Botulinumneurotoxin A (BoNTA) ist das am stärksten wirksame natürliche Neurotoxin, welches durch das anaerobe Bakterium Clostridium botulinum gebildet wird. Es bewirkt eine an sich irreversible Chemodenervierung an der motorischen Endplatte. Reversibel wird die Wirkung von BoNTA einerseits durch Toxinabbau, andererseits durch Aussprossen neuer Nervenendigungen, die nun wieder Acetylcholin freisetzen können. Von den 7 Serotypen des Toxins haben 2 (Botulinumtoxin A und B) in der Medizin Anwendung gefunden. Verwendet wird es seit etwa 30 Jahren in der Neurologie sowie in der Augenheilkunde, in der Urologie seit fast 20 Jahren an der quergestreiften Muskulatur (Injektion in den urethralen Sphinkter bei Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie)1 sowie seit etwa 12 Jahren auch an der glatten Muskulatur (M. detrusor vesicae). Hier wurde es zuerst nur bei der neurogenen Form der Detrusorüberaktivität, später jedoch auch bei der idiopathischen Form eingesetzt.2 Die Therapie der LUTS durch Injektion in die Prostata, deren Wirkmechanismus unklar ist, bleibt klinischen Studien vorbehalten. Die Wirkung am glatten Muskel hält wesentlich länger an (ca. 6–12 Monate) als die Wirkung am quergestreiften Muskel (ca. 3 Monate). Die Blockierung von Afferenzen – und damit außer dem motorischen auch ein sensorischer Effekt – dürfte ein weiterer Angriffspunkt von BoNTA sein.
Das Toxin muss gekühlt gelagert werden. Der operative Eingriff erfolgt in der Regel in einer kurzen Narkose. Nach Verdünnung mit Kochsalzlösung werden mittels Zystoskop und flexibler Nadel an 15–30 Stellen insgesamt 100–300 Einheiten Botox® oder 500–1000 Einheiten Dysport® in Portionen von 1,0 ml in den Detrusor injiziert. Wichtig ist die Aussparung der Ostien, nicht mehr empfohlen wird die Aussparung des gesamten Trigonums, da diese Region bei sensorischen Beschwerden von besonderer Bedeutung sein dürfte.
Die Wirkung setzt etwa ein bis zwei Wochen postoperativ ein. Bei der neurogenen Form der Überaktivität bleiben über 70 % der Patienten über einen Zeitraum von 7–8 Monaten trocken, bei der idiopathischen Form kommt es bei deutlich über 80 % zu einer signifikanten Verbesserung.
Nebenwirkungen: Fast immer tritt eine (in der Regel unkompliziert verlaufende) Makrohämaturie auf. Allergien (vermutlich auf das Trägerprotein) werden kaum beschrieben. Systemisch-toxische Nebenwirkungen werden, zumindest im urologischen Bereich, ebenfalls kaum erwähnt. Ein Tachyphylaxieeffekt bei wiederholter Anwendung ist in einigen Studien (sehr geringe Fallzahlen) nachgewiesen worden und dürfte in etwa 9 % der Fälle auftreten. Auch BoNTA-Resistenzen sind bekannt. Die bedeutendste Nebenwirkung ist jedoch sicherlich die zunehmende Restharnbildung, die bis zum Harnverhalt führen kann. Je nach Studie und Dosis wird dies in bis zu 34 % der Fälle beschrieben. Der intermittierende Selbstkatheterismus sollte dem Patienten also angekündigt und evtl. auch präoperativ beigebracht werden. So wie die Wirkung sind natürlich auch die Nebenwirkungen reversibel.
Kontraindiziert ist die Anwendung in der Schwangerschaft und Stillperiode, bei Myasthenia gravis und beim Lambert-Eaton-Syndrom (proximal betonte Muskelschwäche auf Autoimmunbasis).
Die Anwendung hat sich in den letzten Jahren zunehmend von der neurogenen Detrusorhyperaktivität zur überaktiven Blase idiopathischer Genese verschoben. In Österreich fehlt dazu allerdings (noch) die Zulassung. Auch bei der idiopathisch überaktiven Blase zeigt sich eine subjektive sowie objektive Verbesserung der Symptomatik von mehr als 80 %. Enttäuschend ist die Wirkung von BoNTA lediglich bei der Therapie des Chronic-Pelvic-Pain-Syndroms.
Zusammenfassend ist die Therapie mit BoNTA eine einfach anzuwendende, komplikationsarme und gut wirksame Behandlungsmöglichkeit3, allerdings mit einer zeitlich doch sehr begrenzten Wirksamkeit und der Gefahr des zwar vorübergehenden, aber bei den Patienten doch sehr unbeliebten intermittierenden Selbstkatheterismus (level of evidence 2, grade of recommendation B).
Die sakrale Neuromodulation hat sich in den letzten Jahren zu einem fixen Bestandteil der Therapie der überaktiven Blase entwickelt. In erster Linie wurde sie auch dafür entwickelt, es sind jedoch auch einige andere Indikationen dazugekommen: die nicht obstruktive Harnretention, die Fäkalinkontinenz und das Syndrom des chronischen Beckenschmerzes.
In den 80er- und 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts haben Tanagho und Schmidt die Möglichkeit einer sakralen Nervenstimulation bzw. -modulation entwickelt.4
Üblicherweise wird das so genannte Two-Stage-Implantationsverfahren angewandt.5 Der Patient befindet sich in Bauchlage. Als Anästhesieverfahren wird üblicherweise die Vollnarkose gewählt. Es werden (meist beidseits) die Foramina des Os sacrum punktiert. In der Regel findet sich die beste Reizantwort (Kontraktion des Analsphinkters, keine Beinaktivität) im Bereich von S3 (hier verlaufen die meisten Pudendusfasern). Ist eine gute Antwort gefunden, wird mittels Seldingertechnik die Elektrode in Position gebracht. Die Position wird nochmals überprüft, nach Öffnen der Widerhaken ist eine Korrektur kaum mehr möglich. Als nächstes wird die Elektrode subkutan nach gluteal mittels Tunnelierstab durchgeleitet und letztlich über ein Verlängerungsstück durch eine sehr kleine Hautinzision ausgeleitet und mit dem Testschrittmacher verbunden. Das Verlängerungsstück entfällt bei der Neuentwicklung, dem so genannten Interstim II®, der auch ca. 40 % kleiner ist, allerdings nur bei geringem Energieverbrauch implantiert werden kann. Die Stimulationsfrequenz beträgt 20 Hertz (bei Retentionspatienten oft auch 5 Hertz) bei einer Amplitude von 0,5–4 Volt (2 Volt) und einer Pulsbreite von 210 μs. Die vier Pole werden während der Testphase, die bis zu sechs Wochen dauern kann, in einem Rhythmus von 4–5 Tagen unterschiedlich aktiviert. Auch die Frequenz wird häufig verändert. Sobald eine eindeutige Verbesserung (zumindest > 50 %) festgestellt wird, erfolgt die Permanentimplantation. Dabei muss (oft in Lokalanästhesie) nur die Verlängerung entfernt und die Elektrode mit dem Permanentschrittmacher verbunden werden. Dieser wird in einer supragluteal gelegenen subkutanen Tasche untergebracht. Bei beiden Eingriffen wird eine antibiotische Abschirmung durchgeführt. Ein Infekt (Infektionsrate 6,1 %) im Bereich des Implantates ist sicher die unangenehmste Komplikation und hat die Explantation des gesamten Systems zur Folge. Ansonsten sind die häufigsten Komplikationen: Schmerzen im Bereich der Elektrodenimplantationsstelle (19 %), Schmerzen im Bereich der Generatorimplantationsstelle (16 %) und Elektrodendislokation (8 %). Sollte die Testphase nicht zufrieden stellend verlaufen, wird die Elektrode in Allgemeinanästhesie wieder entfernt. Einstellungen im Bereich von Elektroden, Frequenz, Höhe der Energie und Impulsbreite können auch nach der Implantation über ein externes Steuerungsgerät vorgenommen werden. Der Patient selbst kann mit seinem Steuerungsgerät hauptsächlich ein- und ausschalten sowie die Stärke verstellen. Die Batterielebensdauer beträgt je nach benötigter Energie 4–8 Jahre, danach muss der komplette Impulsgenerator gewechselt werden. MRT-Untersuchungen sind äußerst problematisch und können zum Ausfall des Gerätes führen.
Kontraindikationen sind Schwangerschaft, Blutgerinnungsstörungen, wesentliche anatomische Veränderungen im Bereich des Os sacrum (hier besteht allerdings seit Kurzem die Möglichkeit der „Pudendusstimulation“) wie Spina bifida, Sakralagenesie und posttraumatische Veränderungen. Von sehr hoher Bedeutung ist sicherlich die Compliance des Patienten.
Zusammenfassend handelt es sich bei der sakralen Neuromodulation um eine chirurgisch minimalinvasive Methode, die allerdings auch sehr teuer ist und einen hohen Aufwand (Testphase, Nachsorge) erfordert. Die Erfolgsrate (eine Verbesserung von mehr als 50 %) liegt bei 70 % und bleibt auch angesichts der Langzeitdaten unverändert. Das Twostage-Implantationsverfahren ist offenbar sowohl bezüglich des klinischen Erfolgs als auch bezüglich Komplikations- und Revisionsrate überlegen6 (level of evidence 1–2, grade of recommendation B).
Diese Therapieform ist nur dann indiziert, wenn sämtliche konservativen und minimalinvasiven Maßnahmen ohne Erfolg geblieben sind und der Leidensdruck der Patienten sehr hoch ist. Als Möglichkeiten bieten sich die supravesikale Harnableitung (v. a. bei zusätzlicher Belastungsinkontinenz), die Enterozystoplastik sowie die „Autoaugmentation“ (eigentlich eine partielle Detrusormyektomie) an. Die dazu vorhandene Literatur ist erwartungsgemäß spärlich – die Erfolgsraten liegen bei der Autoaugmentation bei nur etwa 35 % und bei der Enterozystoplastik bei 80–90 %. Folgen einer Enterozystoplastik können eine chronische Bakteriurie (üblicherweise symptomlos), Schleimbildung mit Blasentamponade, Steinbildung sowie Komplikationen sein, die sich durch die Verwendung von Darm als Blasenersatz ergeben (Elektrolytstörungen, metabolische Azidose, Neoplasien).
Zusammenfassend sind diese teilweise sehr invasiven Therapieformen nur in Einzelfällen angezeigt, haben dann allerdings eine hohe Erfolgsrate (level of evidence 4, grade of recommendation C).
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Die Therapie mit BoNTA ist eine einfach anzuwendende, komplikationsarme und gut wirksame Behandlungsmöglichkeit3, allerdings mit einer zeitlich doch sehr begrenzten Wirksamkeit und der Gefahr des zwar vorübergehenden, aber bei den Patienten unbeliebten intermittierenden Selbstkatheterismus (Level 2, B).
Bei der sakralen Neuromodulation handelt es sich um eine chirurgisch minimalinvasive Methode, die sehr teuer ist und einen hohen Aufwand (Testphase, Nachsorge) erfordert. Die Erfolgsrate (eine Verbesserung von mehr als 50 %) liegt bei 70 % und bleibt auch angesichts der Langzeitdaten unverändert. Das Two-Stage-Implantationsverfahren ist offenbar sowohl bezüglich des klinischen Erfolgs als auch bezüglich Komplikations- und Revisionsrate überlegen.6 (Level 1–2, B).
Blasenaugmentation: Diese teilweise sehr invasiven Therapieformen sind nur in Einzelfällen angezeigt, haben dann allerdings eine hohe Erfolgsrate (Level 4, C).