Die Dysmorphophobie, auch körperdysmorphe Störung (KDS) genannt, ist eine wichtige Diagnose, die im Rahmen von dermatologischen Behandlungen immer häufiger vorkommt, einzelne Patienten suchen auch gezielt wegen dieser Störung eine Psychotherapie. Die Häufigkeit von ca. 1 % der repräsentativen Bevölkerung, die an einem Entstellungssyndrom bzw. einer KDS leidet, zeigt zumindest, dass diese Störung in der Dermatologie bekannt sein sollte und in die differenzialdiagnostischen Überlegungen einbezogen werden muss.1, 2 Da die therapeutischen Prognosen entscheidend von einer frühzeitigen Diagnose abhängen und sich die KDS meist in der frühen oder späten Pubertät erstmals manifestiert, ist es auch in der pädiatrischen Dermatologie bedeutend, das Krankheitsbild und seine Symptome sowie therapeutischen Ansätze zu kennen. Prävalenzstudien zeigen, dass das Entstellungserleben vor allem bei jungen Menschen (Adoleszenz) in den letzten 15 Jahren deutlich zugenommen hat.3 Während bei der KDS die dermatologischen Symptome eher sehr diskret sind und die subjektive Wahrnehmung der empfundenen Entstellung in keiner Weise mit dem objektiven Befund korreliert, ist es interessant, dass objektiv klar wahrzunehmende Entstellungen wie die Naevi flammei und die Giant-Naevi deutlich weniger Probleme bereiten. Diese angeborenen Hautveränderungen werden offenbar in der Regel gut in das Persönlichkeitsbild der Betroffenen bereits in der frühen Kindheit integriert und führen eher selten zu Entstellungsproblemen.
Die KDS ist eine auf die Hautoberfläche projizierte psychische Störung mit der Annahme, dass Teile des Körpers (vor allem Gesicht, Nase, Ohren etc.) entstellend verändert seien, ohne dass dies von objektiven Betrachtern erkannt werden würde. Diese Störung, die in der dermatologischen Praxis bei 5–8 % der Patienten und in der kosmetischen Sprechstunde bei ca. 10 % aller Ratsuchenden vorhanden ist, sollte erkannt und entsprechend den auslösenden Ursachen diagnostiziert und behandelt werden. Hintergrund dieses Störungsbildes ist sicher der verbreitete Schönheitswahn der Menschen, den die Beauty-Industrie noch verstärkt.
Die KDS geht mit einem inneren und sozialen Rückzug einher. Die Zusicherung von Partnern, Angehörigen, Freunden und Ärzten, dass das Aussehen völlig in Ordnung sei, nützt nichts. Die Patienten lassen sich nicht überzeugen. Sie halten sich für hässlich und nicht lebenswert. Besonders bei vorbestehenden Dermatosen wie Akne und Neurodermitis, die durch ihre Sichtbarkeit Entstellungsprobleme begünstigen können, tritt die KDS deutlich häufiger auf als ohne Dermatose. So fanden sich in einer repräsentativen Stichprobe in Deutschland bei 4,9 % Aspekte der Entstellung, während es bei mehr als 1.000 Akne-Patienten (Altersdurchschnitt 14 Jahre) 14,7 % waren, die deutliche Entstellungsgefühle aufwiesen.4 In einer kleineren spanischen Stichprobe von Akne-Patienten fanden die Autoren sogar bei 23,4 % Entstellungsprobleme.5
Dysmorphophobie korreliert, wie aus Studien bekannt, mit einem deutlichen sozialen Rückzug und Skin Picking sowie mit Essstörungen. Dieser Rückzug übersteigt das Maß normaler Schüchternheit deutlich. Das heißt: Die betroffenen Menschen gehen nicht mehr vor die Tür, nehmen keinen Kontakt mehr auf, sind arbeitsunfähig, sozial ausgegliedert und nicht selten auch suizidal. Sie entwickeln häufig Essstörungen und mittelschwere oder schwere Depressionen. Meistens ist damit ein Ansteigen des Körpergewichts verbunden. Dann folgen häufig Diäten. In etwa 15 % der Fälle gibt es außerdem suizidale Reaktionen.
Die Behandlung der Menschen mit Dysmorphophobie ist schwierig. Natürlich kann man Operationen durchführen, um diesen Menschen zu helfen, besser mit ihrer Krankheit fertig zu werden. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass sich die Einstellung der Patienten zu ihrem Körper dadurch nur höchst selten verändert. Nach einer plastisch-ästhetischen Behandlung fühlen sich zwar etwa 15 % besser, über 20 % fühlen sich danach allerdings schlechter.6
Die Behandlung von Patienten mit KDS ist bisher nur wenig untersucht worden. Es liegen Studien zur Einzel-Verhaltenstherapie im ambulanten Setting vor, die zeigen, dass eine Psychotherapie sinnvoll ist. Dabei hängt die Chance, die Erkrankung zu stabilisieren und ein normales soziales Leben wiederherzustellen, wesentlich vom Zeitpunkt der Diagnose ab.7–9 Erst im Jahr 2019 wurden einige Psychotherapiestudien publiziert, die mit randomisierten Kontrollgruppen durchgeführt wurden. Die vorliegenden Psychotherapiestudien favorisieren einen kognitiv-behavioralen Ansatz,10, 11 aber auch internetbasierte Psychotherapie12, 13 und psychodynamische Psychotherapie14–16 wurden beschrieben.
In der dermatologischen Praxis gilt es, die Störung frühzeitig zu erkennen, aktiv anzusprechen und auf die möglichen Psychotherapien im Rahmen eines Netzwerkes mit Fachpsychotherapeuten hinzuweisen. Um allgemein bei chronisch entzündlichen Dermatosen der Entwicklung von Stigmatisierungsproblemen vorzubeugen, wird empfohlen, schon bei der ersten Besprechung der Diagnose und möglicher Dermatotherapien diese Aspekte mit anzusprechen und gezielte Unterstützung im Sinne einer Prävention zur Entwicklung von Stigmatisierung bzw. Entstellung anzubieten. Stigmatisierung, die sich in reales Stigmatisierungserleben und antizipiertes Stigma-Erleben aufteilt, beeinflusst auch die Adhärenz, und deshalb sollte dieser Aspekt in die Therapiebesprechung mit aufgenommen werden. Bei schwereren Formen der KDS mit Komorbiditäten scheint jedoch die ambulante Therapie nicht auszureichen, und eine fachpsychotherapeutische stationäre Behandlung ist indiziert.
1 Rief W et al., Psychol Med 2006; 36(6):877–85
2 Buhlmann U, Glaesmer H, Mewes R, Fama JM, Wilhelm S, Brähler E, Rief W (2010) Updates on the prevalence of body dysmorphic disorder: a population-based survey. Psychiatry Res. 178(1), 171-175
3 Gieler T et al., Acta Derm Venereol 2016; 96(217):83–90
4 Gieler T et al., Entstellungsprobleme bei Akne-Patienten. Unveröffentlichtes Manuskript (2019)
5 Marron SE et al., Actas Dermosifiliogr 2019; 110(1):28–32
6 Constantian MB, Lin CP (2014) Why some patients are unhappy: part 1. Relationship of preoperative nasal deformity to number of operations and a history of abuse or neglect. Plast Reconstr Surg 134: 823-835
7 Stangier U et al., Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie 2001; 30:77–83
8 Stangier U, Hautkrankheiten und Körperdysmorphe Störung. Fortschritte der Psychotherapie. Göttingen: Hogrefe (2002)
9 Veale D et al., Behav Res Ther 1996; 34(9):717–29
10 Enander J et al., BMJ Open 2019; 9(1):e024307
11 Wilhelm S et al., JAMA Psychiatry 2019; 76(4):363–73
12 Gentile AJ et al., BMJ Open 2019 Mar; 9(3):e024693
13 Wilver NL et al., Consult Clin Psychol 2019; 87(3):257–69
14 Gieler T et al., Hautarzt 2016; 67(5):385–90
15 Lahousen T et al., Hautarzt 2017; 68(12):973–9
16 Gieler U (2003) Psychodynamische Diagnostik und Therapie der körperdysmorphen Störung. In: Aglaja Stirn, Oliver Decker, Elmar Brähler (Hrsg.) Körperkunst und Körpermodifikation. Psychosozial 26:55-64