Internistische Folgen des Burn-out

Burn-out gilt trotz umfangreicher Untersuchungen bis heute als ein schwer abgrenzbares und unscharf definiertes Phänomen, welches eine Vielzahl von unterschiedlichen Symptomen hat. Die Folgen von Burn-out sind jedoch weitreichend und finden sich im psychischen, physischen und sozialen Bereich. Folgeerkrankungen eines Burn-out betreffen vor allem das kardiovaskuläre System mit Bluthochdruck und Herzinfarkt. Aber auch Stoffwechselentgleisungen mit Dyslipidämien, gestörte Glu – kosetoleranz und eine Schwächung des Immunsystems können Folgeerscheinungen des Burn-out sein.


Endpunkt vitale Erschöpfung: Vor allem der prozesshafte Verlauf mit den Folgen einer chronischen Stressbelastung und der Endpunkt der vitalen Erschöpfung sind für die körperlichen Auswirkungen verantwortlich. Vitale Erschöpfung1 ist die Folge von chronischem Stress und durch 3 Faktoren gekennzeichnet:

  • Erschöpfung,
  • Kraftlosigkeit,
  • allgemeine Demoralisierung.

Edelwich und Brodsky2 haben 4 Phasen des Burn-out-Prozesses beschrieben und auf die Entwicklung von psychosomatischen Symptomen zwischen der 2. und 3. Phase, sowie auf das Entstehen körperlicher und/oder psychischer Symptome zwischen der 3. und 4. Phase hingewiesen (Abb. 1).
So gibt es einen hochsignifikanten Zusammenhang zwischen Burn-out, vitaler Erschöpfung und Gesamtsterblichkeit3. Vitale Erschöpfung kann das Herzinfarktrisiko bis um das Dreifache erhöhen4.

KHK und psychosoziale Risikofaktoren: Die Bedeutung psychosozialer Risikofaktoren5 ist gerade für die koronare Herzkrankheit (KHK) besonders gut untersucht und dokumentiert. Bei der Entstehung und dem Verlauf der KHK interagieren konventionelle biologische und psychosoziale Risikofaktoren und potenzieren einander. Zu den Risikofaktoren6, für die Evidenz aus mehreren gut fundierten Arbeiten vorliegt, zählen:
• Depression,
• Ängstlichkeit,
• Feindseligkeit,
• subakuter und/oder chronischer Stress,
• soziale Faktoren (Isolation, sozioökonomischer Status),
• Arbeitsbelastung („Job strain“-Modell). Diese Faktoren wirken indirekt über begleitende, schädigende Verhaltensweisen und direkt über psychophysiologische Veränderungen.

Schädigende Verhaltensweisen sind Nikotinabusus (wirkt antidepressiv!), Alkoholabusus (entspannend, entängs – tigend), ungesunde Ernährung (Befrie – digung, Kosten), mangelhaftes Regenerationsverhalten (Freizeitstress) und inadäquates Beziehungsverhalten (misstrauisch, anklammernd, isoliert).

Psychophysiologische Mechanismen (Stressreaktion): Chronische emotionale Belastungen oder das plötzliche Zusam- mentreffen von Mehrfachbelastungen führen über das ZNS zur Aktivierung des peripheren Nervensystems oder des Hypophysenvorderlappens. Ersteres bewirkt über Vermittlung des Nebennierenmarks die Ausschüttung von Katecholaminen, Letzteres über Vermittlung der Nebennierenrinde die Ausschüttung von Kortikoiden. In beiden Fällen kommt es zu spezifischen pathophysiologischen und psychischen Wirkungen.

Die physiologischen und pathogenetischen Wirkungen der neurohumoralen Stressantwort7 betreffen vor allem hämodynamische Veränderungen (Blutdruckund Herzfrequenzanstieg), Herabsetzung der Herzfrequenzvariabilität, Beeinflussung der Gerinnungsparameter (Beschleunigung der Gerinnung, Zunahme der Plättchenaggregation etc.) und Schädigung des Endothels. Weiters kommt es zu ungünstiger Beeinflussung des Lipidstoffwechsels und zu einer Zunahme des myokardialen O2-Verbrauches8.
Verschiedene psychosoziale Risikofaktoren führen zu unterschiedlichen pathophysiologischen Wirkungen. So kommt es bei der Depression zu einer Zunahme der Kortisolspiegel, einer Beeinträchtigung der Plättchenfunktion, einer Abnahme des Vagotonus und der Herzfrequenzvariabilität. Damit steigt die Inzidenz der (Re-)Infarktrate.
Im Gegensatz dazu kommt es bei einer vorwiegenden, übersteigerten Ängstlichkeit zu einer Zunahme der sympathischen Stimulation, einer Abnahme der vagalen Reaktivität und einer Reduktion der Barorezeptorenkontrolle. Die Folge ist eher eine tödliche Rhythmusstörung als ein Herzinfarkt9. Weiters ist zu beachten, dass die neurohormonelle Stressantwort ebenfalls zu einer Beeinflussung des Immunsystems führt, was die Auslösung bzw. das Fortdauern von entzündlichen Vorgängen unterstützt. Grignani untersuchte die Plättchenaktivität bei Patienten nach MCI und konnte unter emotionalem Stress eine deutliche Zunahme von Plättchenaggregation, Anzahl der zirkulierenden Plättchenkomplexe, Thromboxan-A2 und der Katecholamine feststellen10.

Heart Rate Variability (HRV): Die HRV ist eine seit langem bekannte Messmethode (Abb. 2). Durch den Einsatz der Spektralanalyse gelingt es, die Aktivität des autonomen Nervensystems (ANS) abzubilden. Vor allem die vagale Aktivität (High-Frequency-Bereich von 0,15 bis 0,4 Hz) hat sich als sensitiv für anhaltenden emotionalen Stress erwiesen11. Die ambulante 24-Stunden-HRV-Messung ist eine einfache und sensitive Methode, um Auswirkungen von chronischem und akutem Stress auf das ANS darzustellen. Anhand eines beigelegten Tätigkeitsprotokolls können auch situationsspezifische Stressauswirkungen verifiziert werden. Damit lässt sich auch die Auswirkung von chronischem Stress auf die körperliche Funktion nichtinvasiv bildlich darstellen (neurokardiale Regulation). Eine reduzierte HRV mit Einschränkung vor allem im vagalen Bereich findet sich beim Burn-out.


Weitere somatische Symptomatik: Eine weitere pathophysiologische Folge des Burn-out kann eine Aktivierung von Teilen des metabolischen Syndroms sein. So konnte in mehreren Studien ein Zusammenhang zwischen Burn-out und erhöhtem Nüchternblutzucker, Gesamtcholesterin, LDL-Cholesterin und Triglyzeriden gezeigt werden.
Des Weiteren wird vor allem das Immunsystem durch Dauerstress geschwächt, was die Anfälligkeit für Infekte erhöht und zu chronisch erhöhten CRP-Werten führt. Als weitere körperliche Symptome können auftreten: Kopf-, Muskel- und Gliederschmerzen, Ohrgeräusche, Verdauungsprobleme, Schlafstörungen, Schwindel, Herzklopfen oder -rasen, Bluthochdruck, Libidoverlust und Impotenz. Patienten, die chronischen Stress erfahren (Phasen 2–3 nach Edelwich und Brodsky) klagen vor allem über zunehmende Erschöpfung, Müdigkeit, Leis – tungsabfall, Schwitzen, Schlafstörungen und funktionelle Beschwerden wie Herzrasen, Atemnot, Verdauungsstörungen oder chronische Schmerzen. Dazu kommen Verhaltensänderungen, die als weitere Risikofaktoren eine Krankheitsentstehung begünstigen.
Als Differenzialdiagnosen kommen Hormonstörungen, angeborene Stoffwechselerkrankungen, Autoimmunerkran – kungen, Schilddrüsenerkrankungen, Vitaminmangel, aber auch vorbestehende Erkrankungen, vor allem des Herz-Kreislauf- Systems in Frage.

resümeeChronischer Stress, Burn-out und vitale Erschöpfung stellen unabhängige Risikofaktoren für Folgeerkrankungen dar. Vor allem der Zusammenhang mit Erkrankungen des Herz- Kreislauf-Systems gilt als gesichert. Als zusätzliche Risikofaktoren sind Bewegungsmangel, Fehlernährung und Suchtverhalten hochwahrscheinlich.                  Bei Patienten mit einer Burn-out-Symptomatik sollte immer auch eine internistische Abklärung zur Risikostratifizierung vorgenommen werden

1 Appels A, Mulder P, Fatigue and heart disease. The association between ,vital exhaustion‘ and past, present and future coronary heart disease. J Psychosom Res 1989; 33(6):727–38.
2 Edelwich J, Brodsky A, Burn-out stages of disillusionment in the helping professions. New York, Human Science Press 1980.
3 Ahola K et al., Occupational Burnout and chronic work disability: an eight-year cohort study on pensioning among Finnish forest industry workers. J Affect Disord 2009; 115(1–2):150–9.
4 Appels A, Falger PR, Schouten EG, Vital exhaustion as risk indicator for myocardial infarction in women. J Psychosom Res, 1993; 37(8):881–90.
5 Titscher G, Psyche und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. J Kardiologie 2000; 7:237–41.
6 Frasure-Smith N, lesperance F, Psychosocial risks and cardiovascular diseases. Can J Cardiol 1999; 15, suppl G:93G–97G.
7 Schmidt TH et al., Pathophysiologische Mechanismen – Mediatoren zwischen Verhalten und koronarer Herzkrankheit aus Psychosoziale Faktoren bei Angina Pectoris und Myocardinfarkt in: von Uexküll T et al., Psychosomatische Medizin, 5. Aufl., 1996, Urban u. Schwarzenberg
8 Blumenthal JA et al., Mental stress – induced ischemia in the laboratory and ambulatory ischemia during daily life. Circulation 1995; 92:2102–2108
9 Schonecke OW, Herrmann JM, Psychophysiologie in: von Uexküll T et al., Psychosomatische Medizin, 5. Aufl., 1996, Urban u. Schwarzenberg
10 Grignani G et al., Platelet activation by emotional stress in patients with coronary artery disease. Circulation 1991 Apr; 83(4 Suppl):II128–36.
11 Dishman RK et al., Heart rate variability, trait anxiety, and perceived stress among physically fit men and women. Int J Psychophysiol 2000; 37(2):121–33.