Die häufigsten Funktionsstörungen des unteren Harntraktes mit überwiegender Prävalenz für das weibliche Geschlecht:
Harnbelastungsinkontinenz und Prolapse
Rezidivierende Harnwegsinfekte
Multiple Sklerose
Chronisch nicht obstruktive Harnretention
Die Prävalenz der Harninkontinenz unter Frauen beträgt alle Altersgruppen zusammenfassend durchschnittlich etwa 26 %1. Im jüngeren bis mittleren Lebensabschnitt der Frauen dominiert die Harnbelastungsinkontinenz2. Die typische Form der Harninkontinenz in höherem und hohem Alter ist die gemischte Harndrang-/Harnbelastungsinkontinenz. Die Prävalenz der Harninkontinenz in dieser Altersgruppe ist weitgehend geschlechtsneutral3.
Bei der Diagnostik der Harnbelastungsinkontinenz wird man bei Frauen auf die vaginale Untersuchung zum Ausschluss von Prolapsen der drei vaginalen Kompartimente ein besonderes Augenmerk legen müssen. Es sollte auch ein Stresstest (husten lassen bei gefüllter Blase) durchgeführt werden. Die Endoskopie ist bei Mischformen, bei Rezidiven, bei der kontinuierlichen und bei der komplizierten Harninkontinenz erforderlich.
Die Urodynamik sollte auch eine Urethradruckprofilmessung beinhalten. Bildgebende Untersuchungen (z. B. funktionelle MRT) nehmen bei der Diagnostik der Harnbelastungsinkontinenz einen immer wichtigeren Platz ein, um strukturelle Defekte am Beckenboden (z. B. Geburtstrauma) zu lokalisieren.
Die konservative Therapie der Harnbelastungsinkontinenz ist dann gerechtfertigt, wenn kein relevanter Prolaps und keine Restharnbildung bestehen. Das Rückgrat der Maßnahmen bilden physiotherapeutische und verhaltenstherapeutische Methoden. Die Beckenboden-Reedukation ist vor allem bei der Hyporeaktivität des Beckenbodens effektiv. Ergänzend kann eine apparative Unterstützung mit funktioneller Elektrostimulation als Training und/oder als Biofeedback verwendet werden. Ergänzend können Medikamente wie Duloxetin und vor allem postmenopausal eine lokale oder orale Hormontherapie eingesetzt werden. Mechanische Hilfsmittel wie Pessare und spezielle Tampons werden entweder situativ (beim Sport) oder bei Inoperabilität von Prolapsen empfohlen. Schließlich gehört auch die Empfehlung zur Änderung der Lebensgewohnheiten zu den konservativen Therapien. Gewichtsreduktion, Ernährungsberatung, Stuhlregulierung und die Sanierung von chronischen Bronchitiden gehören in diesen Themenkreis.
Ziel der operativen Therapie der Harnbelastungsinkontinenz ist die Beseitigung der Hypermobilität des Blasenauslasses und die Wiederherstellung des urethralen Verschlusstonus4. Bei der Wahl der operativen Methoden kommt es auf den Charakter des anatomischen Defizits und auf die Detrusorfunktion an: So sollte nach wie vor die Kolposuspension (z. B. nach Burch) bei der kontraktionsschwachen Blase in Erwägung gezogen werden. Spannungsfreie Bänder korrigieren die Harnröhrenhypermobilität und die urethrale Hypotonie. Die gleichzeitige Hysterektomie bedarf einer eigenen Indikation. Ausgedehntere Prolapse, die mehrere Kompartimente betreffen, sollten gegebenenfalls interdisziplinär in einer Sitzung als globale „Pelvic Floor Repair“ operiert werden.
Betroffen sind überwiegend junge oder Frauen in fortgeschrittenem Alter. Die Prävalenz für vereinzelte Harnwegsinfekte liegt bei postmenopausalen Frauen bei 61 %, für Infekte in einer Frequenz von mehr als dreimal pro Jahr bei 10 %5. Leicht behebbare oder ursächliche Faktoren zu finden ist kaum möglich.
Allgemeine Prophylaxemaßnahmen betreffen das Trink-, Miktions- und Hygieneverhalten und die sexuelle Aktivität. Bei jungen Frauen erhöht sich das Risiko eines Harnwegsinfektes mit steigender Koitusfrequenz, mit häufigem Wechsel des Sexualpartners, bei der Verwendung von Spermiziden und bei bestimmten Sexualpraktiken6. Postmenopausal kann zusätzlich der lokale Hormonmangel eine Rolle spielen.
Die medikamentöse Infektprophylaxe kann mit Antibiotika, mit oralen Desinfektionsmitteln mit Ausscheidung in den Harn, mit Ansäuern des Harnes, mit lokaler Hormonsubstitution und durch Immunstimulation erfolgen. In der Evidenzskala stehen Antibiotika (Nitrofurantoin, Fosfomycin und Trimethoprim) vor anderen medikamentösen Maßnahmen.
Aus der Liste jener neurologischen Erkrankungen, die zu einer Dysfunktion des unteren Harntraktes führen können, kommt es vor allem bei der multiplen Sklerose (MS) zu einem signifikanten geschlechtlichen Unterschied in der Prävalenz. Frauen erkranken doppelt so häufig an MS wie Männer7.
Das dominierende Charakteristikum der Blasen- und Beckenbodenfunktionsstörungen bei MS ist die Kombination der Detrusorüberaktivität und die Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD). Im Gegensatz zu der Aggressivität der DSD bei traumatischen Rückenmarkläsionen kommt es bei der MS kaum zur Entwicklung einer Druckbelastung im unteren und oberen Harntrakt. Seltener entwickeln sich eine Detrusorhypokontraktilität und eine nichtobstruktive Harnretention. Klinisch zeigen diese Formen Symptome der überaktiven Blase ohne oder mit Inkontinenz und Restharn.
Die neurourologische Therapie der MS richtet sich nicht nur nach der Schwere der Beschwerden, sondern auch nach anderen Merkmalen der Erkrankung, vor allem nach der Handfunktion und Mobilität.
Es lohnt sich, einen therapeutischen Stufenplan7 zu verwenden, wo zunächst Antimuskarinika, oft zusammen mit Antispastika, zum Einsatz kommen. Bei relevantem Restharn kann der intermittierende Katheterismus auch schon in Stadien, wo noch gute Mobilität besteht, empfohlen werden, um mehr Freiheit bei der Dosierung von Antimuskarinika zu bekommen. Bei nächtlicher Polyurie sollten ADH-Analoga überlegt werden. Die Wirkung von Alpha-Blockern ist bei Frauen mit MS nicht erwiesen, da die funktionelle Obstruktion (DSD) ausschließlich im Bereich des von der Spastizität betroffenen Beckenbodens auftritt. Botulinumtoxin A sollte vor allem bei Patientinnen mit schwerer, detrusorbedingter Harninkontinenz mit der Bereitschaft zum (Selbst-)Katheterismus zum Einsatz kommen. BOTOX® ist seit 2012 auch in Österreich für diese Indikation mit einer maximalen Dosis von 200 IE zugelassen.
Das Management der Harninkontinenz kann sich gerade bei Rollstuhlfahrerinnen oder bei Frauen mit Bettlägerigkeit schwierig gestalten. Das Ausmaß der Inkontinenz und auch die Häufigkeit der neurologischen Schübe können mit konsequenter Infektprophylaxe reduziert werden. Die suprapubische Harnableitung ist bei hochgradiger Immobilität auf jeden Fall gerechtfertigt und kann sowohl mit Antimuskarinika als auch mit Botulinumtoxin A kombiniert werden.
Eine chronisch nicht obstruktive Harnretention kann bei Frauen, abgesehen von conalen oder caudalen Läsionen der sakralen Segmente, nach radikalen oder wiederholten Operationen im kleinen Becken, wie nach Hysterektomien/Lymphadenektomien, nach ausgedehnten Endometrioseoperationen, selten nach einer Sectio oder nach einer vaginalen Entbindung entstehen. Auch funktionelle Störungen des Beckenbodens mit einer Pseudoobstruktion wie beim Fowler-Syndrom können die Blasenentleerung erschweren.
Je nach Literatur sind bis zu 38 % der Frauen nach einer radikalen Hysterektomie von einer erschwerten Blasenentleerung und vom abgeschwächten bis fehlenden Blasenfüllungsgefühl betroffen8. Man geht von einer Läsion des Plexus pelvicus und von einer Dysfunktion der viscerosensorischen und visceromotorischen Bahnen des Detrusors aus. Urodynamisch zeigt sich oft eine Detrusorakontraktilität. Nach Operationen besteht eine gewisse Selbsterholungstendenz, nach Entbindungen ist die Prognose ausgesprochen günstig.
Um die therapeutische Prognose besser einschätzen zu können, kann die urodynamische Diagnostik mit elektrophysiologischen Untersuchungen des N. pudendus und des Plexus pelvicus ergänzt werden9.
Die Therapie besteht aus der Sicherung der Blasenentleerung und aus rehabilitativen Maßnahmen. Der intermittierende (Selbst-)Katheterismus steht wiederum im Mittelpunkt der Therapie. Typisch für das Fowler-Syndrom ist allerdings der schmerzhafte Katheterismus. Medikamentös können Parasympathomimetika zum besseren Tonisieren des Detrusors beitragen4. Die intravesikale Elektrostimulation (IVES) nach der Methode Katona/Madersbacher ist zwar eine zeit- und ressourcenaufwändige Therapie, zeigt jedoch vor allem nach gynäkologischen Operationen gute Resultate10. Die Effektivität der sakralen Neuromodulation (Interstim®-Therapie) ist bei der chronisch nicht obstruktiven Harnretention in der Literatur vielfach belegt.
Take Home Message