Dermatologie – wo alles zusammenläuft

SPECTRUM Dermatologie: Was ­fasziniert Sie an der Dermatologie?

Rappersberger: Das Fach der Dermatologie und Venerologie ist für mich das schönste Fach in der Humanmedizin!
Ich wollte eigentlich Kinderarzt werden – das war der Hauptgrund, warum ich Medizin studiert habe. Im vorletzten Semester besuchte ich dann die Vorlesung eines gerade nach Wien gekommenen Professors – neuer Chef der I. Universitätshautklinik Wien (Anm. d. Red.: Klaus Wolff) und durfte erleben, wie moderne Medizin studentengerecht präsentiert werden kann. Innerhalb einer Woche wollte ich nicht mehr Kinder-, sondern Hautarzt werden.
Diese Entscheidung habe ich nie bereut. Die Dermatologie besticht durch ihr unglaublich breites Spektrum, das von invasiver bis konservativer Medizin und von Onkologie über Immunologie bis zur Infektiologie reicht. Dazu kommt die große Zahl genetischer Erkrankungen – in keinem Fachgebiet findet man mehr Orphan Diseases. Natürlich hat die Dermatologie mit ihren Teilgebieten vielfältige Berührungspunkte mit anderen Fachdisziplinen.

Welchen Stellenwert hat inter­disziplinäre Zusammenarbeit für Sie?

Ich sehe die Dermatologie als das zentrale Fach in der Humanmedizin, weil hier so viel zusammenläuft. So gehen viele Systemerkrankungen mit Hautveränderungen einher – die muss man als Dermatologe kennen. Das Spektrum der Kollagenosen (z. B. Lupus erythematodes), bullöse Autoimmunerkrankungen, schwere Weichteilinfektionen etc. – das sind Aufgaben und Herausforderungen für Dermatologen. Im Konzert mit anderen Fachspezialitäten können wir hier wirklich punkten.
Für das Melanom sind in Österreich die Dermatoonkologen zuständig. An meiner Abteilung wird das zuständige Team stetig aufgestockt, gut 50 % der stationären Patienten laufen unter der Diagnose (metastasierendes) Melanom. Besonders in Hinblick auf die teils schweren Nebenwirkungen der neuen onkologischen Therapien, die alle möglichen Organe (z. B. Gastrointestinaltrakt, Lunge, endokrine Organe) betreffen können, ist die Zusammenarbeit mit Kollegen anderer Fachspezialitäten natürlich hilfreich, notwendig und sinnvoll. Und auch als Dermatologen selbst sollte man ein gewisses Interesse für Innere Medizin mitbringen. Ältere Kollegen, die noch den „Turnus“ gemacht haben, sind hier sicher im Vorteil.

Welche Herausforderungen sehen Sie als Dermatologe und neuer ÖDGV-Präsident für Ihr Fach?

Beginnen wir bei der Ausbildung: Schon im Studium nimmt die Dermatologie im Vergleich zu früher, als es noch ein Rigorosum in Dermatologie und Venerologie gab, eine immer kleinere Rolle ein. Wobei die Lehre an den Universitäten sehr unterschiedliche Schwerpunkte hat: die Sigmund Freud Privatuniversität in Wien bietet den Studenten das Privileg von insgesamt 150 Unterrichtsstunden im Bachelor- und Masterstudium, an anderen Universitäten sind es gerade einmal 20 Stunden. Solche unterschiedlichen Verhältnisse sieht man in ganz Europa, Spitzenreiter bei öffentlichen Universitäten ist Portugal mit 130 Unterrichtsstunden.
Dass die Dermatologie in der neuen Ausbildungsordnung nur noch ein Wahlfach ist, in anderen Worten „keine Rolle mehr spielt“, ist eine Katastrophe! Allgemeinmediziner geben an, dass v. a. am Lande bis zu 30 % ihrer Patienten wegen Hautkrankheiten in die Praxis kommen. Es ist also vollkommen unsinnig, im allgemeinen Teil der Ausbildung gerade auf die dermatologischen Grundlagen zu verzichten. Als ÖGDV-Präsident werde ich mich dafür einsetzen, diese Entwicklung rückgängig zu machen. Den Neurologen, deren Disziplin ebenfalls zum Wahlfach degradiert wurde, ist dies übrigens in Form einer Gesetzesänderung schon gelungen. Die Wertigkeit der Dermatologie in der universitären und postpromotionellen Ausbildung sowie gegenüber der Politik verstärkt hervorzuheben, das ist eines meiner zentralen Anliegen als ÖGDV-Präsident.

Was ist Ihnen im Bereich der Wissenschaft/Forschung wichtig?

Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist ein ganz wichtiger Punkt. Mein Vorgänger Matthias Schmuth hat in diesem Bereich großes persönliches Engagement gezeigt und mit der Gründung der „ÖGDV Science Days“ neue Akzente gesetzt. Diesen Weg möchte ich weitergehen.
Im Bereich der Forschung möchte ich mich vermehrt um nationale und internationale Kooperationen kümmern. Mein Vorschlag, versorgungsrelevante klinische Studien gemeinsam durchzuführen, wurde von den Leitern verschiedenster dermatologischer Abteilungen in Österreich begrüßt. Geplant sind Studien zu Herpes Zoster, Erysipel bzw. Weichteilinfektionen. Diese als Diplomarbeiten ausgeschriebenen Studien sind teils sehr aufwändig, da Patientendokumentationen an mehreren klinischen Abteilungen durchgeführt werden müssen. Auch Studien mit medizinisch ökonomischem Hintergrund sind geplant, wie ein Vergleich der Komplikationen nach operativen Eingriffen am Hautorgan im intra- versus extramuralen Bereich. Die Studie soll zeigen, ob der intramural betriebene extreme, um nicht zu sagen absurde „Hygiene“-Aufwand tatsächlich ein besseres Outcome bringt. Vor den Ergebnissen habe ich keine Angst: angesichts des „unpragmatischen“ Zustands, in dem sich die Medizin heute befindet, kann eine etwas pragmatischere Sichtweise nicht schaden.
Generell wird der Mut, Verantwortung zu übernehmen, der Mut zum Pragmatismus immer geringer. Und das ist kein rein medizinisches, sondern ein gesellschaftspolitisches Phänomen.

Wo steht Österreich in der dermatologischen Forschung?

Wir sind gut aufgestellt. Die Universitäten geben den Ton vor und viele nichtuniversitäre Abteilungen ziehen unglaublich rasant nach, wie die Session „Highlights aus den Abteilungen“ im Rahmen der vergangenen ÖGDV-Jahrestagung in Innsbruck eindrucksvoll zeigte. Naturgemäß wird an den nichtuniversitären Abteilungen vorwiegend klinische Forschung betrieben, allerdings kann man auch direkt aus einem Versorgungsspital zur grundlagenwissenschaftlichen Forschung beitragen. So arbeitet meine Abteilung z. B. mit dem Institut für molekulare Biotechnologie (Penninger/IMBA) aktuell an einem Projekt zur Klassifizierung und Definition entzündlicher Infiltrate beim Melanom und zur Isolation und Propagation pluripotenter Stammzellen und auch mit dem Institut für Krebsforschung der MUW (Maria Sibilia, Martina Sanlorenzo) betreiben wir mehrere Projekte.

Bleibt neben der Versorgung der ­Patienten genügend Zeit für Forschung?

Die Vereinbarkeit von klinischer Tätigkeit und Forschung ist schwierig und erfordert einen persönlichen Mehraufwand der Beteiligten – das ist und war immer schon so. Auch wir kamen in „unserer Jugend als Assistenzärzte an der Klinik“ frühestens um 16.00 Uhr ins Labor, nachdem wir unsere klinischen Aufgaben in den Ambulanzen und auf der Station erfüllt hatten. Ins Elektronenmikroskop schauen konnte ich erst nach Arbeitsschluss. Wie für alle anderen an der Forschung Interessierten, waren die Abend- und Nachtstunden der Wissenschaft vorbehalten. Und genauso machen es die Jungen, die interessiert sind, jetzt auch. An meiner Abteilung habe ich das Glück, ein Team mit großem persönlichem Zusammenhalt zu haben. Diejenigen, die forschen möchten, werden von den anderen im Team unterstützt und nach Möglichkeit freigespielt.

Wie beurteilen Sie die dermatologische Versorgung in Österreich?

Die Versorgung dermatologischer Patienten ist hierzulande so gut wie in kaum einem anderen Land in der Welt. Sowohl im niedergelassenen Bereich als auch im Krankenhaus garantieren unglaublich engagierte Spitzenmediziner für eine erstklassige dermatologische Patientenversorgung. Teilweise lange Wartezeiten im niedergelassenen Bereich könnten entschärft werden, indem einfache Hautkrankheiten wieder vermehrt vom Allgemeinmediziner versorgt werden – diesem Ansatz steht die rezente Streichung dermatologischer Inhalte in der Ausbildung entgegen (eine Entwicklung, die paradoxerweise von den Allgemeinmedizinern betrieben wurde!).
Auch in unsere Ambulanz, die zu 90 % eine Bestellambulanz ist, kommen täglich gut 20–30 Patienten unangemeldet. Ein Drittel davon sind „Akutpatienten“, zugewiesen von Dermatologen, viele aber kommen „aus eigenem Ermessen“ – allzu oft mit unkomplizierten Erkrankungen, die auch im niedergelassenen Bereich, ja zum Großteil vom Allgemeinmediziner, behandelt werden könnten. Nach dem Krankenanstaltsgesetz müssen wir aber auch diese Patienten fachärztlich betreuen, was unsere Abläufe erschwert und verlangsamt. Ohne politische Maßnahmen werden die Ambulanzen weiterhin überlaufen sein.

Wie stehen Sie zum rezent gegründeten Berufsverband der Dermatologen?

Im Gegensatz zu manch anderen sehe ich die Gründung des BVÖD nicht als Affront gegenüber der ÖGDV. Die ÖGDV hat sich in der Vergangenheit vielleicht zu viel mit sich selbst und zu wenig mit den Nöten und Sorgen der niedergelassenen Dermatologen auseinandergesetzt, deshalb ist die Entwicklung für mich nachvollziehbar. Ich sehe meine Aufgabe als Präsident der ÖGDV u. a. darin, die beiden Gesellschaften möglichst nahe beieinanderzuhalten. Statt einem Gegeneinander wünsche ich ein Miteinander, dann kann die Dermatologie als Fach an Stärke gewinnen. Wir können unsere gemeinsamen Forderungen und Anliegen mit mehr Gewicht in der Ärztekammer und in der Politik vertreten.