Im Rahmen der Erstattung seines medizinischen Gutachtens vor Gericht ist der Sachverständige gefordert, neutral, objektiv und mit fachlicher Kompetenz seine erhobenen Befunde im Kontext der Gutachtenfrage zu erläutern. Idealerweise verfügt der Gutachter dabei sowohl über die notwendige forensische als auch über eine klinische Expertise. Der Umgang mit juristischen Rechtsbegriffen und gerichtlichen Abläufen sollte hierbei ebenso selbstverständlich sein wie die Fähigkeit, dem medizinischen Laien komplizierte wissenschaftliche Zusammenhänge verständlich zu verdeutlichen. Vor dem Hintergrund forensisch andrologischer Schnittstellen stehen neben der Begutachtung von angeschuldigten Sexualdelikten auch Abhandlungen über Untersuchungen bezüglich einer potenziell bestehenden Impotenz oder Infertilität, z. B. bei Klärung einer strittigen Vaterschaft, im Mittelpunkt der älteren gerichtsmedizinischen Fachliteratur. Dies bezüglich schrieb der bekannte Berliner Gerichtsmediziner Fritz Straßmann schon im Jahr 1922 eine ausführliche Abhandlung und erläutert den Nachweis der Zeugungsunfähigkeit bzw. die Verifizierung eines Sittlichkeitsverbrechens (Abb. 1). Weitere fachliche Verknüpfungen stellen die psychiatrische Sexualpathologie und die forensische Spurenkunde dar.
Sexualdelikt: In der modernen rechtsmedizinischen Begutachtung eines angeschuldigten Sexualdeliktes, beispielsweise zu Lasten einer Frau, erfolgt neben der Untersuchung der Geschädigten auch die Begutachtung des Beschuldigten. Hierbei werden neben der körperlichen Untersuchung zur Erfassung extragenitaler Befunde (z. B. Hämatome, Kratzer u. Ä.) auch Abriebe von der Penisschafthaut und der Glans penis zur weiterführenden molekularbiologischen Diagnostik bezüglich des Nachweises möglicher penil anhaftender vaginaler Epithelzellen vorgenommen.
Während bei der Frau sichtbare vaginale oder anale Penetrationsverletzungen durchaus makroskopisch feststellbar sind, stellt die genitale Verletzung des Mannes einen eher seltenen Befund dar. Neben penoskrotalen Kratzspuren, welche im Rahmen einer körperlichen Auseinandersetzung entstanden sein können, sind sowohl mögliche An- oder Abrissverletzungen des Frenulum preputii, insbesondere infolge einer analen Penetration, als auch Bissverletzungen im Zuge einer Fellatio möglich. Auch die Übertragung infektiöser Genitalerkrankungen vom erkrankten Täter auf das Opfer ist bekannt. Hierbei kann der mikrobiologische Erregernachweis den Verdacht auf einen möglichen geschlechtlichen Kontakt erhärten, ohne jedoch den sicheren Beweis zu erbringen, welcher daselbst erst durch den mikroskopischen Nachweis von Spermatozoen im oralen, vaginalen oder analen Abstrichmaterial zu führen ist. Ein forensisch neuer Ansatz der Spurenanalytik birgt die Detektion selektiver Phosphodiesterase- Isoenzyme in den Epithelzellen des weiblichen und männlichen Genitaltrakts.
Sexualdelikt und Kondom: Im Rahmen der gerichtsmedizinischen Aufarbeitung von Sexualdelikten muss auch an die Benutzung eines Kondoms gedacht werden. In einem solchen Fall ist der Nachweis von vaginalen Epithelzellen am Penisabrieb negativ. Neben dem in der Herstellung von Kondomen benutzten Latex finden sich zahlreiche Zusatzstoffe, wobei insbesondere die äußere Beschichtung der Gummihülle eine wichtige Rolle in der forensischen Spurenkunde darstellt. Im zumeist puderigen Trennmittel, welches das Verkleben des verpackten Kondoms verhindern soll, finden sich typspezifische Sporen des Farngewächses „Lycopodium clavatum“. Diese auch als Bärlappsporen bezeichnete Art weist eine charakteristische tetraedrische Form auf und zeigt eine „mercedessternförmige“ Oberfläche. Sporen sind häufig resistent gegen einen mikrobiellen Abbau und daher zumeist über längere Zeit, u. a. im vaginalen Abstrichmaterial, nachweisbar. Andere Verfahren bezüglich der Verifizierung einer Kondombenutzung beschreiben den Nachweis von Silikaten oder Talkpartikeln sowie die Identifi ka – tion des Spermizids Nonoxynol-9, welches daselbst die Zellmembran der Spermatozoen angreift. Dieser Gleitmittelbestandteil kann mittels Infrarotspektroskopie nachgewiesen werden. Einschränkenderweise findet sich dieser Wirkstoff auch in manchen Scheidengelen, -zäpfchen und -schäumen, die u. a. in Verbindung mit einem Diaphragma zur Empfängnisverhütung benutzt werden.
Sexualdelikt und penile Penetrationsfähigkeit: Im Kontext der Begutachtung von Sexualdelikten muss der Sachverständige mitunter Stellung zu organischen und hormonellen Störungen bzw. einer Beeinflussung der Libido und des Potenzstatus des Angeschuldigten nehmen. Dieses insbesondere vor dem angegebenen Grund der Unfähigkeit zur geschlechtlichen penilen Penetration aufgrund einer vermeintlichen Impotenz, genitaler Erkrankungen, Seniums oder als Folge einer stattgehabten urologischen Operation. Eine schon in der älteren forensischen Fachliteratur präsentierte Thematik, welche die „Unmöglichkeit der geschlechtlichen Vereinigung“ zum Gegenstand hat, basiert auf den Angaben von Beschuldigten, dass sie aufgrund von Verkrümmungen, Missbildungen oder Schmerzen im Penis nicht zu einer Penetration fähig seien. Ein historisches Beispiel hierfür belegt die durch den hannoverschen Gerichtsarzt Alex Schackwitz im Jahr 1931 veröffentlichte Publikation (Abb. 2). Mitentscheidend für die gutachterliche Beantwortung der Frage einer Penetra – tionsfähigkeit ist die Nachweisbarkeit einer für eine Immissio penis notwendige Rigidität. Diesbezügliche körperliche und apparatetechnische Untersuchungen unterliegen dem in der Diagnostik von Potenzstörungen erfahrenen Arzt, wie dem Andrologen oder Urologen, wobei die forensisch- gutachterliche Stellungnahme im Gerichtsverfahren häufig wiederum dem Rechtsmediziner zuteil wird. Die immer breiter gefächerte Palette der möglichen medikamentösen Beeinflussungen entsprechender körperlicher Defizite (z. B. Impotenz) knüpft die Bande zum pharmakologischen Aspekt der Andrologie und setzt gleichsam die notwendigen Kenntnisse des forensischen Gutachters über diesbezügliche Behandlungsformen voraus.
Tradition und Zukunft: Der oben genannte Berliner Ordinarius für Gerichtsmedizin Fritz Straßmann äußerte einfach wie auch prägnant: „Der Inhalt der gerichtlichen Medizin ist gegeben durch die Gesamtheit aller Fragen, die dem ärztlichen Sachverständigen vom Gericht gestellt werden …“ Dieses schließt, bezogen auf die gegenständliche Thematik, sowohl die andrologische als auch die forensische Komponente ein.
Vor dem Hintergrund einer immer höheren Spezialisierung einzelner medizinischer Fachgebiete, mit dem möglichen Aufkommen entsprechend fokussierter forensischer Fragestellungen ist die Entwicklung, Etablierung und Förderung von subspezialisierten Abteilungen – wie denkbar eine „Forensische Andrologie“ – bzw. eine zunehmende Kooperation zwischen den klinischen Fachgebieten Andro – logie und Urologie mit dem Schnittstellenfach Rechtsmedizin wünschenswert.
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Literatur beim Verfasser