Neben anatomischen, genetischen (z. B. Chromosomenaberrationen) und nervalen Faktoren finden sich funktionelle und histologische Zeichen einer Störung der Hypothalamus- Hypophysen-Gonaden-Achse mit Fehlen der so genannten Minipubertät in den ersten Lebensmonaten als Ursache des Maldescensus testis. Diese macht das Krankheitsbild zur häufigsten Endokrinopathie des Kindesalters bzw. des Knaben mit entsprechenden Konsequenzen für den betroffenen erwachsenen Mann.
Als Hinweis für die systemische Defizienz zeigen sich bei nicht behandeltem unilateralem Kryptorchismus histologische Veränderungen auch im kontralateralen deszendierten Hoden. Sowohl im Kindesalter als auch beim betroffenen Erwachsenen lassen sich verminderte Inhibin-B-Spiegel und eine Gonadotropinerhöhung trotz normaler Testosteronspiegel nachweisen. Mangelhafte hormonelle Stimulation und fehlender Descensus führen im dystopen Hoden zu einer inadäquaten Reifung von fetalen Gonozyten zu adulten Dark-Type-Spermatogonien. Diese degenerativen Veränderungen finden sich bereits ab dem 6. Lebensmonat und schreiten bei fehlender Therapie bis zum Endpunkt “Sertoli-cell-only”-Syndrom fort. Je weniger Ad-Spermatogonien sich in bilateralen Hodenbiopsien – gewonnen zum Zeitpunkt der Orchidopexie im Kindesalter – fanden, desto niedriger war die Spermienkonzentration im Erwachsenenalter.
Therapieziel bei einem Hodenhochstand sollte neben der anatomisch korrekten Lage der Hoden im Skrotum auch eine Vermeidung der beschriebenen degenerativen Veränderungen und der daraus resultierenden Komplikation einer reduzierten Fertilität sein. Ein weiteres wichtiges Ziel jeder Behandlung ist eine Reduktion des erhöhten Risikos der Tumorentstehung im kryptorchiden Hoden. Die zwei Standbeine der Therapie des Maldescensus testis sind einerseits die hormonelle Stimulationsmöglichkeit, andererseits die zeitgerechte chirurgische Intervention, d. h. Orchidopexie.
Die neoadjuvante d. h. präoperative Hormontherapie ist zwar lediglich in ca. 20% der Fälle erfolgreich, was den Descensus betrifft, führt aber, wie in zahlreichen Studien nachgewiesen, zu einer Induktion der Reifung der fetalen Gonozyten zu Ad-Spermatogonien (in beiden Hoden). Die Konsequenz aus den oben genannten Fakten sollte der frühe Therapiebeginn bei fehlendem Spontandescensus beginnend im Alter von 6 Monaten sein. Ist die Hormonbehandlung betreffend den Descensus nicht erfolgreich, ist die chirurgische Verlagerung des Hodens ins Skrotum (Orchidopexie nach Shoemaker) bis spätestens zum 12. Lebensmonat anzustreben (Möglichkeit des Aufholwachstums des betroffenen Hodens).
Präparate: Zur Behandlung vorliegende Präparate sind hCG = Pregnyl®, GnRH = Kryptocur® und das LHRH-Analogon Buserelin = Suprefact®. Der Nachteil von hCG ist, dass das Präparat mehrmals intramuskulär verabreicht werden muss. Außerdem gibt es Untersuchungen, welche beträchtliche Nebenwirkungen wie eine erhöhte Apoptoserate der Keimzellen, entzündliche Reaktionen im Hodengewebe und kleinere Hodenvolumen nach hCG-Therapie beschreiben. An systemischen Wirkungen sind schmerzhafte Veränderungen im Bereich der Einstichstelle, Wachstum von Penis und Pubesbehaarung, ziehende Schmerzen im Bereich der Leisten und Verhaltensauffälligkeiten beschrieben. GnRH ist als nasal verabreichbare Sprühlösung erhältlich, was die Applikation wesentlich vereinfacht. Über systemische Nebenwirkungen wird kaum berichtet. Das LHRH-Analogon Buserelin ist in Österreich nicht als Nasenspray erhältlich.
Als gewichtiges Argument für die neoadjuvante Hormontherapie gilt, dass bei zumindest einem Fünftel der Patienten eine Operation in Vollnarkose mit den entsprechenden Risiken vermeidbar ist. So ist eine Differenzierung zwischen Pendel- (physiologisch) und Gleithoden (therapiebedürftig) oft erst nach Behandlung mit GnRH eindeutig möglich. Auch bei den später zu operierenden Patienten ist aufgrund der beschriebenen endokrinologischen und histologischen Veränderungen primäre Hormonstimulation im Sinne einer Substitutionstherapie zu empfehlen. Bei konsequentem Vorgehen in dieser Abfolge dürfte sich die Frage nach der Notwendigkeit einer adjuvanten d. h. postoperativen Hormontherapie eigentlich gar nicht mehr stellen.
Literatur bei der Verfasserin