Ab dem 40. Lebensjahr nimmt der Serumtestosteronspiegel des Mannes um etwa 1 % pro Jahr kontinuierlich ab. Ursächlich dafür ist hauptsächlich die abnehmende Stimulierbarkeit der Leydig-Zellen der Hoden, aber auch andere physiologische Veränderungen wie die Veränderung der LH-Sekretion der Hypophyse konnten in den letzten Jahren identifiziert werden.
Viele Männer leiden durch den niedrigen Hormonspiegel an psychischen Alterationen wie Depression und erektiler Dysfunktion, wodurch es zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität kommt. Aber auch körperliche Veränderungen wie erhöhter Body-Mass-Index, Veränderung der Fettverteilung, Minderung des Muskelvolumens sowie der Muskelkraft treten auf. Die verminderte Aromatisierung zu Östrogenen führt zur Reduktion der Knochenmineraldichte mit Knochenschmerzen sowie zu deutlich erhöhtem Frakturrisiko. Die Kombination der Symptome und des niedrigen Testosteronspiegels werden als sogenannter Late-Onset-Hypogonadismus (LOH) international in der Literatur beschrieben.
Als Therapie der Wahl wird Serumtestosteron substituiert. Hier kommt es zu einer raschen Verbesserung der Lebensqualität durch erhöhte Leistungsfähigkeit, Stimmungsaufhellung und Steigerung der Libido. Durch das gute Ansprechen nimmt die Hormonsubstitution in den letzten Jahren deutlich zu. In den USA kam es seit 1993 zu einem Anstieg von 500 %.
Männer im selben Alter sind jedoch auch einem zunehmenden Wachstum der Prostata ausgesetzt, und rund 40 % davon werden im Sinne von obstruktiven Miktionsbeschwerden symptomatisch und benötigen medizinische Behandlung. Schwerwiegender ist jedoch die Entwicklung eines Prostatakarzinoms bei rund einem Sechstel dieser Männer.
Das Wachstum der Prostata (benign und malign) ist abhängig von Androgenen. In der Prostata wird aus dem freien und dem an Albumin gebundenen Testosteron Dihydrotestosteron synthetisiert, das zu einer Zellproliferation führt. Ohne Stimulation durch Testosteron bzw. Dihydrotestosteron kommt es zu einer nachgewiesenen Regression von Prostatazellen. Der Einfluss der Androgene auf die Entstehung eines Prostatakarzinoms ist bis heute nicht gänzlich geklärt.
Oberstes Ziel einer notwendigen Testosteronsubstitutionstherapie beim Mann mit Late-Onset-Hypogonadismus ist die Prostatasicherheit.
Es gibt leider nur wenige Studien mit kleinen Fallzahlen, die sich mit der Testosteronsubstitution beim Mann mit Prostatakarzinom beschäftigen.
2004 publizierten Kaufman et al. die Daten von 7 Patienten nach radikaler Prostatektomie. Die Gleason-Scores waren 6 und 7 und ein Patient hatte einen positiven Schnittrand. Aufgrund eines LOH wurden die Patienten mit einer transdermalen Testosteronsubstitution behandelt. Im Beobachtungszeitraum zwischen 1 und 12 Jahren kam es bei keinem Patienten zu einem PSA-Rezidiv.
In einer zweiten Studie mit 10 Patienten nach radikaler Prostatektomie zeigte sich ebenfalls nach 19 Monaten kein Karzinomrezidiv und bei allen Patienten kam es zu einer Normalisierung des Serumtestosteronwertes und zum Verschwinden der Symptome des LOH.
Sarosdy et al. zeigten 2006, dass es bei Patienten nach Brachytherapie zu keiner Progression der Grunderkrankung durch die Hormonsubstitution kam. Es wurden die Daten von 36 Patienten mit einem medianen Follow-up von 5 Jahren ausgewertet. Die mittlere Behandlungsdauer der Hormonsubstitution betrug 4,5 Jahre. Nur bei einem einzigen Patienten ist es zu einem leichten PSA-Anstieg gekommen.
Morgenthaler et al. haben 2009 die Fälle von 111 Männern, die nach kurativer Therapie eines Prostatakarzinoms eine Hormonersatztherapie im Rahmen einer Studie erhielten, zusammengefasst und publiziert. Lediglich zwei Patienten (1,8 %) hatten in einer relativ kurzen Beobachtungszeit ein biochemisches Rezidiv.
Khera et al. publizierten 2009 eine Serie von testosteronbehandelten Prostatakarzinompatienten. Dabei konnte in der Subgruppenanalyse keinerlei Einfluss des initialen Gleason-Scores auf die Entwicklung eines biochemischen Rezidives gezeigt werden.
Leibowitz et al. publizierten 2009 eine weitere Serie von fast 100 Patienten, die nach kurativer Therapie und nicht messbaren PSA-Werten eine Substitutionstherapie erhielten. Einschränkend sollte hier erwähnt werden, dass es sich um ein sehr inhomogenes Kollektiv handelte. Es wurden verschiedene Therapien des Prostatakarzinoms eingeschlossen und die Hormonersatztherapie mit einem 5-Alpha-Reduktase-Inhibitor kombiniert.
All diesen Studien gemein ist, dass die Ergebnisse dahingehend zu interpretieren sind, dass Patienten, die prinzipiell kurativ behandelt worden sind und einen Late-Onset-Hypogonadismus aufwiesen, d. h. Symptome haben, von einer Testosteronsubstitutionstherapie nicht unbedingt ausgeschlossen werden sollten.
Leitlinien: Dies führte zu Veränderungen der Leitlinien. Es wird ein Empfehlungsgrad „B“ ausgegeben.
Es ist in jedem Fall notwendig, Patienten mit Prostatakarzinom und Testosteronersatztherapie einer genauen Kontrolle zuzuführen. Eine exakte Aufklärung und Dokumentation sind unbedingt notwendig. In den Leitlinien werden 3- bis 6-monatige Kontrolluntersuchungen empfohlen. In jedem Fall erscheint unter diesen Voraussetzungen für Patienten mit Prostatakarzinom und symptomatischem Testosteronmangel die Nutzen-Risiko-Abwägung in Richtung Substitutionstherapie zu liegen.
D’Amico et al. publizierten die Persistenz von erniedrigtem Testosteronserumspiegel nach Kurz- und Langzeittherapie mit LHRH-Agonisten in Kombination mit einer perkutanen Radiotherapie. In bis zu 40 % der Fälle kommt es nicht zur Erreichung von normalen Hormonspiegeln im Serum. Hierzu gibt es nur Fallberichte, die keinen PSA-Wert-Anstieg unter Testosteronsubstitution zeigten. Bei Patienten mit Prostatakarzinom unter „active surveillance“ gibt es keine definitiven Daten.
Eine klare Empfehlung für eine Testosteronsubstitutionstherapie in diesen ausgewählten Fällen kann also nicht ausgesprochen werden. Eine Aussage von Leitlinien diesbezüglich gibt es ebenfalls nicht.
Zusammenfassung: Late-Onset-Hypogonadismus und das Prostatakarzinom treten bei Männern in derselben Alterskategorie gehäuft auf. 2009 publiziert Isbarn et al. eine Evidenzsynthese. Dabei wird der Serumandrogenspiegel nicht assoziiert gesehen mit dem Risiko, an einem Prostatakarzinom zu erkranken. Gegenteilig konnte beschrieben werden, dass ein niedriger Serumtestosteronspiegel zur Zeit der Diagnose des Prostatakarzinoms mit einem höheren Tumorstadium bzw. einem höheren Tumorgrad assoziiert werden kann. Die verfügbare Evidenz ergibt dann weder eine Zunahme des Risikos der Prostatakarzinomdiagnose noch eine Affektion auf den natürlichen Verlauf eines Prostatakarzinoms nach definitiver Therapie. Die Ergebnisse können durch das sogenannte Saturationsmodell nach Morgenthaler et al. erklärt werden. Hier konnte gezeigt werden, dass prostatisches Gewebe sehr sensitiv auf Veränderungen des Serumtestosterons ist, wenn dieses in niedriger Konzentration vorliegt. Bei weiterem Anstieg kommt es zu einer Plateaubildung innerhalb der Prostata, so dass auch bei massiver Steigerung des Testosterons extrazellulär kein Anstieg des intrazellulären Testosterons messbar ist. Eine Erklärung dieses Phänomens stellt der Androgenrezeptor selbst dar. Dieser hat bereits bei 4 nmol/l (120 ng/dl) die maximale Bindungsaffinität erreicht. Daher können höhere Testosteronspiegel keine weitere Zellaktivität über den Androgenrezeptor der Prostata auslösen.