Arzneitees – unterstützende Hilfe bei Harnwegsbeschwerden

Warum Arzneitees?

Teegetränke sind nicht nur zur Erfrischung oder zum Aufwärmen beliebt, sie gehören auch zu den einfachsten und historisch ältesten Arzneimitteln, für die wir über einen großen Erfahrungsschatz hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit verfügen.
Speziell bei Harnwegsbeschwerden vereinen Arzneitees den Vorteil einer erwünschten höheren Flüssigkeitszufuhr mit einer Reihe positiver Wirkungen, der durch Kombination mehrerer Arzneidrogen erreicht wird. Je nach Auswahl der Pflanzen stehen aquaretische, antibakterielle, antiinflammatorische, analgetische oder spasmolytische Wirkqualitäten im Vordergrund. Arzneitees haben ein breites pharmakologisches Wirkprofil und damit Wirksamkeit bei multifaktoriell begründeten Beschwerdebildern, deren Ätiologie oft nur ungenügend bekannt ist.
Bei leichten Beschwerden kann eine Behandlung mit Arzneitees ausreichend sein, in schwereren Fällen können sie zusätzlich adjuvant zu anderen Arzneimitteln eingesetzt werden und sogar die Einsparung von Antibiotika ermöglichen.
Die wissenschaftlich ausgerichtete Medizin stützt sich zwar zurzeit bei der Bewertung von Arzneimitteln vor allem auf pharmakologische und klinische Studien sowie statistisch gesicherte Ergebnisse im Sinn einer Evidence-based Medicine (EBM), dabei bleibt jedoch viel an „innerer Evidenz“ aus dem praktischen Alltag ungenützt, nämlich vorrangig die Erfahrung des praktizierenden Arztes, des beratenden Apothekers und des betroffenen Patienten. Das trifft generell für pflanzliche Arzneimittel zu, im Besonderen aber auch für Arzneitees, denen gerade in den letzten Jahren zunehmendes Interesse der Patienten gilt.

„… und einen Tee bitte!“

Wie sieht es im Alltag aus? Nach einem spätsommerlichen, doch schon zu kühlem Badevergnügen oder ähnlicher Unterkühlungsbelastung wird oft die Selbstdiagnose „Blasenentzündung“ mit den Symptomen „Brennen, Ziehen, Schmerzen“ gestellt; noch vor dem Weg in die Ordination hört man dann sehr häufig in der Apotheke die Frage nach einem „Blasentee“. Erscheinen – nach entsprechender Befragung – die Beschwerden nicht zu stark und besteht kein akutes Risiko für Komplikationen, dann kann hier zunächst eines der altbewährten Teegemische (s. u.) zur Selbstmedikation empfohlen werden.
Bei stärkeren oder anhaltenden Beschwerden und nach differenzierter ärztlicher Diagnose lassen sich gezielt Tees aus Einzeldrogen (also getrocknete, zerkleinerte Teile einer einzelnen Arzneipflanze) oder Mischungen mehrerer Teedrogen einsetzen. Man kann hier auf bewährte Rezepturen zurückgreifen, diese aber auch variieren und individuell auf den besonderen Patienten und dessen Beschwerden abstimmen. Die Herstellung des Teegemisches nach ärztlichem Rezept erfolgt „magistraliter“ in der Apotheke. Einzelne Fertigpräparate sind in Österreich auch als zugelassene oder registrierte pflanzliche Arzneimittel im Handel (vgl. Artikel F. Pittner).

Arzneitees sind Arzneimittel, keine Frühstücksgetränke: Teedrogen und Teegemische werden in Apotheken als Arzneimittel abgegeben und erfüllen daher – im Unterschied zu Lebensmitteln, etwa aus dem Supermarkt – die hohen Qualitätsanforderungen des Arzneibuches: In Österreich sind das Europäische und das Österreichische Arzneibuch (ÖAB) rechtsverbindlich. Damit sind ein entsprechender Wirkstoffgehalt und die gleichbleibende pharmazeutische und therapeutische Qualität gesichert.
Zu den wichtigsten Einzeldrogen, die als „Aquaretika“ zur Durchspülungstherapie angewendet werden, zählen Birkenblätter, Brennnesselkraut, Goldrutenkraut, Hauhechelwurzel, Liebstöckelwurzel, Orthosiphonblätter und Schachtelhalmkraut, als antibakteriell wirksame „Harndesinfizientia“ werden Bärentraubenblätter und gelegentlich Preiselbeerblätter eingesetzt. Nicht zu vergessen das bisher nur als Teedroge verfügbare, prostatotrope Weidenröschenkraut.
Im Österreichischen Arzneibuch 2019 sind 34 Teegemische als Arzneimittel enthalten.1 Fünf davon eignen sich für die Anwendung bei Harnwegsbeschwerden: „Blasentee 1 und 2 offizinal“ (= „Species urologicae I und II officinales“) sowie die „Harntreibenden Tees 1, 2 und 3 offizinal“ (=„Species diureticae I, II und III officinales“). Species lat.: die (Pflanzen-)Art, Mz. die Arten, also eigentlich: verschiedene Pflanzenarten, die ein Teegemisch ergeben, übertragen: Species = Teegemisch. Diese und weitere Rezepturen für Teegemische findet man auch auf der Website der Österreichischen Gesellschaft für Phytotherapie (ÖGPHYT)2 und in der Literatur3, 4. Mit einiger Erfahrung können die Standardrezepturen für eine „Multi-Target-Therapie“ auch individuell abgewandelt rezeptiert werden. Begleitbeschwerden einer Harnwegsinfektion lassen sich so z. B. durch Zusatz analgetisch (Weidenrinde) oder spasmolytisch wirkender (Kamille, Schafgarbe, Kümmel) Arzneidrogen effektiv mildern.

 

„… und zahlt die Kasse den Tee?“

Einzelteedrogen und Teegemische werden bis zu einer Höchstmenge von 100 g ohne vorherige chefärztliche Bewilligung erstattet, sodass der Endverbraucher maximal die Rezeptgebühr bezahlen muss. Stoffe für magistrale Zubereitungen gemäß Anlage B der Österreichischen Arzneitaxe gelten als Teil des Grünen Bereiches im Erstattungskodex, Ausnahmen werden im Verzeichnis angeführt.

Anwendung, Indikationen

Eine alleinige Therapie mit Arzneitees kann bei kurzfristigem Blasenkatarrh, asymptomatischer Bakteriurie, Honeymoon-Zystitis, Nachbehandlung und Rezidivprophylaxe bei Harnwegsinfektionen nach Behandlung mit Synthetika oder Antibiotika, bei leichten bis mittelschweren Formen von Blasendysfunktionen (Reizblase) ausreichen.

Ein adjuvanter Einsatz wird zur Durchspülungstherapie bei Harnwegsinfektionen zusätzlich zu oder nach Absetzen von Antibiotika oder Synthetika, bei Reizblase oder „überaktiver Blase“ gemeinsam mit einem synthetischen Spasmolytikum, bei bekannter Neigung zu Steinbildung oder Nierengrieß, auch zur „Nachsorge“ nach Steinentfernung, bei Miktionsbeschwerden (Weidenröschenkraut, Brennnesselwurzel bei BPH/BPS) empfohlen.3 Im Gegensatz zu anderen Indikationen können Arzneitees bei Harnwegsbeschwerden in größerer Menge (1 bis 1,5 Liter über den Tag verteilt) und über längere Zeiträume getrunken werden → Ausnahme: Bärentraubenblätter, nicht durch Studien begründet, nur auf Grund theoretischer Überlegungen nicht länger als eine Woche, nicht öfter als 5-mal pro Jahr. Als Kontraindikation für eine Durchspülungstherapie mit Aquaretika gilt die Neigung zu Ödemen infolge eingeschränkter Herz- oder Nierentätigkeit.
Für einfache Teedrogen liegt zwar ein großer Erfahrungsschatz vor, es gibt aber nur wenige heutigen Anforderungen genügende Studien. Dementsprechend findet sich auch in den Monografien des HMPC der EMA meist der Hinweis „nicht empfohlen während Schwangerschaft und Stillzeit, bei Kindern unter 12 Jahren, wegen des Fehlens verfügbarer Erfahrung bzw. ausreichender Daten“. Die Entscheidung über eine Anwendung in diesen Fällen bleibt also dem Therapeuten überlassen.

Fazit

Arzneitees sind keine antiquierte Arzneiform, deren Anwendung als Anachronismus abzulehnen wäre. Gerade bei Harnwegsbeschwerden mit sehr unterschiedlicher, zum Teil nicht ausreichend geklärter Ätiologie können Gemische aus mehreren Teedrogen auf Grund ihrer pleiotropen Wirksamkeit und guten Verträglichkeit als alleinige oder unterstützende Arzneimittel mit Erfolg eingesetzt werden.

1 Österreichisches Arzneibuch, Amtliche Ausgabe 2019, Verlag Österreich, Wien 2019
2 www.phytotherapie.at
3 Schilcher H, Leitfaden Phytotherapie, 5. Aufl., Urban & Fischer, München 2016
4 Fintelmann V, Praktische Tee-Therapie, Wiss. Verlagsges. Stuttgart 2005
5 BGBL. II Nr.122/2004 idF BGBL II Nr.150/2014