Vulväre Krankheitsbilder sind leider noch immer schambesetzt und tabuisiert, weshalb Frauen manchmal erst spät ärztliche Hilfe suchen. Ärzten fällt es ihrerseits ebenfalls nicht immer leicht, Patientinnen aktiv auf Beschwerden, die sexuelle Probleme mit umfassen können, anzusprechen. Schwierigkeiten ergeben sich auch aus der großen Bandbreite der Differenzialdiagnosen vulvärer Beschwerden, die Infektionen, Allergien, Hypersensitivitätsreaktionen, Genital – atrophie, falsche Hygienemaßnahmen, Präkanzerosen, Malignome, neurologische Krankheitsbilder, aber auch die Manifestation von Dermatosen im Vulvabereich umfasst. Die größte Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den chronisch-entzündlichen Hauterkrankungen Lichen sclerosus und Lichen planus zu.
Der anogenitale Lichen sclerosus (LS) ist wesentlich häufiger als der Lichen planus (LP). Der Beginn beider Erkrankungen ist vom Kindesalter bis ins Senium möglich. Prävalenzschätzungen beim LS reichten von 1 : 1.000 in einer dermatologischen Klinik bis zu 1 : 60 in einer gynäkologischen Praxis. In unserem Patientenkollektiv fanden wir eine Prävalenz von 8,5 % bzw. 1 : 12 Frauen. Der LP ist eine Systemerkrankung mit einer weltweiten Prävalenz von < 1 %. In unserem Patientenkollektiv errechneten wir für den anogenitalen LP eine Prävalenz von 2 %. Grundsätzlich muss man von einer hohen Dunkelziffer beider Erkrankungen ausgehen, deren Ursache sowohl in der Kompetenzverteilung auf verschiedene Fächer (Gynäkologie, Urologie, Dermatologie, Pädiatrie) als auch im fächerübergreifend niedrigen Ausbildungsniveau betreffend vulväre Erkrankungen zu sehen ist. Die Missinterpretation insbesondere früher vulvärer Dermatosen als rezidivierende vulvovaginale Candidose oder Genitalatrophie führt zu frustranen Therapieversuchen mit Antimykotika bzw. topischen Östrogenpräparationen.
Im Widerspruch zur häufigen Interpretation des LS als juckende Dermatose der älteren bzw. alten Frau klagen bereits oft junge Frauen mit frühem LS über teilweise massive Beschwerden, die neben Pruritus Spannungs- und Trockenheitsgefühl und Neigung zu Rhagaden umfasst. Der Elastizitätsverlust der Haut im Vulva- und äußeren Introitusbereich führt zum erschwerten Einführen des Penis, also zu Dyspareunie am Beginn des Verkehrs, die sich im Verlauf des Koitus manchmal sogar verbessern kann. Langsames Abheilen von Rhagaden kann allerdings protrahierte Beschwerden verursachen. Die klinische Symptomatik kontrastiert mit den oft noch diskreten Vulvaveränderungen, die bei oberflächlicher Inspektion dem ungeübten Untersucher entgehen können.
Häufig finden sich Rötungen (Abb. 1A, B), beginnende Veränderungen der Vulvaarchitektur wie (asymmetrische) Schrumpfung der Labia minora (Abb. 1B) und periklitorale Verwachsungen (Abb. 1B), die im Endstadium das Bild der buried clitoris ergeben (Abb. 1C). Pathognomonisch für den frühen LS sind furchenartige Einkerbungen der Sulci interlabialis (Abb. 1A, B), die Prädilektionsstellen für Rhagadenbildung darstellen (Abb. 1A, B). Weißliche Hautveränderungen sind in der Frühform ebenfalls diskret (Abb. 1B). Im Endstadium des „ausgebrannten“ LS mit vollständig aufgebrauchten Labien, nicht mehr sichtbarer Klitoris, massiven weißlichen Hautveränderungen, ekchymotischen Einblutungen und Introitusstenose dominieren die rein mechanischen Auswirkungen bei rigidem massiv verengtem Introitus (Abb. 1C).
Die genitale Manifestation eines LP bei Frauen ist vielen Ärzten unbekannt. Der LP verursacht massive, oft unerträgliche Berührungsschmerzen und beginnt häufig akut. Juckreiz und Trockenheitsgefühl, „wund“ und erosiv imponierende Schleimhautareale mit Kontaktblutungen, besonders im Introitusbereich, können auftreten. Für manche Frauen ist Geschlechtsverkehr nicht mehr möglich, woraus eine erhebliche Belastung der Patientinnen und deren Partner resultieren können. Auch beim LP sind sichtbare Vulvaveränderungen anfangs noch subtil. Häufig findet man glänzende Rötungen (Abb. 2A), die den veralteten Terminus „Lichen ruber planus“ erklären. Veränderungen der Vulvaarchitektur mit Schrumpfung der Labien (Abb. 2A, B) und „verklebt“ wirkenden Sulci interlabiales (Abb. 2B) entwickeln sich oft rasch. Weißliche streifen- oder netzförmige Hautveränderungen, so genannte Wickham- Striae, sind ein diagnostisches Spezifikum des LP (Abb. 2B).
In fortgeschrittenen Stadien können in den Rötungen Erosionen entstehen, die sich zu narbigen Introitusstenosen entwickeln (Abb. 2C).
Wichtig in der Differenzialdiagnose zum LS ist die mögliche Schleimhautbeteiligung (vaginal, oral, ösophageal), die man beim LS nie findet und die intravaginal zu ausgeprägten Stenosen führen kann. Extragenitale Hautveränderungen sind beim Lichen planus häufig, beim LS hingegen sehr selten. Bei untherapierten erosiven sowie stenosierenden Veränderungen im Introitus- und Vaginalbereich ist (penetrative) Sexualität nicht mehr möglich.
Die Basis jeglicher Diagnostik vulvärer Beschwerden auch im Zusammenhang mit Sexualstörungen ist eine genaue Anamnese und sorgfältige klinische Untersuchung der Vulva. Oft ist zur Diagnosesicherung speziell früher Dermatosen mit fehlenden makroskopischen Spezifika eine Biopsie nötig. Eine optimale Interpretation erfordert jedoch Kenntnisse in Dermatologie und/oder Dermatopathologie. Optimalerweise sollte eine tiefe Stanzbiopsie mit einem Durchmesser von 3–4 mm entnommen werden, um die Aktivität der Erkrankung und Ausbildung einer Vaskulitis beurteilen zu können. Oberflächliche Knipsbiopsien sind dazu ungeeignet. Gerade in den Frühformen mit diskreten klinischen Veränderungen sind auch die histologischen Veränderungen meist subtil und fokal, daher ist eine zweite Biopsie für eine optimale Diagnostik oft hilfreich. Fortgeschrittene Stadien des LS und LP sind histologisch nicht immer eindeutig zu unterscheiden. Hier ist der interdisziplinäre Austausch oder ein Foto/klinisches Bild für den Befunder sehr hilfreich. Beim erosiven Lichen planus sollte die Biopsie am Rand der Ulzeration entnommen werden, da das fragile Epithel leicht abschilfert.
Take Home Message
Trotz der hohen Prävalenz vulvärer Dermatosen und des teilweise starken Leidensdrucks betroffener Frauen ist die Zahl der nicht oder falsch diagnostizierten Fälle sehr hoch.
Gerade in den frühen Krankheitsstadien könnte eine rechtzeitige, adäquate Therapie vielfach ein Fortschreiten zu irreversibler Gewebeschädigung mit bleibenden Einschränkungen der Sexualität verhindern.
Wünschenswert wäre daher eine verstärkte Sensibilisierung für dieses Thema sowie eine verbesserte und vertiefte Ausbildung betreffend Vulvaerkrankungen und Sexualmedizin für alle damit befassten Fachdisziplinen.