt durch historische  Entwicklungen und sozialrechtliche Unterschiede – höchst inhomogen:  Es existieren heute in geringer geographischer  Entfernung Regionen, wo Nutzer  Wahlmöglichkeit aus unterschiedlichen,  fachlich ausdifferenzierten Angeboten  haben, ebenso wie Gegenden, in denen  Arbeitsrehabilitationsangebote für psychisch  Erkrankte völlig fehlen. Es existiert weder eine qualitative noch eine  quantitative Übersicht über die in Österreich  verfügbaren Angebote.  Die Mehrzahl der Angebote dürfte der  „First train, then place“-Methode zuzuordnen  sein, etwa manche Arbeitstrainingszentren,  geschützte Werkstätten,  Zuverdienstfirmen bis hin zu Tagesstätten,  sofern diese beschäftigungsrehabilitative  Ziele verfolgen. Insgesamt ist von  einem Mangel an berufsrehabilitativen  Einrichtungen auszugehen, der möglicherweise  der sich weiter zuspitzenden  Zuerkennung von Invaliditätspensionen  aufgrund psychischer Störungen und Behinderungen  zugrunde liegt.

Am Beispiel von Niederösterreich kann  geschildert werden, dass die Gesamtanzahl an in Niederösterreich erforderlichen Arbeitsrehabilitationsplätzen vom  ÖBIG auf 464 bis 773 (0,3 bis 0,5 Plätze  je 1.000 Einwohner) geschätzt wurde, zuzüglich von 464 bis 618 (0,3 bis  0,4 je 1.000 Einwohner) Plätze für  Tagesstrukturierung17. Die Anzahl der  2002 verfügbaren Arbeitstrainingsplätze betrug demgegenüber lediglich 90,  zuzüglich 232 verfügbare Arbeitsassistenzplätze (Abdeckung des Bedarfs von  lediglich 20 % oder von 69 %, sofern die  allerdings ambulanten Leistungen der  Arbeitsassistenz hinzugerechnet wurden)  18.  Statt eines ausreichenden Angebots an  Arbeitsrehabilitation sind eine Reihe von  Tagesheimstätten verfügbar, die allerdings  eher der Tagesstrukturierung und  Kontaktfindung denn beschäftigungsrehabilitativen Zielen dienen. Werkstätten  zum Arbeitstraining psychisch erkrankter  Menschen sind in Niederösterreich  nur in 3 von 7 Psychiatrieregionen  etabliert. Es ist ein massiver Mangel festzustellen,  der wohl zu einem unnötig  hohen Anteil an frühzeitig pensionierten  Personen führt.

Arbeitsassistenz: Einigermaßen flächendeckend  ist in Niederösterreich ein der  „First place, then train“-Methode vergleichbarer  Ansatz verfügbar: Das Angebot  der „Arbeitsassistenz“, wobei die  professionelle Unterstützung am ersten  Arbeitsmarkt hier aufgrund sozialrechtlicher Bestimmungen üblicherweise auf  einen Zeitraum von maximal einem Jahr  begrenzt ist. In einer aktuellen Evaluierung  von Arbeitsrehabilitationseinrichtungen  in Niederösterreich zeigte sich, dass Klienten, die an einem Programm  der Arbeitsassistenz teilgenommen hatten,  signifikant länger in regulärer Beschäftigung  verblieben als die Klienten  eines beschützenden Beschäftigungsprojektes,  wobei hier zu erwähnen ist, dass  bereits vor Beginn der Maßnahme signifikante  Unterschiede in der Dauer der vorangegangenen  Beschäftigung bestanden  hatten19.

In der Regel konnten nur wenige Patienten  die „geschützte“ Arbeitssituation in  besonders gestalteten Werkstätten als  „Sprungbrett“ in eine Beschäftigung  unter Realitätsbedingungen nützen20, 21.  Eine Nachuntersuchung eines Arbeits –  trainingszentrums in Oberösterreich fand  eine Integration am allgemeinen Arbeitsmarkt  von 23 %, 38 % der Teilnehmer  waren zwischenzeitlich pensioniert  worden22.

Stationäre arbeitsrehabilitative Maßnahmen:  In allen sozialpsychiatrischen  Abteilungen sowie in Tageskliniken ist  Ergotherapie heute fixer Bestandteil des  therapeutischen Angebots. Zum Einfluss  stationärer arbeitsrehabilitativer Maßnahmen  auf den Rehabilitationserfolg ist  wenig publiziert. Längle et al. konnten in  ihrer Studie keinen signifikanten Unterschied  in der Wirkung von arbeitstherapeutischen  Maßnahmen und Ergotherapie  im stationären Setting finden23. Die  in Österreich in den vergangenen Jahren  etablierten stationären medizinischpsychiatrischen  Rehabilitationszentren,  deren Strukturqualitätsparameter sehr  positiv zu bewerten sind, könnten sich  dämpfend auf die Zunahme der Zuerkennungen  von Invaliditätspensionen  auswirken – bislang sind allgemein zugängliche  Berichte über die Effekte dieser  Einrichtungen auf die weitere berufliche  Integration der Rehabilitanden allerdings  (noch) nicht verfügbar.

resümee

Die große Mehrzahl besonders der an schwereren psychischen Störungen erkrankten Menschen ist arbeits- bzw. beschäftigungslos. Der  vielerorts in Österreich noch bestehende Mangel an ausdifferenzierten Angeboten zu beruflicher Rehabilitation wirkt sich negativ auf den  Krankheitsverlauf aus. Wo Arbeitsrehabilitation angeboten und auch evaluiert wurde, zeigen sich die Chancen auf erfolgreiche Integration der Betroffenen in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

In Österreich sollte in den kommenden Jahren einerseits darauf Wert gelegt werden, dass dem Bedarf entsprechende arbeitsrehabilitative Angebote zur Verfügung stehen, diese also quantitativ  insbesondere dort ausgebaut werden, wo  die Versorgung mangelhaft bis gänzlich fehlend ist. Andererseits sollten in den verfügbaren Einrichtungen laufend Begleitevaluationen durchgeführt werden, um eine noch bessere Datenbasis für die weitere qualitative Gestaltung sowie für die Bedarfsplanung zu generieren.

1 Mueser KT, Salyers MP, Mueser PR, A prospective analysis of work in  schizophrenia. Schizophr Bull 2001; 27:281-296

2 Bond Gr, Resnick SG, Drake RE, Xie H, McHugo GJ, Bebout RR, Does  competitive employment improve nonvocational outcomes for people with  severe mental illness? J Consult Clin Psychol 2001; 69 :489-501

3 Mueser KT, Becker DR, Torrey WC, Xie H, Bond GR, Drake RE, Bradley JD,  Work and nonvocational domains of functioning in persons with severe  mental illness: A longitudinal analysis. J Nerv Ment Dis 1997; 185:419-426

4 Bell MD, Fiszdon JM, Greig TC, Bryson GJ, Can older people with schizophrenia  benefit from work rehabilitation? J Nerv Ment Dis 2005; 193:293-301

5 Bryson G, Greig T, Lysaker P, Bell MD, Quality of life benefits of paid work  activity in schizophrenia: a longitudinal analysis. Schizophr Bull 2002;  28:249-257

6 Holzner B, Kemmler G, Meise U, The impact of work-related rehabilitation  on the quality of life of patients with schizophrenia. Soc Psychiatry  Psychiatr Epidemiol 1998; 33:624-631

7 Priebe S, Warner R, Hubschmid T, Eckle I, Employment, attitudes toward  work, and quality of life among people with schizophrenia in three  countries. Schizophr Bull 1998; 24:469-477

8 Kager A, Lang A, Berghofer G, Henkel H, Schmitz M, The impact of work  on quality of life for persons with severe mental illness. Nervenheilkunde  2000; 19:560-565

9 Marhawa S, Johnson S, Schizophrenia and employment. Soc Psychiatry  Psychiatr Epidemiol 2004; 39:337-349

10 Rössler W, Perspektiven der psychiatrischen Rehabilitation. Psychiatrie &  Psychotherapie 2007; 3:3-8

11 Crowther RE, Marshall M, Bond GR, Huxley P. Helping people with severe  mental illness to obtain work: systematic review. BMJ 2001; 322:204-208

12 Lehmann et al., 2002

13 Cook JA, Leff HS, Blyler CR, Gold PB, Goldberg RW, Mueser KT, Toprac MG,  McFarlane WR, Shafer MS, Blankhertz LE, Dudek K, Razzano LA, Grey DD,  Burke-Miller J, Results of a multisite randomized trial of supported employment  interventions for individuals with severe mental illness. Arch  Gen Psychiatry 2005; 62:505-512

14 Burns T, Catty J, Becker T, Drake RE, Fioritti A, Knapp M, Lauber C,  Rössler W, Tomov T, van Busschbach J, White S, Wiersma D, for the  EQOLISE group. The effectiveness of supported employment for people  with severe mental illness: a randomised controlled trial. Lancet 2007;  370:1146-1152

15 Matschnig T, Seyringer ME, Frottier P, Frühwald S, Arbeitsrehabilitation  psychisch kranker Menschen – ein Überblick über Erfolgsprädiktoren.  Psychiatrische Praxis 2008; 35:271-278

16 Wancata J, Gasselseder M, Müller C, Arbeit und Lebensqualität  schizophrener Patienten. In: Katschnig H, König P: Schizophrenie und  Lebensqualität, Springer Verlag, Wien, 1994.

17 Österreichisches Bundesinstitut für Gesundheitswesen: Struktureller  Bedarf in der psychiatrischen Versorgung. Wien, 1998

18 Katschnig H, Denk P, Weibold B, Evaluation des Niederösterreichischen  Psychiatrieplans 1995

19 Frühwald S, Bühler B, Grasl R, Gebetsberger M, Matschnig T, König F,  Frottier P, (Irr-)wege in die Arbeitswelt – Langzeitergebnisse arbeitsrehabilitativer Einrichtungen für psychisch Kranke der Caritas St. Pölten.  Neuropsychiatrie 2006; 20:250-256

20 Hoffmann H, Kupper Z, Prädiktive Faktoren einer beruflichen Wiedereingliederung  von schizophrenen Patienten. Psychiat Prax 2003; 30:312-317

21 Reker T, Krankheits- und Rehabilitationsverläufe schizophrener Patienten  in ambulanter Arbeitstherapie. Nervenarzt 1998; 69:210-218

22 Rittmannsberger H, Atzlinger G, Ergebnisse beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen  bei schizophrenen Patienten. In: Katschnig H, König P (Hrsg):  Schizophrenie und Lebensqualität. Springer, Wien, New York, 203-214,  1994

23 Längle G, Bayer W, Köster M, Salize HJ, Höhl W, Machleidt W, Wiedl KH,  Buchkremer G, Unterscheiden sich die Effekte stationärer Arbeits- und  ergotherapeutischer Maßnahmen? Ergebnisse einer kontrollierten  Multizenterstudie des Kompetenznetzes Schizophrenie. Psychiat  Prax 2006; 33:34-41