Zuerst möchte ich festhalten, dass die Initiative, eine Umfrage zur Situation der Substitutionstherapie in Österreich durchzuführen, sehr zu begrüßen ist. Allerdings möchte ich die gegenständliche Substitution lieber als Opioidersatztherapie bezeichnen. Damit verbindet man nämlich das ursächlich ärztliche Wort Therapie mit der Substanz.
Auch für mich als jahrelangem „Insider“ brachte die in Anbetracht der hohen Zahl befragter Ärzte repräsentative Studie teils Überraschendes, viel Positives und auch einiges Negative zu Tage.
Wenig überraschend war, dass das Versorgungsangebot als viel zu gering eingestuft wird. Hier zeigen sich zwar regionale Unterschiede, nachdenklich stimmt mich aber vor allem, dass auch die Hälfte der Wiener Kollegen die Versorgung drogenkranker Patienten als zu gering einstuft. Stellt man die Zahlen (in Wien werden über 7000 Patienten von über 200 Ärzten regelmäßig behandelt, in NÖ nicht einmal 2000 von nur 34 Kollegen mit Kassenvertrag und nicht einmal 10 Wahlärzten) gegenüber, so zeigt die Umfrage vor allem in Wien weniger einen quantitativen als einen gravierenden Bedarf an multiprofessionalen Angeboten auf. Dass es in den Bundesländern noch schlechter aussieht, darf wegen der über 10 Jahren währenden Vernachlässigung der Opioidersatztherapie nicht verwundern.
Wirklich erfreulich ist die Frage nach der Motivation: Die Behandlung Kranker als ärztliche Pflicht steht unangefochten an allererster Stelle. Hier scheint endlich der Paradigmenwechsel stattzufinden, Sucht als schwere, chronisch rezidivierende Krankheit und nicht als moralisches Defizit zu sehen.
Die größte Überraschung für mich war die Auswertung der Fragen nach der Stigmatisierung durch Kollegen und Patienten. Nur 8 % der Allgemeinmediziner fühlen sich von Kollegen scheel ange- schaut, und nur 14 % sehen Probleme mit ihren „nicht süchtigen“ Patienten. Gerade in diesem Bereich hätte ich die Zahlen ungleich höher eingeschätzt. Somit fällt zumindest im Bereich der Allgemeinmedizin die oft gebrauchte und gehörte Killerphrase „… dann rennen mir die Patienten davon!“ weg. Trotzdem beherrscht diese Causa über ein Drittel der substituierenden Ärzten und löst Ängste aus.
Weit verwunderlicher ist die hohe Anzahl (43 %, also fast die Hälfte) von Psychiatern, die sich durch Kollegen stigmatisiert fühlen, also bei einer Fachgruppe, die eigentlich per se für den Umgang und die Behandlung von psychisch Kranken prädestiniert ist. Hier gibt es für die Fachgruppen, für die Ärztekammern, aber auch für die Gesundheitspolitik ein weites Betätigungsfeld in der Analyse, in der Aufklärung aber auch in der Fortbildung.
Ein für mich ganz wesentlicher Punkt, der in der Umfrage nicht aufgetaucht, ist nämlich die Rechtsunsicherheit, die das Suchtmittelgesetz, aber auch die aktuelle Rechtsprechung verursacht. Jede noch so kleine Fehlleistung wird in Österreich einzig durch das Strafrecht verfolgt, was übrigens nicht nur für die Opioidersatztherapie gilt, sondern für jede Form des Opioideinsatzes wie beispielsweise in der Schmerztherapie. Geldstrafen oder Diversion sind per Gesetz weder vorgesehen noch erwünscht – eine Situation, die in der ärztlichen Behandlung nicht nur einzigartig, sondern auch unerträglich ist. Hier sollte eine Korrektur durch den Gesetzgeber der Realität folgen!
Zusammenfassend hat die Umfrage eine breite, ehrliche Meinungsvielfalt ergeben, die sich vor allem im Zugang zu den Patienten zeigt. Setzen Allgemeinmediziner vor allem auf Geduld und Empathie, stellen Psychiater die psychische Grundkrankheit und psychotherapeutische Maßnahmen in den Vordergrund. Gerade darin zeigt sich, dass im Bereich der Substitution noch viel zu tun ist, garantiert doch erst die Mischung aus Maßnahmen der Allgemeinmedizin, der Psychiatrie, der Psychotherapie, aber auch der Sozialarbeit den Erfolg der Opioidersatzbehandlung.
Die WHO definiert die Sucht als schwere psychische Krankheit und nicht als moralischen und selbstverschuldeten Defekt – eine Aussage, der ich mich aus vollem Herzen nur anschließen kann. Zeigt doch die jahrzehntelange Arbeit oft Erschreckendes auf: Misshandlungen und Missbrauch von frühester Jugend an, soziale und familiäre Vernachlässigung und vieles oft Unvorstellbare mehr. All dies führt bei nahezu allen unseren Patienten zu einem deutlich verminderten Selbstwertgefühl, das es durch Gespräche, aber vor allem durch gelebte Wertschätzung langsam wieder aufzubauen gilt.
Selbstwert entsteht über sich zeigen und (positiv) gesehen werden. Begegnen wir deshalb unseren Patienten mit Respekt und Offenheit, und begleiten wir sie bei der Bewältigung ihrer schweren Krankheit!
Die Behandlung und Vermeidung von ursächlichen psychischen Erkrankungen und von somatischen Begleiterkrankungen – und dies garantiert erst die Opioidersatztherapie – ermöglicht dem Suchtkranken primär das Überleben. Je mehr Suchtkranke überleben, umso mehr haben die Chance, die Krankheit in den Griff zu bekommen und so wieder – oder auch zum ersten Mal – ein lebenswertes, zufriedenes Leben erfahren zu dürfen. Diese Umfrage gibt allen Verantwortlichen das Rüstzeug zur breiten Diskussion, um obiges Ziel noch besser erreichen zu können.