Die Prävalenz der Belastungsharninkontinenz in Europa beträgt rund 40 %1. Dabei ist die Prävalenz zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr am höchsten (ca. 50 %). Ab dem 60. Lebensjahr dominiert die Mischinkontinenz2.
Die pathophysiologischen Ursachen liegen in einer Insuffizienz des Harnröhrenverschlussmechanismus. Dieser kann durch eine hypotone Harnröhre, eine Hypermobilität der Harnröhre oder in einer Kombination bedingt sein.
Als Risikofaktoren für die weibliche Belastungsinkontinenz konnte Schmidbauer das Alter (p = 0,002), das Körpergewicht (p < 0,001), Geburten (p < 0,001) und erhöhten Blutdruck (p = 0,003) identifizieren3. Zumindest die Hälfte der multiparen Frauen zeigen eine geringgradige Belastungsinkontinenz, dagegen bedürfen nur wenige Nulliparae einer operativen Behandlung.
25,1 % der Frauen geben eine Beeinträchtigung ihres Sexuallebens und 65,7 % einen negativen Einfluss auf ihre Lebensqualität durch die Harninkontinenz an4.
Bezüglich der Behandlungskonzepte gilt auf jeden Fall der Grundsatz, dass vor jeder Operation die konservativen Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssen, mit Ausnahme bei der sehr schweren Belastungsinkontinenz, wo eigentlich von vornherein konservative Therapieansätze zum Scheitern verurteilt sind. Die Ausprägung der Belastungsinkontinenz sowie die Fähigkeit der Patientin, aktiv mitzuarbeiten, beeinflussen den Erfolg der konservativen Maßnahmen entscheidend.
Konservativ: Die Belastungsinkontinenz kann konservativ durch Beckenbodengymnastik behandelt werden. Unterstützend kann dabei das Beckenbodentraining sehr erfolgreich durch Biofeedback mit akustischer/visueller Rückkopplung, Vaginalkonen, transvaginaler Elektro- stimulation oder Magnetfeldtherapie kombiniert werden. Die Beckenbodengymnastik soll immer unter physiotherapeutischer Anleitung begonnen werden. Beckenbodengymnastikbroschüren als alleinige Grundlage sind abzulehnen. Wenn Kontraindikationen für eine Operation bestehen, können Pessare zur Anhebung der Blasenhalsregion eingesetzt werden. Östrogenhaltige Cremen zum Aufbau des Vaginalepithels und des suburethralen Gefäßplexus sollen sinnvollerweise vor einer Operation angewandt werden, um die häufig vorhandene vaginale Atrophie zu verbessern und dadurch bessere gewebliche Operationsverhältnisse zu schaffen.
Medikamentös kann eine Belastungsinkontinenz mit dem selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Duloxetin behandelt werden. Duloxetin erhöht die Konzentration der Neurotransmitter und trägt so zu einer Verbesserung der Belastungsinkontinenz bei. Wird der Wirkstoff zusammen mit dem Beckenbodentraining, dem Biofeedback oder der Elektrostimulation verwendet, so können sie sich gegenseitig ergänzen und zu noch besseren Ergebnissen führen. Duloxetin übt einen positiven Effekt auf die Kontraktilität des quergestreiften Harnröhrenschließmuskels aus, wobei die Anwendung bei vielen Frauen durch das Nebenwirkungsprofil (Nausea) limitiert ist. Durch Reduktion des Körpergewichts, Nikotinkarenz bei chronischem Raucherhusten und Behandlung einer Obstipation können die Symptome und die Verstärkung einer Belastungsinkontinenz günstig beeinflusst werden.
Operative Methoden: Nicht nur konservative Möglichkeiten zur Behandlung einer Belastungsinkontinenz stehen zur Verfügung, sondern auch eine ganze Reihe von operativen Methoden. Diese Art der Inkontinenzbehandlung sollte aber die letzte Möglichkeit bleiben, wenn alles andere keinen Erfolg gezeigt hat. Dabei sind die operativen Möglichkeiten bei einer Belastungsinkontinenz höher als bei anderen Inkontinenzformen.
Durch die Einführung der spannungsfreien Vaginalschlingen („TVT-Operation“ [Tension-free Vaginal Tape]) zur minimalinvasiven Therapie der Belastungsinkontinenz Mitte der 1990er Jahre wurde die Kolposuspension nach Burch als Gold-Standard verdrängt. Die TVT-Methode wurde von Prof. Ulmsten an der Universität in Uppsala, Schweden, entwickelt und erstmalig 1995 vorgestellt. Sie hat als so genannte spannungsfreie Vaginalschlinge die chirurgische Behandlung der Belastungsinkontinenz revolutioniert. Die spannungsfreien Bänder bestehen aus Polypropylen und werden über einen vaginalen Zugang spannungsfrei unter die mittlere Harnröhre positioniert. Dabei erfolgt die Ausleitung der Schlinge entweder retropubisch oder transobturatorisch. Das Band muss spannungsfrei unter der mittleren Harnröhre positioniert werden, um eine normale restharnfreie Harnblasenentleerung weiterhin zu gewährleisten. Letztendlich basieren sämtliche Vaginalschlingen auf einer Obstruktion, die so relevant ist, dass unter körperlicher Belastung kein Harnverlust auftritt, und so irrelevant ist, dass eine ungestörte Blasenentleerung stattfinden kann.
Bei der retropubischen Methode wird die Schlinge entweder von der Scheide aus (transvaginales Tape oder TVT-Verfahren) oder von suprapubisch (Suprapubic-ARC- oder SPARC-Methode) aus platziert. Erstmals in Europa wurde die SPARC-Methode von Univ.-Doz. Dr. G. Primus 2002 an der Urologischen Universitätsklinik in Graz durchgeführt.
Die Kontinenzraten liegen in einem Follow-up von 10 Jahren bei bis zu 95 %, wobei anzumerken ist, dass die Erhebungen fast ausschließlich per Telefoninterview durchgeführt wurden. Realistischerweise liegen die Trockenheitsraten bei ca. 70 %, 20 % Verbesserung und 10 % Therapieversager. Hauptkomplikationen sind bei dieser Methode vor allem Blasenverletzungen sowie Hämatome während der retropubischen Passage durch das kleine Becken. Außerdem kann es zur Arrosion der Urethra und Vaginalwand sowie zu Blasenfunktionsstörungen im Sinne von Restharnbildung/Harnverhaltung oder Drangbeschwerden kommen. Zu deren Vermeidung entwickelte Delorme 2001 die transobturatorische Outside-in-Technik (TOT). Hierbei wird die Nadel von außen durch die ischiokrurale Hautfalte und dann durch das Foramen obturatum hindurch, d. h. transobturatorisch nach innen und suburethral zur Vagina über eine Kolpotomie hinausgeführt. Anschließend wird das Band an der Spezialnadel eingehängt und von suburethral zur Schenkelbeuge zurück herausgezogen. Die modifizierte transobturatorische Inside-out-Route (TVT-0) sollte zusätzliche Harnröhrenverletzungen minimieren. Die Kontinenzraten liegen bei dieser Methode ähnlich wie beim klassischen TVT.
Die Komplikationsraten sind ähnlich denen der retropubischen Verfahren, allerdings ist die Gefahr einer Blasenverletzung und Restharnbildung geringer. Dafür sind postoperative Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und in den Leisten häufiger beschrieben. Als besonders gravierende Komplikationen wurden zum Teil ausgedehnte Oberschenkelabszesse beschrieben. Diese Methode ist also nicht komplikationsärmer, sondern es treten Komplikationen anderer Natur auf.
Die Verwendung von so genannten Bulking Agents (Harnröhrenunterfütterung), die trans-/periurethral eingebracht werden und zu einer Kompression der Harnröhre führen, ist zwar eine einfach durchzuführende Therapieoption für die Belastungsinkontinenz, die Wirkung ist allerdings nur kurzfristig, und häufig sind wiederkehrende Re-Injektionen notwendig.
ACT: Für ca. 15 % „Problemfälle“ gibt es seit 1999 Abhilfe. Seitdem kann durch eine unkomplizierte, mittlerweile in hunderten Fällen auch international erprobte Operation, bei der zwei Silikonballons implantiert werden, den meisten Frauen wieder zu einem normalen beschwerdefreien Leben verholfen werden. Erstmalig in Österreich wurde dieser minimalinvasive Eingriff von Oberarzt Dr. Johann Wachter an der urologischen Abteilung des Donauspitals in Wien durchgeführt. Der Fachausdruck für den nur 15 bis 20 Minuten dauernden Eingriff lautet Adjustable Continence Therapy (ACT).
Über zwei 1 cm lange Hautschnitte werden mit Hilfe eines Spezialbestecks zwei aufblasbare Silikonballons links und rechts der Harnröhre in Höhe des Blasenhalses implantiert. Das Füllvolumen dieser Ballons kann postoperativ einfach durch perkutane Punktion der unter der Haut liegenden Titanports, die man mühelos tastet, variiert werden. Sollte sich unmittelbar nach der Operation der gewünschte Erfolg nicht einstellen, können die Ballons nach 4 Wochen schrittweise nachadjustiert werden.
Artifizieller Sphinkter: Die Implantation eines artifiziellen Sphinkters ist als Ultima Ratio bei Versagen aller anderen Therapieoptionen anzusehen. Der künstliche Schließmuskel ist eine elegante Lösung bei totaler Harninkontinenz. Die Manschette (Cuff) liegt zirkulär um den Blasenhals und verschließt im aufgeblasenen Zustand mechanisch die Harnröhre. Mittels einer unter der Haut der großen Schamlippe liegenden Pumpe kann die Patientin das System selbst steuern. Die mit Flüssigkeit gefüllte Manschette umschließt mit sanftem Druck die Harnröhre. Zum Wasserlassen wird die Manschette durch mehrmaliges Drücken der Pumpe geöffnet. Damit fließt die Flüssigkeit aus der Manschette in den Ballon. Da die leere Manschette die Harnröhre nicht mehr verschließt, kann sich der Harn aus der Blase entleeren. Die Flüssigkeit fließt dann innerhalb weniger Minuten wieder in die Manschette zurück und verschließt damit die Harnröhre erneut.
Da ein Fremdkörper implantiert wird, ist eine Infektion das Hauptproblem, was immer wieder Anlass zur Explantation gibt. Wenn durch das System keine Komplikationen entstehen, kann in nahezu allen Fällen Kontinenz erreicht werden. Nahezu 90 % der Patientinnen sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden und würden sich wieder einen künstlichen Sphinkter einsetzen lassen. Fast alle Patienten waren nach einer durchschnittlichen Lebensdauer des künstlichen Sphinkters von über 7 Jahren noch nahezu kontinent; das bedeutet, sie brauchten im Durchschnitt nur 0–2 Vorlagen/Tag.
Fazit: Die im Vergleich zur Kolposuspension geringere Invasivität, die schnellere Rekonvaleszenz und die Sicherheit des Verfahrens erklären den Erfolg der modernen suburethralen Vaginalschlingen. Obwohl mit dem TVT-O, TVT-Secur, TVT-Exact und TVT-Abbrevo in den vergangenen Jahren neue Produkte mit dem gleichen Band entwickelt wurden, sind die retropubischen Vaginalschlingen (TVT, SPARC) weiterhin als Goldstandard für die operative Behandlung der weiblichen Belastungsinkontinenz anzusehen. Außerdem sehen wir derzeit wieder eine Renaissance der retropubischen Bänder, da es sich gezeigt hat, dass die Kontinenzraten doch besser ausfallen als mit der transobturatorischen Methode und mit den Minischlingen und keine Verschlechterung der Sexualfunktion schmerzbedingt eintritt, wie dies beim transobturatorischen Zugang nicht selten auftritt.
Letztendlich sind für ein zufrieden stellendes Operationsergebnis die richtige Indikation, ein erfahrener Operateur und eine konsequente Nachsorge verantwortlich, insbesondere da Komplikationen, wie Harnröhrenarrosion und vaginale Erosionen, oft sehr spät auftreten können.
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