Medikamentöse Therapie der Nierenkolik

Die genaue Pathophysiologie der Nierenkolik ist noch nicht komplett erforscht. Muss ein Konkrement den englumigen Ureter passieren, so kann es zu einer Obstruktion des Ureters und konsekutiver Erhöhung des intraluminalen Drucks mit konsekutiver Distendierung des Hohlsystems (Kolikauslösung) und der Nierenkapsel kommen. Atypische glatte Muskelzellen des Nierenbeckens generieren schließlich eine Hyperperistaltik des Ureters.

Prostaglandine: Der erhöhte intraluminale Druck wiederum führt zur lokalen Bildung und Freisetzung von Prostaglandinen und damit zu einer Vasodilatation der afferenten Arteriolen mit Erhöhung des renalen Blutflusses, gesteigerter Diurese sowie einer konsekutiven Erhöhung des intrarenalen Druckes. Prostaglandine wirken jedoch auch direkt an der glatten Muskulatur des Ureters und induzieren hier Spasmen.
Die daraus resultierenden Kontraktionen der glatten Muskulatur verhindern die propulsive antegrade Peristaltik und verstärken somit die Obstruktion des Ureters, die Impaktion eines Konkrements und sind über eine lokale Laktatproduktion mit Reizung von Typ-A+C-Fasern an der Schmerzweiterleitung beteiligt.

Medikamentöse Schmerztherapie

Die medikamentöse Schmerztherapie stellt immer den ersten Schritt in der Behandlung der Nierenkolik dar. Sie ist meist bis zur Beseitigung der Ursache (Spontanabgang, Steinentfernung) durchzuführen und orientiert sich an den allgemeinen WHO-Maßgaben zur Schmerztherapie. Grundsätzlich soll mit einem peripher wirkendem Analgetikum begonnen und dieses in ausreichender Dosierung verabreicht werden (Tab. 1). Die kontinuierliche Applikation ist hier der bedarfsorientierten Applikation vorzuziehen. Dosierung häufig benutzter Analgetika: Tab. 2.

Tab. 1: Evidenzbasierte Therapie der Nierenkolik
1. Wahl:
NSAR (Diclofenac sodium, Indomethacin, Ibuprofen, Ketorolac)
LE 1a
2. Wahl
Opioide (Hydromorphin, Pentazocin, Tramadol)
LE 4
3. Wahl
Nichtopioide (Metamizol)
LE 1b
Verminderung von Kolikevents unter Dauertherapie mit:
NSAR (Diclofenac)
Alpha-Blocker (Tamsulosin)
LE 1b
LE 1a

Modifiziert nach: EAU Guidelines on Urolithiasis 2011

Tab. 2: Dosierung häufig benutzter Analgetika bei Nierenkolik
NSAR
Diclofenac: 75 mg 2-mal 1 i. m./i. v.
Nichtopioide
Metamizol: 500-4.000 mg i. v.
Opioide
Morphinsulfat: 0,1 mg/kg/KG i. m./i. v. 4-stündlich
Pethidin: 50-100 mg s. c. oder 25-50 mg i. v.
Antidiuretika
Desmopressin: 40 μg pro Hub (wenn ineffektiv nach 30 min. NSAR-Gabe)

Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR): NSAR (z.B. Diclofenac, Ketorolac) wirken nicht nur symptomatisch, sondern beeinflussen auch die Synthese und Freisetzung von Prostaglandinen und damit den pathophysiologischen Mechanismus der Schmerzentstehung. Sie reduzieren weiters das lokale Ödem und die Entzündungsreaktion. NSAR führen durch Vasokonstriktion zu einer Abnahme des intrarenalen Drucks, nehmen jedoch keinen Einfluss auf die Steinabgangsrate und können bei normaler Nierenfunktion ohne nierenschädigende Wirkung gegeben werden. Andererseits sind sie nicht titrierbar und wirken weniger schnell und potent als Opioide. Bei Vorliegen von Kontraindikationen (Niereninsuffizienz, Magen-Darm-Ulzera, Leberinsuffizienz, hämorrhagische Diathese, Allergie, Schwangerschaft, Herzinsuffizienz) können selektive COX-2-Inhibitoren (Rofecoxib) oder Papaverinhydrochlorid alternativ in Betracht gezogen werden.

Opioide: Opioide haben den Vorteil der Titrierbarkeit, sie sind kostengünstig und potent in ihrer Wirkung. Sie beeinflußen jedoch nicht die Schmerzentstehung. Des Weiteren brachten Opioide häufiger unerwünschte Wirkungen wie Übelkeit und Erbrechen mit sich. Aufgrund des Abhängigkeitspotenzials sollte die Gabe von Opioiden zeitlich beschränkt bleiben.
In einem systematischen Review von 20 Studien an 1.613 Patienten zeigten NSAR eine effektivere Schmerzlinderung als Opioide. Eckpunkte der Beurteilung waren

  1. die Schmerzbewertung anhand der visuellen Analog-Skala (VAS) zu einem spezifischen Zeitpunkt nach Applikation des Medikaments,
  2. das Verhältnis an Patienten, die Schmerzfreiheit erreichten, und
  3. der Bedarf an zusätzlicher Schmerztherapie (“rescue analgesia”).

NSAR zeigten bei 2 dieser 3 Eckpunkte einen signifikanten Vorteil gegenüber Opioiden. Keinen signifikanten Unterschied zwischen NSAR und Opioiden gab es bezüglich der Anzahl an Patienten, die Schmerzfreiheit erreichten.

NSAR (z.B. Diclofenac 100-150 mg tgl.) und Alpha-Blocker (Tamsulosin 0,4 mg) senken in randomisierten kontrollierten Studien die Wahrscheinlichkeit des Auftretens rezidivierender Koliken.

Antimuskarinika: Antimuskarinische Substanzen wirken zwar besser als Placebo, sind jedoch als Einzelmedikation sowohl NSAR als auch Opioiden unterlegen. Ein weiterer, häufig verwendeter Bestandteil der Schmerztherapie bei akuter Nierenkolik ist Butylscopolamin (Buscopan®). Theoretisch führt Butylscopolamin zu einer Relaxation glatter Muskulatur und damit zu einer Abnahme des Ureterspasmus. Eine randomisierte placebokontrollierte Studie an 192 Patienten zeigte jedoch, dass Butylscopolamin in Kombination mit einem NSAR oder Opioid in der Behandlung der akuten Nierenkolik keinen zusätzlichen klinischen Nutzen bringt. In einer randomisierten, doppelblinden kontrollierten Studie wurde ein weiterer antimuskarininischer Wirkstoff (Hyoscyamin sublingual) in Kombination mit Ketorolac Tromethamin bei Ureterkoliken untersucht. Auch hier konnte kein analgetischer Nutzen demonstriert werden. Es gibt keine qualitativ hochwertig evidenzbasierten Daten, die die Effektivität von Butylscopolamin, allein oder in Kombination, in der Therapie der Nierenkolik belegen.

Nichtopioide: Metamizol eignet sich gut zur Therapie einer Nierenkolik und zeigt bei Vorliegen eines hydronephrotischen Systems neben einem analgetischen auch einen spasmolytischen Effekt. Die Kombination von Butylscopolamin und Metamizol führt kurzfristig zu einer vergleichbaren analgetischen Wirkung wie jener der NSAR. Die Rate wiederkehrender Schmerzen innerhalb von 24 Stunden ist jedoch bei NSAR-Einnahme geringer.

Desmopressin: Noch nicht etabliert in der Behandlung der akuten Nierenkolik ist der Einsatz von Desmopressin. Eine ADH-induzierte Abnahme der Diurese führt zu einer schnellen Schmerzreduktion. Diskutiert wird auch eine direkte spasmolytische Wirkung auf glatte Muskelfasern und eine hypothalamische Freisetzung von β-Endorphinen durch Desmopressin. Vorteile von Desmopressin sind einerseits die intranasale Applikationsweise, die geringen Kosten und die gute Verträglichkeit. Eine randomisierte Studie an 61 Patienten zeigte aber ein unterschiedlich gutes Ansprechen auf diese Therapie in der Behandlung einer Nierenkolik. Eine rezente randomisierte placebokontrollierte doppelblinde Studie zeigte jedoch die Überlegenheit einer Kombinationstherapie von 100 mg Diclofenac + 40 μg Desmopressin gegenüber einer Diclofenac-Monotherapie.
Hier konnte der Verbrauch zusätzlich benötigter Opioide gesenkt werden.

Medikamentöse expulsive Therapie (MET)

Zur Förderung des spontanen Steinabgangs stehen zwei therapeutische Möglichkeiten zur Verfügung: die Applikation von α-Blockern oder des Kalziumkanalblockers Nifedipin. Die Wirkung erfolgt über aktive Kalziumkanalpumpen bzw. α-Adrenozeptoren der glatten Muskulatur des Ureters. Es kommt somit zu einer Relaxation des Ureters und zu einer Erleichterung des Steinabgangs, woraus wiederum eine Erhöhung der spontanen Steinabgangsraten, eine Verkürzung der Zeit bis zum Steinabgang und eine Reduktion der Schmerzepisoden und des Schmerzmittelverbrauchs resultiert.
Eine Erhöhung der zytoplasmatischen freien Kalziumkonzentration ist einer der Mechanismen der Entstehung urethraler Kontraktionen. Kalziumkanalblocker wirken dieser rhythmischen Aktivität entgegen. Nifedipin und Verapamil inhibieren die endogene Prostaglandinsynthese und den Einstrom von Kalzium und hemmen so die hierdurch induzierten rhythmischen Kontraktionen des Ureters. Diese Hemmung der urethralen Kontraktionsfähigkeit führt zu ihrem Einsatz in der MET.
Es existieren drei Subtypen von Adrenozeptoren: a1A, a1B und a1D. Deren höchste Dichte findet sich im Bereich des distalen Ureters. Die drei verschiedenen Subtypen kommen in unterschiedlicher Häufigkeit vor. Am häufigsten findet sich a1D-, gefolgt von a1A- und a1B-Rezeptoren. Die Rezeptoren können Heterodimere ausbilden, lediglich a1A/a1DHeterodimere kommen nicht vor. Dies spricht für eine mögliche regulatorische Rolle von a1B. Diese Erkenntnis wird möglicherweise Einfluss auf die Entwicklung neuer Medikamente nehmen.
In einer Metaanalyse von vier Studien zeigte sich, dass α-Blocker in ihrer Effektivität in dieser Indikation der Wirkung von Nifedipin überlegen sind. Die Wahrscheinlichkeit eines spontanen Steinabgangs im Vergleich zu nicht behandelten Patienten wird jedoch durch beide Substanzen erhöht.

Bei distalen Ureterkonkrementen ist die MET als erster therapeutischer Versuch durchaus in Betracht zu ziehen und Tamsulosin als Substanz der Wahl zu verwenden. Mit abnehmender Steingröße sinkt der Nutzen einer MET vermutlich aufgrund der höheren Spontanabgangsraten.
Für die Behandlung von Ureterkonkrementen > 10 mm kann hinsichtlich einer MET derzeit keine Empfehlung abgegeben werden.
Des Weiteren gibt es Hinweise, dass die Kombination von α-Blockern mit Kortikosteroiden effektiver sei als eine Monotherapie mit α-Blockern. Dies könnte vor allem auf den antiödematösen und antiinflammatorischen Effekt der Kortikosteroide zurückzuführen sein. Andererseits beeinflussen Kortikosteroide in Monotherapie die Spontanabgangsraten nicht, sodass Kortikosteroide bei entsprechender Indikation bzw. Fehlen von Kontraindikationen (Diabetes mellitus, Ulcus ventriculi, Hautulzera, Infektionen, Gelenkprothesen, Psychosen, Osteoporose, Frakturen, Glaukom) nur in Kombination mit α-Blockern zum Einsatz kommen sollten.

Hyperhydrierung: Keine Empfehlung kann für die oftmals noch immer durchgeführte Hyperhydrierung zur Erleichterung des spontanen Steinabgangs abgegeben werden. Die hierdurch herbeigeführte Erhöhung des hydrostatischen Drucks proximal des Konkrements kann die Schmerzsymptomatik weiter verschlimmern und birgt das theoretische Risiko einer Fornixruptur.

Bestehen therapieresistente Koliken, sollte eine Dekompression in Form einer perkutanen Nephrostomie oder eines Ureterstents in Erwägung gezogen werden. Dies ist insbesondere der Fall bei obstruktionsassoziierter Harnwegsinfektion mit dem Risiko einer Urosepsis sowie bei bilateraler Obstruktion oder Einzelniere.

Take Home Message

Einer suffizienten analgetischen Therapie in der Behandlung der Nierenkolik kommt eine große Bedeutung zu. Hier kommen sowohl NSAR als auch Opioide therapeutisch in Betracht.
Kommt aufgrund der Größe und Lage eines Ureterkonkrements ein spontaner Steinabgang in Frage, erweitert sich die analgetische Therapie um die medikamentöse expulsive Therapie mit einem α-Blocker.
Bei persistierenden oder zunehmenden Schmerzen, anhaltender Obstruktion, klinischen Zeichen der Sepsis oder gestörter Nierenfunktion sollte eine Dekompression mittels Ableitung angestrebt werden.

Literatur bei den Verfassern