KONTEXT: Die Kalziumkanalblocker Nifedipin und Verapamil inhibieren die endogene Prostaglandinsynthese und den Kalzium-Influx. Dies führt zur Reduktion der spontan rhythmischen Aktivität des Ureters1. Auch Alpha-Blocker inhibieren die Kontraktilität der Uretermuskulatur, reduzieren den Basaltonus und erniedrigen die Frequenz der Ureterperistaltik2. International werden in erster Linie Alpha-Blocker, aber auch Nifedipin eingesetzt, um eine medikamentöse Passageerleichterung für Uretersteine zu erreichen3, 4. Das Ziel dieses Metaanalyse-Updates, aufbauend auf einer eigenen Metaanalyse 20093, war unter Berücksichtigung der Studienqualität (Jadad-Score) die Wirksamkeit und Sicherheit von Tamsulosin 0,4 mg für die medikamentöse Passageerleichterung von distalen Uretersteinen zu evaluieren, zu untersuchen, ob ein Klasseneffekt besteht, sowie der direkte Vergleich zwischen Tamsulosin und Nifedipin.
Dazu wurde ein systematischer Review der Literatur bis 1. Mai 2011 in den Datenbanken MEDLINE, EMBASE, Cochrane Controlled Trials Register und Cochrane Database for Systematic Reviews durchgeführt. Es wurden für den vorliegenden Beitrag 40 randomisiert kontrollierte (RCT), peer-reviewte Studien in die Analyse* aufgenommen.
Tamsulosin 0,4 mg bei distalen Uretersteinen: Von 25 randomisiert kontrollierten Studien mit 2.031 Patienten wiesen 23 Studien höhere Passageraten im Vergleich zu einer Kontroll- oder Placebogruppe auf (RR 1,47; 95%-KI 1,33– 1,61) (Tab. 1). In 18 von 25 Studien war dieser Unterschied signifikant. Zusätzlich wurde in 22 von 25 Studien ein geringerer Analgetikabedarf, mit weniger Kolik – episoden beobachtet. Aydogdu et al. untersuchten den Effekt von Doxazosin 0,03 mg/kgKG auf die Passagerate distaler Uretersteine bei 39 Kindern (2 bis 14 Jahre)5. Hier wurde keine erhöhte Passagerate nachgewiesen. Der Einsatz einer medikamentösen Passageerleichterung bei Kindern und Jugendlichen sollte klinischen Studien vorbehalten bleiben.
Studienqualität (Jadad-Score): Die Studienqualität wurde anhand des Jadad- Scores ermittelt, bei dem zwischen 0 und 5 Punkte für eine Randomisierung, Verblindung und Begründung von Drop-outs vergeben und Punkte abgezogen werden, wenn eine Randomisierung oder Verblindung nicht sachgerecht durchgeführt wurde. 13 Studien dieser Metaanalyse waren von geringer Qualität (Jadad- Score < 3) und 12 Studien qualitativ hochwertig (Jadad-Score < 3). Beide Jadad- Score-Gruppen demonstrierten einen Vorteil der Alpha-Blockade für die Steinausscheidungsrate (RR 1,60; 1,35, 1,89) und (RR 1,38; 1,19, 1,59) (Tab. 1).
Klasseneffekt: Doxazosin, Terazosin, Alfuzosin und Naftopidil wurden in insgesamt neun randomisiert kontrollierten Studien untersucht (Tab. 2). Hierbei zeigten acht Studien eine höhere Passagerate in der Alpha-Blocker-Gruppe. Eine qualitativ hochwertige Arbeit (Jadad-Score 5) konnte keine höhere Passagerate in der Alfuzosin-Gruppe gegenüber einer Kontrollgruppe nachweisen. Dennoch wurden eine beschleunigte Passagerate sowie ein verminderter Analgetikabedarf nachgewiesen. Ein Grund für die niedrige Passagerate im Vergleich zur Kontrollgruppe könnte in der geringen mittleren Steingröße von < 4 mm liegen. Wahrscheinlich ist eine hohe Spontanausscheidungsrate bei kleinem Steindurchmesser in der Kontrollgruppe für den nicht demonstrierbaren Therapievorteil der Alpha-Blocker-Gruppe verantwortlich. Die Ergebnisse weisen hinsichtlich einer höheren und beschleunigten Passagerate sowie eines insgesamt verminderten Analgetikabedarfs auf einen Klasseneffekt der Alpha-Blocker hin, sodass neben Tamsulosin auch der Einsatz anderer Alpha- Blocker empfohlen werden kann.
Passagezeiten: In 17 Studien wurde die Zeit vom Therapiebeginn bis zur Steinausscheidung gemessen. In allen 17 Studien zeigten die Alpha-Blocker-Gruppen kürzere Steinabgangszeiten gegenüber den Kontrollgruppen. In 15 von 17 Studien war dieser Unterschied sign – ifikant. Interessant ist die Tatsache, dass Studien mit mittleren Steingrößen von < 4 mm ebenfalls kürzere Steinabgangszeiten gegenüber den Kontrollgruppen aufwiesen. Auch hier zeigten andere Alpha-Blocker-Klassen (Alfuzosin, Doxazosin und Terazosin) allesamt signifikant kürzere Passagezeiten im Vergleich zur Kontrollgruppe.
Alpha-Blocker vs. Kalziumkanalblocker: Vier Studien zeigen einen Vorteil von Tamsulosin gegenüber Nifedipin in den Passageraten distaler Uretersteine6–9. Die Arbeiten von Dellabella et al. (2005) und Ye et al. (2011) konnten einen signifikanten Unterschied zugunsten von Tamsulosin demonstrieren7, 9 (Tab. 3). Letztere randomisierte Doppelblindstudie zeigte an über 3.400 Patienten mit distalen Uretersteinen im Tamsulosin-Arm verglichen zum Nifedipin-Arm eine ca. 8-fach höhere Ausscheidungsrate bei ähnlichem Analgesieeffekt7. Dabei wurde die Steinfreiheit in wöchentlich durchgeführten Nativ-CT dokumentiert. Die aktuelle Studie von Ye et al. gibt einen evidenzbasierten Anlass dazu, Tamsulosin gegenüber Nifedipin im Hinblick auf eine höhere Effektivität zu empfehlen7. Zudem sind Alpha-Blocker bisher bevorzugt von Urologen zur medikamentösen Passageerleichterung von distalen Uretersteinen eingesetzt worden, auch weil ihr Gebrauch einschließlich des Nebenwirkungsprofils dem Urologen vertrauter ist als der von Ca-Kanal-Blockern. Dies spiegelt sich auch in der gegenüber Nifedipin deutlich größeren Zahl an Alpha- Blocker-Publikationen wider.
Proximale Uretersteine: Ob eine Alpha-Blocker-Therapie auch bei proximalen Uretersteinen wirksam ist, wird kontrovers diskutiert. Indirekt besteht ein Nutzen, da proximale Steine auch den distalen Ureter passieren müssen. Zudem konnten Davenport et al. in vitro und in vivo eine Reduktion der muskulären Spannung im proximalen Ureter unter Alpha-Blockade demonstrieren2, 10. Im Einklang mit den Ergebnissen Davenports konnte rezent ein Vorteil der Alpha- Blockade auch bei proximalen Uretersteinen gezeigt werden. Yencilek et al. (2010) beobachteten eine erhöhte Dislokationsrate von proximal nach distal in der Tamsulosin-Gruppe11. Chau et al. (2011) hingegen fanden eine signifikant höhere Spontanausscheidungsrate bei Alfuzosin gegenüber der Kontrollgruppe12. Ob Alpha-Blocker bei proximalen Steinen eingesetzt werden sollten, kann gegenwärtig aufgrund der noch insuffizienten Datenlage nicht abschließend beurteilt werden.
Limitierung: Die meisten Studien sind Single-Center-Studien mit geringer Patientenanzahl hoher Heterogenität und geringer Qualität (Jadad-Score < 3), wodurch die Aussagekraft dieser Metaanalyse eingeschränkt bleibt. Qualitativ hochwertige multizentrische, doppelblinde placebokontrollierte Studien sind weiterhin nötig, um die Ergebnisse dieser Metaanalyse in Zukunft zu verifi zieren.
Take Home Message
Insgesamt werden in der Therapie distaler Uretersteine mit Alpha-Blockern (Klasseneffekt) höhere Passageraten bei gleichzeitig geringeren Passagezeiten und niedrigerem Analgetikabedarf erreicht.
Alpha-Blocker sollten gegenüber dem Kalziumkanal- Blocker Nifedipin bevorzugt werden.
Es gibt Hinweise, dass Alpha-Blocker die Passage proximaler Uretersteine beschleunigen. Die Datenlage ist jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ausreichend, um deren Einsatz bei proximalen Uretersteinen zu empfehlen.
* Die Metaanalyse wurde mit dem Review Manager (RevMan), Version 5.1. Copenhagen: The Nordic Cochrane Centre, The Cochrane Collaboration, 2011 durchgeführt.
1 Sahin A et al., Arch Int Physiol Biochim Biophys 1993; 101:245–7
2 Davenport K et al., BJU Int 2006; 98:651–5
3 Seitz C et al., Eur Urol 2009; 56:455–71
4 Hollingsworth JM et al., Lancet 2006; 368:1171–9
5 Aydogdu O et al., J Urol 2009; 182:2880–4
6 Porpiglia F et al., J Urol 2004; 172:568–71
7 Ye Z et al., BJU Int 2011; 108:276–9
8 Keshvary M et al., Med J Mashhad university Med Sci 2006; 48:425–30
9 Dellabella M et al., J Urol 2005; 174:167–72
10 Davenport K et al., Urol Res 2007; 35:207–13
11 Yencilek F et al., Urol Res 2010; 38:195–9
12 Chau LH et al., Int J Urol 2011; 18:510–4