Inkontinenz, Entleerungsstörung von Blase und Darm, auch Obstipation, sind Beschwerden, die viele Menschen betreffen. Diesen kann durchaus geholfen werden. Medikamente, Beckenbodentraining, Biofeedback, Operation – für jede und jeden Betroffenen kann eine individuelle Therapie erstellt werden. Dabei stellt sich oft die Frage: Wer ist wofür zuständig bzw. in wessen Kompetenz fällt das Leiden? Ist die Gynäkologie zuständig oder die Urologie, die Physiotherapie oder die Kontinenzberatung? Die Antwort ist einfach: nicht entweder oder, sondern UND. Ein Zusammenspiel der verschiedenen Disziplinen bietet die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Behandlung. Diese Interdisziplinarität wird im MKÖ-zertifizierten Kontinenz- und Beckenbodenzentrum (BBZ) des Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern Ried seit vielen Jahren gelebt.
Nach fachärztlicher Abklärung werden die Betroffenen an die Kontinenzberaterin (KSB) und die Physiotherapeutin (PT) überwiesen. Wiewohl die knappen Zeitressourcen der Ambulanz zu berücksichtigen sind, wird ihnen mit Terminen von KSB und PT an ein- und demselben Tag entgegengekommen. Die Therapie beinhaltet 4 Sitzungen über drei Monate.
Erste Sitzung: Von der KSB werden Harn- und Stuhlgewohnheiten sowie aktuelle Beschwerden eruiert und die Ausgangssituation in einer elektronischen Kartei festgehalten. Anschließend erhält die/der Betroffene eine Beratung bezüglich Inkontinenz-Einlagen und anderer Hilfsmittel. Bei Bedarf wird ein Formular für das Miktionsprotokoll mitgegeben. Dann werden der Beckenboden und dessen Training an einem Modell erklärt. Es folgt eine Biofeedback-Kontrolle: Mit einer Rektal- bzw. Vaginalsonde wird die Beckenbodenaktivität auf einem Bildschirm als Kurve sichtbar gemacht. So wird gelernt, wie man den Beckenboden richtig anspannt, nämlich ohne Mitbeteiligung von Bauch- und Glutealmuskulatur. Der nächste Schritt ist die Schulung durch die PT, mit der ein Übungsprogramm erarbeitet wird, welches zuhause täglich 2 x 7 Minuten durchgeführt wird.
Zweite Sitzung: Zwei Wochen später wird zuerst der KSB über die Erfahrungen mit den erhaltenen Hilfsmittel-Mustern berichtet, gegebenenfalls das Miktionsprotokoll besprochen und Ziele daraus abgeleitet. Dann wird mittels Biofeedback kontrolliert, ob das Beckenbodentraining richtig durchgeführt wird. Anschließend wird die/der Betroffene instruiert, wie Harnverlust durch gezielten Einsatz des Beckenbodens im Alltag verhindert wird (z. B. Anspannen bei Belastung, Miktionstraining). Schließlich bespricht die PT Unklarheiten bei den Übungen und erweitert das Programm des täglichen Beckenbodentrainings.
Dritte Sitzung: Sechs Wochen ab Therapiebeginn kann die KSB mittels Biofeedback meist eine Steigerung der Muskelkraft des Beckenbodens zeigen, was ebenso wie die von Betroffenen selbst festgestellte Besserung der Kontinenz zur Fortsetzung des Programms motiviert. Die PT erweitert wieder das Übungsprogramm.
Vierte Sitzung: Drei Monate nach Therapiebeginn erfolgt eine neuerliche Biofeedback-Kontrolle, die meist einen deutlichen Kraftzuwachs der Beckenbodenmuskulatur aufzeigt. Ist die Inkontinenz geheilt bzw. die/der Betroffene mit dem Therapieergebnis zufrieden, bekommt sie/er den Auftrag, das Beckenbodentraining täglich fortzusetzen, und zwar in den Alltag integriert (z. B. während TV-Werbeeinschaltungen). Die zuweisende Ordination/Ambulanz erhält einen Therapiebericht. Im Fall von noch unbefriedigendem Fortschritt werden weitere Maßnahmen (z. B. Elektrostimulation mittels Leihgerät) interdisziplinär besprochen.
Dieses Grundkonzept wird individuell angepasst. Eine Heilung bzw. Besserung der Beschwerden bei etwa 90 % der Betroffenen zeigt dem Team, dass die gute Zusammenarbeit der Berufsgruppen (mit völlig unkomplizierter Kontaktaufnahme bei jeder neuen Fragestellung) der richtige Weg ist.