Digitale Technologien bieten in der Medizin einerseits große Chancen, andererseits bergen diese bei unkritischem Einsatz auch Risiken. Die diesjährige Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) unter dem Motto „Mensch, Maschine, Medizin, Wirtschaft“ widmete sich dem Spannungsfeld. Es gilt, so Kongress-Präsident Professor Oliver Hakenberg, den digitalen Wandel in der Medizin aktiv mitzugestalten
Univ.-Prof. Dr. Oliver W. Hakenberg: Das Kongress-Motto „Mensch, Maschine, Medizin, Wirtschaft“ greift das sich in den letzten Jahren verschärfende Konfliktfeld in der Krankenhausmedizin, insbesondere in Deutschland, auf. Es bezieht sich auf die Arbeitsverdichtung beim ärztlichen Personal, auf den Ärzte- und Pflegemangel sowie auf zunehmende Bürokratie. Insbesondere die Arbeitsverdichtung ist der weit fortgeschrittenen Ökonomisierung des Medizinbetriebes geschuldet. Aus diesem Konfliktfeld leitet sich eine steigende Unzufriedenheit des Gesundheitspersonales ab.
Technik, Technologie, Digitalisierung und künstliche Intelligenz sind verstärkt im Kommen. Nicht alles, was Fortschritt verspricht, ist auch unbedingt einer. Die Digitalisierung dient nach dem Dafürhalten vieler Leute der Verwaltung und den Krankenkassen, nicht zwangsläufig Ärzten, Pflegenden und Patienten. Ich denke, wir müssen auch den Gedanken zulassen, dass Digitalisierung allein keine Probleme löst. Es ist kritisch zu beäugen, was mit Digitalisierung tatsächlich erreicht werden kann. Es ist eine Frage, was genau ich selbst als Arzt durch eine Maschine ersetzen möchte. Wer unbedingt will, könnte ein Anamnesegespräch abgeben: Man drückt dafür einem Patienten ein Tablett in die Hand, damit er einen Fragebogen ausfüllt, den dann ein Computer auswertet. Ich bezweifle sehr, dass das gut ist.
Meines Erachtens ist die digitale Patientenakte schwieriger zu sichten als eine systematisch sortierte Papierakte; vielleicht für die Verwaltung in der Abarbeitung ein Vorteil, aber die eigentliche Medizin zieht daraus keinen Vorteil. Ich sehe nicht, dass die elektronische Patientenakte 2021 kommen wird und sehe wie gesagt auch ihren Vorteil nicht. Ich erachte diese eher als Vision. Datenschutz ist ein großes Thema. Im Rahmen der Digitalisierung kann sich jeder Krankenhausmitarbeiter alles ansehen, was die Frage aufwirft, wo hier der Fortschritt gegenüber der Papierakte zu sehen ist.
Ja, am 25. Juni durfte ich diesen Abend moderieren und gemeinsam mit Referenten und rund 50 geladenen Gästen aus Politik und Gesundheitswesen, aus dem Fachgebiet und der Presse vis-à-vis des Reichstagsgebäudes im Haus der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft über die „Chancen und Grenzen kollaborativer Automatisierung und künstlicher Intelligenz“ diskutieren. Die Frage im Zuge des digitalen Wandels ist immer: Was ist sinnvoll und was nicht? Es hat keinen Sinn, Tools ohne Nutzen einzuführen, nur um diesem Tool den Mantel „digital“ umzuhängen. Ich finde auch, dass die deutschen Medien mit der Aussage, dass Deutschland in der Digitalisierung deutlich hinterherhinkt, sehr übertreiben. Ein Thema des Abends war dann eben auch die Nutzung von künstlicher Intelligenz z. B. für die Auswertung und Befundung von CT-Bildern. Daraus entwickelt sich die Frage, welche Rolle in der Folge der Radiologe spielen würde. Weiteres Topic: künstliche Intelligenz für die Beurteilung histologischer Schnitte. Werden intelligente Systeme lernfähig gemacht, stellt sich die Frage, ob eine Routine pathologische Befundung von einem Computer übernommen werden kann. Diesbezügliche Diskussionen verlaufen durchaus kontrovers. In der roboterassistierten Chirurgie konnten große Fortschritte erzielt werden. Die Vorstellung ist, dass lernende Systeme einen Teil der Operation übernehmen könnten. Auch dieses Thema wurde im Rahmen des parlamentarischen Abends sehr kritisch diskutiert. Die meisten Operateure sowie ich selbst sind der Meinung, dass dies nicht funktionieren wird.
Gute Frage. Ich glaube nicht, dass dies der Fall ist. Eher ist für mein Dafürhalten die Situation jene, dass sich Ärzte darum selbst kümmern, da es aktuell keine systematische Vermittlung gibt.
Dafür müssen wir energisch aufstehen und uns darum kümmern. Die Impulse für den digitalen Wandel gehen aktuell von IT-Abteilungen und Verwaltungen in Krankenhäusern aus, und das ist meines Erachtens keine gute Entwicklung. Wir Ärzte müssen mehr Geschlossenheit zeigen und Einfluss nehmen.
Ich denke, dass Krankenhäuser vollständig digitalisiert sein werden – sprich, alle Patientenbefunde u. Ä. können über ein digitales Netzwerk abgerufen werden. Fehlen wird eine komplette Vernetzung mit allen niedergelassenen Ärzten – aber nur flächendeckend digitale Vernetzung würde Sinn ergeben. Seitens der niedergelassenen Ärzte gibt es erheblichen Widerstand, da sie die Befunde digitalisieren müssten etc.; auch die benutzte Software ist ja nicht einheitlich. Routine- Pathologie-Befundungen werden computerunterstützt erfolgen. Der Pathologe wird nur noch einen Blick darüber werfen. OP-Roboter werden eine deutliche Verbesserung erfahren.
Danke für das Gespräch!