Wir bekommen einen hochroten Kopf, wenn wir erregt sind, oder schweißnasse Hände, wenn wir vor einer Prüfung stehen. Angst und Schrecken können eiskalte Schauer über den Rücken jagen, Gänsehaut erzeugen und die Haare zu Berge stehen lassen. Emotional verursachtes Erröten, Erblassen oder Schwitzen entzieht sich der bewussten Steuerung und ist ein aufschlussreiches Signal nonverbaler Selbstoffenbarung.
Wenn sich alltägliche Gefühle und Emotionen so offensichtlich auf der Haut spiegeln können, wie kann die Haut unsere Psyche prägen und psychische Vorgänge lenken? Wie gelangen also unsere Gefühle unter die Haut?
Geschätzte 10–20 Millionen Sensoren machen unsere Haut zur fühlenden Hülle. Sie registrieren alle Kontakte entlang der Außengrenze und melden, ob etwas heiß, kalt, spitz, stumpf, rau, glatt, schmerzhaft, weich, hart, schwer oder leicht ist. Dem Tastsinn verdankt jeder Mensch ein Gefühl für die eigene Dimension und ein subjektives Bild von sich selbst. Die Empfindsamkeit ist dabei ungleich verteilt, wir besitzen Stellen geringerer und höchster Trennschärfe. Während der Rücken eher „dickfellig“ ist, drängen sich die Empfindungspunkte am dichtesten an den Lippen, der Zunge und anderen erogenen Zonen (vgl. sensorischer Homunkulus). Daraus entspringt jene unsagbare Gefühlsmischung aus Druck, Berührung, Vib ration, Bewegung, Spannung und Intensität, die uns in den unerschöpflichen Spielarten von Zärtlichkeit, Sinnlichkeit und Sexualität begegnet.
Der Mensch ist ausgerichtet auf enge Bindungen und auf das Gefühl der Zugehörigkeit. Das erklärt die eminente Bedeutung der Hautsinne für die psychische und physische Reifung des Menschen. Schon in der 6. Schwangerschaftswoche ist das Tastempfinden des Fötus entwi – ckelt. Auf diese Weise empfängt zunächst der Fötus und später der Säugling Zeichen von der Außenwelt und „begreift“ allmählich, was sie bedeuten. Babys brauchen Berührung und Körperkontakt, um psychisch und physisch zu gedeihen. Körperkontakt verschafft das Gefühl von Geborgenheit und (Ur-)Vertrauen und prägt so entscheidend Selbstbild, Selbstwert und Persönlichkeit des Menschen. Berührung gibt Halt, Berührung ist lebenswichtig. Berührung kann trösten, Schmerzen lindern, Angst lösen oder entspannen. „Streicheleinheiten“ wie das Eincremen der Haut oder eine sanfte Massage steigern im Allgemeinen das Wohlbefinden. An der Haut wird sowohl die eigene Grenze als auch die Grenze von anderen Menschen spürbar. Unerlaubte Berührungen kommen Grenzverletzungen gleich und gehen „gegen den Strich“. Ärzte und Pflegepersonen sollten sich daher bei der „Behandlung“ von Patienten stets der Tragweite und Auswirkung von Berührung bewusst sein.
Der neuro-immuno-endokrine Regelkreis: Die neuronalen Verbindungen zwischen Haut und zentralem Nervensystem sind bidirektional. Afferente neuronale Reize liefern den somatosensorischen Input. Efferente neuronale Signale steuern physiologische (z. B. Erröten, Erblassen, Schwitzen) und pathophysiologische (z. B. Entzündung) Vorgänge in der Haut. So verwundert es nicht, dass eine sensorische Nervenläsion (z. B. iatrogen, traumatisch, entzündlich) im betroffenen Hautareal zur Besserung oder sogar zum Verschwinden entzündlicher Effloreszenzen (z. B. Ekzem, Neurodermitis, Schuppenflechte) führen kann.
Haut und Seele befinden sich permanent in einem „Zwiegespräch“. Vielfältige endogene und exogene Stressoren sind im Stande, die Hypothalamus-Hypophysen- Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse) und das sympathische Nervensystem zu aktivieren und eine neurogene Entzündungskaskade in der Haut in Gang zu setzen. Andererseits können Umwelt – noxen (z. B. Barriereschaden, Infektion, UV-Licht, Toxine, Allergene) die Entzündungsmechanismen direkt antreiben. Diese exogene Hautstressreaktion wiederum sensibilisiert das ZNS gegenüber weiterer Stressexposition.
Psychologischer Stress und die dabei freigesetzten Mediatoren fördern vor allem die Differenzierung von naiven Th0- Zellen zu Th2-Zellen. Hingegen resultiert Umweltstress (z. B. Infektion) vorwiegend in der Aktivierung von Th1-Zellen (via Antigen-präsentierende Zellen; APC). Insgesamt handelt es sich um ein äußerst komplexes Wechselspiel psychoneuro- immuno-endokrinologischer Mechanismen. Die Balance dieses Wechselspiels hängt nicht nur vom jeweiligen Krankheitsbild ab (Neurodermitis, Psoriasis), sondern auch von der Akuität bzw. Chronizität des Geschehens. Es macht einen Unterschied, welche Entzündungszellen dominieren, mit welchen Oberflächenrezeptoren sie ausgestattet sind oder welche funktionellen Eigenschaften sie auszeichnen. Nicht minder bedeutsam ist, dass die psycho-neuroimmuno- endokrinologische Stressantwort sowohl auf systemischer Ebene als auch auf lokaler Ebene reguliert wird. In den peripheren lokalen Kompartimenten werden auch die ortsständigen Zellen (Keratinozyten, Fibroblasten, Endothelzellen) als Targets und/oder Modulatoren des Entzündungsgeschehens zu zentralen Mitspielern der Stressantwort.
Psychologischer Stress ist unbestreitbar ein wesentlicher Triggerfaktor für entzündliche Dermatosen. Etwa 30, 40 bzw. 70 % der Neurodermitis-, Psoriasisbzw. Akneschübe scheinen durch Stressfaktoren ausgelöst zu werden.
Die Vorstellung, dass der psychische Zustand den Verlauf und den Ausgang menschlicher Krankheiten beeinflusst, ist alt und weit verbreitet. Tatsächlich deuten zahlreiche Studien darauf hin, dass psychologischer Stress verschiedene Bereiche der Immunantwort unterdrücken und folgende Veränderungen zur Folge haben kann: Verminderung der NK-Zell-Aktivität, Erniedrigung der Lymphozytenzahl, Verringerung der Helfer-Suppressor-Ratio, Abnahme der Antikörperproduktion, Reaktivierung latenter Virusinfektionen, Modulation der Zytokinproduktion.
So konnte an gesunden Frauen nachgewiesen werden, dass akuter experimenteller psychosozialer Stress und Schlafentzug die Hautbarriere empfindlich beinträchtigen und einen signifikant gesteigerten transepidermalen Wasserverlust bewirken. Die Ursache dafür wird auf stressinduzierte Veränderungen der Zytokinsekretion (z. B. TNF-α↑, IL-1↑, IL-10↑) zurückgeführt. Auch bei Mäusen verursacht experimenteller Stress eine eingeschränkte Funktion der Hautbarriere (verminderte Synthese von Barrierelipiden, geringere Expression des cathelicidin- related antimicrobial peptide, gesteigerte Neigung zu Pyodermien).
Auch zeitgeistige Formen psychischer Belastung können auf der Haut messbare Spuren hinterlassen. Bei Patienten mit atopischer Dermatitis ruft das Spielen von Videogames (Streetfighter II, 2 Stunden lang) oder das häufige Klingeln des Mobiltelefons (30x pro 30 Minuten für je 10 Sekunden) signifikant größere allergeninduzierte Hautquaddeln hervor. Ein gut belegtes Beispiel für die psychogene Reaktivierung latenter Virusinfektionen ist die Auslösung von Herpes-simplex-Rezidiven. Das nicht selten von Patienten beschriebene Phänomen, dass Ekelgefühl – etwa vor unsauberem Geschirr oder Trinkgläsern – „Fieberblasen“ hervorrufen kann, ist ebenfalls experimentell nachvollziehbar. Wie eine aktuelle Übersichtsarbeit zeigt, ist Stress auch mit einer verschlechterten Wundheilung bzw. mit der Dysregulation von wundheilungsassoziierten Biomarkern vergesellschaftet.
Des Weiteren belegen zahlreiche Untersuchungen, dass psychische Stressoren wie einschneidende Lebensereignisse (Tod eines geliebten Partners, Scheidung, Krankheit, Arbeitslosigkeit) auch bei der Auslösung und Progression mancher Tumoren eine Rolle spielen können. Der hauptsächlich verantwortliche Mechanismus wird allgemein in der Abnahme der NK-Zellaktivität gesehen. Aus einer kritischen Metaanalyse geht hervor, dass umgekehrt psychologische Interventionen auf das Immunsystem keinerlei fassbaren Einfluss ausüben.
Die Haut kann Schauplatz von Krankheit und Elend sein. Tatsächlich stehen Hautkrankheiten in unserer Gesellschaft an vorderster Stelle in der negativen Bewertung durch die Allgemeinheit. „Kranke Haut“ provoziert am häufigsten die Furcht vor Ansteckung und damit Antipathie, Ablehnung, Widerwillen oder gar Ekel. Schon ein altes syrisches Sprichwort sagt: „Des Menschen Schönheit liegt in der Gesundheit seiner Haut und sein Elend in ihrer Krankheit.“ Schuldund Schamgefühle begleiten Hautkranke oft ein Leben lang. Sie fühlen sich stigmatisiert und abgelehnt. Sichtbare – vor allem entstellende – Hautveränderungen verursachen nicht selten unerträglichen Leidensdruck. Tatsächliche oder vermeintliche Ablehnung durch die Mitmenschen lösen mangelndes Selbstwertgefühl, Kontaktängste und depressives Rückzugsverhalten aus. Vor allem chronische Dermatosen wie Ekzeme, Psoriasis oder Akne schränken soziale Kontakte und Freizeitaktivitäten ein und schaffen Benachteiligung am Arbeitsplatz. So ergab eine Untersuchung in England eine deutlich höhere Arbeitslosenrate bei 625 Aknepatienten (14–16 %) im Vergleich zu hautgesunden Kontrollen (9 %).
Es gibt Hinweise dafür, dass an der Pathogenese der Depression proinflammatorische Zytokine (z. B. TNF-α, IL-1 und IL-6) beteiligt sind, die im Zuge der Immunantwort entzündlicher Krankheiten (auch Dermatosen?) freigesetzt werden. Sie gelangen vermutlich durch Lecks in der Blut- Hirn-Schranke, aktive Transportmoleküle oder afferente Nervenfasern ins ZNS und erzeugen dort eine depressive Verstimmung, indem sie direkt oder indirekt das Gleichgewicht des Serotonin- und Dopaminmetabolismus stören („cytokines sing the blues“). Ein klinisches Beispiel für eine zytokininduzierte Depression liefert IFN-α: In einem nicht unbeträchtlichen Prozentsatz führt die therapeutische Applikation dieses Zytokins (z. B. Behandlung von Tumoren) zu einem depressiven Syndrom. IFN-α ist nämlich ein potenter Induktor o.a. proinflammatorischer Zytokine (IL-6 > IL-1α, TNF-α).
Inwiefern ein derartiger Pathomechanismus an der Entstehung des Leidensdru – ckes bei chronischen Hautkrankheiten wie Psoriasis oder Neurodermitis teilhat, ist nicht geklärt. Unbestreitbar ist, dass die Psoriasis von den Erkrankten physisch und psychisch mindestens ebenso einschränkend – ja, schlimmer – erlebt wird wie zahlreiche andere schwer wiegende Leiden (z. B. Krebserkrankung, Depression, Hypertension, Arthritis, Myokardinfarkt, chronische Lungenkrankheiten, Typ-2-Diabetes). Wie nun ein Patient mit seiner Krankheit zurechtkommt, hängt in erster Linie von den individuellen Bewältigungsstrategien ab. Während sich manche aktiv ihrer Krankheit stellen (zupacken, zuwenden, auflehnen), lassen sich andere fallen (Angst, Depression, Resignation, sozialer Rückzug).
Bei Psoriasis-Patienten wurde eine erstaunliche Bewältigungsstrategie im Umgang mit jenen Mitmenschen beobachtet, aus deren Gesichtern ihnen Ablehnung und Ekel entgegenschlagen. Zeigt man experimentell gesunden Kontrollpersonen Bilder von menschlichen Gesichtern, die Abscheu ausdrücken, kann man mittels funktionaler Magnetresonanztomographie (fMRI) eine deutliche Aktivierung der Inselrinde darstellen. Dieselbe Versuchsanordnung löst bei Psoriasis-Patienten nur eine deutlich abgeschwächte Reaktion aus. Das heißt, die zentrale kog – nitive Verarbeitung von Zurückweisung ist bei Psoriasis-Patienten offenbar in gewisser Weise blo ckiert und stellt damit möglicherweise einen emotionalen Schutzmechanismus vor Ressentiments und Abneigung dar.
Wer könnte wohl besser beschreiben, wie quälend eine Hautkrankheit erlebt wird, als ein Schriftsteller? John Updike (1932–2009) berichtet in berührender Weise über seine Psoriasis: „One hates one’s abnormal, erupting skin … The skin was my enemy.“ „Psoriasis hält einen in Atem. Geheimhaltungsstrategien schießen ins Kraut und die Selbstprüfung nimmt kein Ende. Man wird vor den Spiegel gezwungen, wieder und wieder …“
Der deutsche Maler und Grafiker Paul Klee (1879–1940) erkrankte 1936 an Sklerodermie und hat seine Auseinandersetzung mit seinem Leiden in teils erschütternden Bildern veranschaulicht. Zu Beginn seiner Erkrankung (1936) malte er die „Die Ratlosen“. Bei den Ratlosen, die um einen Daliegenden herumstehen, handelt es sich wohl um Ärzte. Sozialer Rückzug, Verzweiflung, Depression manifestieren sich erschreckend und eindrucksvoll auch in zahlreichen späteren Bildern (z. B. Genießt nicht, 1938; Durchhalten, 1940; Der Kranke im Boot, 1940).
Die Haut ist ein fühlendes Organ und befindet sich in stetiger Wechselbeziehung zur Psyche. Störungen der psychokutanen Zwiesprache können zu Hautkrankheiten führen. Als Hautärzte sind wir deshalb gefordert, unsere Patienten nicht bloß mit fachlicher Kompetenz allein zu „be-handeln“, sondern sie auch mit einem hohen Maß an Mitgefühl zu „berühren“ und zu „bewegen“.