Phytopharmaka, also Arzneimittel, die als wirksame Bestandteile ausschließlich Pflanzen bzw. Pflanzenteile oder bestimmte Produkte pflanzlicher Herkunft (z. B. ätherische Öle) enthalten1, spielen in der Therapie und Prophylaxe von unkomplizierten Harnwegsinfekten der unteren Harnwege und bei asymptomatischer Bakteriurie eine wichtige Rolle. Ein Harnwegsinfekt wird als unkompliziert eingestuft, wenn keine maßgeblichen funktionellen und anatomischen Anomalien, Nierenfunktionsstörungen und Begleiterkrankungen vorliegen, die eine Harnwegsinfektion bzw. schwere Komplikationen begünstigen.2 Häufigste bakterielle Ursache von Harnwegsinfektionen sind Infektionen mit Escherichia coli (ca. 80 %), gefolgt von Staphylococcus saprophyticus, Klebsiella pneumoniae und Proteus mirabilis.2 Die Fülle an pflanzlichen Arzneidrogen und deren Zubereitungen sollten hinsichtlich ihrer Wirkrichtung in Diuretika (Aquaretika) und Harnwegsdesinfizienzien differenziert werden.
Für die Durchspülungstherapie sind Arzneidrogen mit aquaretischer Wirkung angezeigt (Aquaretika), es wird dadurch in erster Linie das ausgeschiedene Harnvolumen erhöht, nicht jedoch die Elektrolytausscheidung gefördert. Die Anwendung in Form von Teeaufgüssen fördert das Trinken großer Flüssigkeitsmengen (Mindesttrinkmenge 2 l/Tag); erleichtert wird die Zubereitung und Dosierung durch Verwendung von Teeaufgusspulvern (getrocknete, wässrige Extrakte zum Auflösen in warmem Wasser) oder Teefilterbeuteln mit Arzneidrogen in Apothekenqualität.3 Bewährt haben sich folgende Arzneidrogen als Aquaretika zur Durchspülungstherapie (Auswahl): Goldrutenkraut (Solidaginis herba; S. gigantea, S. canadensis), das Kraut der Echten Goldrute (S. virgaurea; ist hingegen kaum mehr im Handel), Birkenblätter (Betulae folium; Betula pendula, B. pubescens), Indischer Nierentee (Orthosiphonis folium; Orthosiphon stamineus), Brennnesselkraut bzw. -blätter (Urticae herba/folium; Urtica diocia, U. urens), Liebstöckelwurzel (Levistici radix; Levisticum officinale), Hauhechelwurzel (Ononidis radix; Ononis spinosa) und Schachtelhalmkraut (Equiseti herba; Equisetum arvense).
Bei einigen Arzneidrogen tragen neben der aquaretischen Wirkung noch spasmolytische und analgetische Effekte (Goldrute, Schachtelhalm) zur Gesamtwirkung bei. Eine alleinige Therapie mit Aquaretika soll nur bei Keimzahlen von < 105/ml Mittelstrahlharn und Abwesenheit von Problemkeimen erfolgen, bei größeren Keimzahlen, erhöhter Körpertemperatur bzw. Fieber und/oder nachgewiesenen Problemkeimen wird meist eine Antibiotikatherapie erfolgen3, allerdings sollte nicht unmittelbar nach der Antibiotikagabe vermehrt Flüssigkeit getrunken werden, um eine Anreicherung des Wirkstoffes in der Blase zu ermöglichen. Eine Behandlung mit Aquaretika ist hier nach abgeschlossener Antibiotikabehandlung sinnvoll, um rezidivierende Harnwegsinfekte zu vermeiden.
Harnwegsdesinfizienzien bilden die zweite Gruppe von Arzneidrogen, die bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen der unteren Harnwege auf Grund ihrer antibakteriellen Wirkung angewendet werden. Hier sind vor allem Bärentraubenblätter (Uvae-ursi folium; Arctostaphylos uva-ursi), Preiselbeerblätter (Vitis idaeae folium; Vaccinium vitis-idaea), Cranberry-Früchte (Vaccinium macrocarpon) sowie Arzneidrogen mit Senfölglykosiden wie Krenwurzel (Armoraciae radix; Armoracia rusticana); Kapuzinerkresse (Tropaeolum majus) und Brunnenkresse (Nasturtium officinale) zu nennen. Laut S3-Leitlinie2 kann bei häufig rezidivierender Zystitis der Frau eine Therapie mit Bärentraubenblättern bzw. Senfölglykosid-haltigen Arzneidrogen (Kren, Kapuzinerkresse, Brunnenkresse) in Betracht gezogen werden.
In Bärentraubenblättern sowie Preiselbeerblättern werden Phenolglykoside, aus denen nach Einnahme Hydrochinon freigesetzt wird, welches an Glucuronsäure oder Schwefelsäure gebunden über die Harnwege ausgeschieden wird, als Wirkstoffe postuliert. Erst in den unteren Harnwegen kommt es zur Spaltung durch bakterielle Enzyme, sodass antimikrobiell wirksames Hydrochinon vorliegt. Entgegen früheren Annahmen ist eine Alkalisierung des Harns dabei nicht unbedingt notwendig, da die Spaltung der Glucuronide in erster Linie enzymatisch erfolgt.3 Die Anwendung von Bärentraubenblättern soll indikationsspezifisch auf 1 Monat beschränkt bleiben.
Als Wirkungsmechanismus der antibakteriellen Wirkung vieler Harnwegsdesinfizienzien (mit Ausnahme der Senfölglykosiddrogen) hat sich in Studien der letzten Jahre vor allem die Hemmung der bakteriellen Zelladhäsion etabliert. Bei uropathogenen E. coli (UPEC) kommt diese Anheftung an das Epithel durch Adhäsine (als Bestandteil von Fimbrien = Pili) zustande, die an Kohlenhydrat-Strukturen der Wirtszelle binden können.4 Die Adhäsion ist Voraussetzung für das Eindringen von UPEC in die Epithelzellen und somit ihre pathogene Wirkung. Für die antiadhäsive Wirkung von Extrakten aus Cranberry-Früchten kommen Gerbstoffe, in diesem Fall Proanthocyanidine vom A-Typus wohl eher als Pro-Drugs in Frage, für ihre Metabolite wurde aber eine Hemmung der Anheftung von UPEC an Blasenepithelzellen bereits nachgewiesen.5 Darüber hinaus konnte auch für Urin, der von Probanden nach Einnahme proanthocyanidinhaltiger Extrakte gewonnen wurde, eine Hemmung der durch Typ-1-Fimbrien vermittelten Anheftung von UPEC gezeigt werden, zumindest in vitro zeigte diesen Effekt auch ein von Proanthocyanidinen befreiter Extrakt; dies lässt auf mögliche weitere Wirkstoffe schließen.6 Offensichtlich liegt auch ein zusätzlicher Wirkungsmechanismus für Cranberry-Extrakte vor. Es konnte gezeigt werden, dass aus Nierenzellen verstärkt das Tamm-Horsfall-Protein sekretiert wird, welches ebenfalls eine antiadhäsive Wirkung auf UPEC ausübt.7 Die Inhaltsstoffe von Preiselbeerfrüchten sind jenen der Cranberry-Früchte ähnlich, wenn auch nicht vollkommen ident. Jedenfalls sollten Präparate, die Auszüge mit gut charakterisierter Zusammensetzung enthalten, angewendet werden.
Aktuelle Studie: Dass solche antiadhäsiven Effekte nicht nur auf Proanthocyanidine und ihre Metabolite beschränkt sind, zeigte eine aktuelle Studie aus der Arbeitsgruppe Hensel, in der in Selleriefrüchten (Apii fructus; Apium graveolens) Phthalide – diese kommen als typische Aromastoffe im ätherischen Öl der Früchte von Sellerie und im Liebstöckel vor – mit in vivo antiadhäsiver Wirkung gegen UPEC identifiziert wurden.8 Liebstöckelwurzel wird auch in gepulverter Form in Kombination mit Rosmarin und Tausendgüldenkraut angewendet. Auch für einen wässrigen Extrakt aus dem Kraut des Indischen Nierentees (Orthosiphon stamineus) konnten ähnliche Effekte nachgewiesen werden9, er weist zudem eine aquaretische Wirkung auf.1
Ein breites antibakterielles Wirkungsspektrum zeigen Senföle (Isothiocyanate) aus Kren und Kapuzinerkresse10, die in der Pflanze zunächst in Form geruchloser Glykoside (Senfölglykoside, Glucosinolate) vorliegen. In vivo werden aus Kren vor allem Allylisothiocyanat (Allylsenföl) sowie Phenylethylisothiocyanat erhalten, während die Glucosinolate in der Kapuzinerkresse vor allem Benzylsenföl bilden. Kren wird auch in Kombination mit Brunnenkresse (Nasturtium officinale) eingesetzt, die ebenfalls Phenylethylisothiocyanat bildet. Für Isothiocyanate wurde eine Ausscheidung über den Harn in relevanten Mengen nachgewiesen.11 Neben der direkten bakteriziden Wirkung konnte für Iberin, ein Isothiocyanat, das in Kren und Brunnenkresse vorkommt, eine Hemmung der interbakteriellen Kommunikation (Quorum sensing) bei Pseudomonas aeruginosa nachgewiesen werden.12 Zur besseren Verträglichkeit wird die Einnahme von senfölhaltigen Arzneidrogen zu den Mahlzeiten empfohlen.
Da viele harnwegsdesinfizierende Arzneidrogen keine ausgeprägte diuretische Wirkung zeigen, ist die Kombination mit Aquaretika vorteilhaft. Diese erfolgt entweder in Kombinationspräparaten oder als Monopräparate, die im Tagesverlauf abwechselnd eingenommen werden3; letzteres Applikationsschema folgt der Strategie, hohe Konzentrationen von Harnwegsdesinfizienzia in den unteren Harnwegen zu erreichen.