Hoher Leidensdruck, massiv eingeschränkte Lebensqualität: Parasitenwahn – Dermatozoenwahn

Der Parasitenwahn wird als „die nicht korrigierbare Gewissheit, auf, in bzw. unter der Haut von Parasiten befallen zu sein, ohne dass aus dermatologischer bzw. parasitologischer Sicht Hinweise für einen solchen Befall bestehen“ definiert.1 Karl-Axel Ekbom hat dieses Störungsbild 1938 unter dem Namen Dermatozoenwahn beschrieben. In der Literatur finden sich noch weitere Bezeichnungen wie Ekbom-Syndrom, taktile Halluzinose oder Para­sitophobie.1, 2 Der Parasitenwahn ist demnach keine Dermatose im eigentlichen Sinn, da das wahnhafte Erleben die Manipulationen der Haut bedingt und die Hautsymptomatik somit sekundär verursacht.2 Die Prävalenz aller wahnhaften Störungen in der Bevölkerung wird auf ca. 0,03 % geschätzt.2 Die Inzidenz des Parasitenwahns liegt bei 1,9 auf 100.000 Personen pro Jahr.3
Beim hypochondrischen Dermatozoenwahn handelt sich in den meisten Fällen um eine monosymptomatische Psychose, die nach ICD-10 als anhaltende wahnhafte Störung (F22.0 oder F22.8) zu kodieren ist, wenn 1) die Wahngedanken seit mindestens 3 Monaten bestehen, 2) die allgemeinen Kriterien für eine Schizophrenie (F20.0-F20.3 G1) nicht erfüllt sind und 3) andere anhaltende Halluzinationen jeglicher Sinnesmodalität nicht vorkommen. Das Vorhandensein depressiver Symptome bzw. einer depressiven Episode (F32) ist für die Diagnosestellung kein Ausschlussgrund, wenn die Wahngedanken auch nach Rückbildung etwaiger affektiver Symptome weiter bestehen. Treten die Wahngedanken infolge einer hirnorganischen Erkrankung (F0) oder durch psychotrope Substanzen (F1x.5) auf, ist eine Kodierung entsprechend der zugrunde liegenden Störung zu vergeben. In jedem Fall geht die wahnhafte Fixierung mit einem hohem Leidensdruck und einer eingeschränkten Lebensqualität der betroffenen Personen einher.5

Klinisches Erscheinungsbild und Differenzialdiagnose

Die betroffenen Personen berichten über intensiven Juckreiz, Kribbelempfindungen wie Ameisenlaufen, Brennen der Haut, Hautausschläge und weisen häufig entzündete Hautstellen auf. Anhand der psychopathologischen Charakteristika ist eine differenzierte Erfassung des Störungsbildes möglich, wobei das Alter bei Beginn der Störung eine bimodale Verteilung – Beginn zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr und über dem 50. Lebensjahr – aufweist.4, 6 Die zahlenmäßig weit größere Gruppe ist jene der älteren Personen. Dementsprechend ist das Durchschnittsalter 57 Jahre, wobei das Geschlechterverhältnis Frauen zu Männern fast 3 : 1 beträgt. Bei älteren Frauen finden sich häufig kognitive Leistungsdefizite, die auf eine beginnende oder fortgeschrittene demenzielle Erkrankung hinweisen. Bei fast 80 % der betroffenen Personen finden sich in der Anamnese vergangene oder aktuell bestehende psychiatrische Erkrankungen. Die häufigsten komorbiden psychiatrischen Störungsbilder sind Depressionen (74 %), gefolgt von Substanzmissbrauch (24 %) und Angststörungen (20 %).2, 7
Die betroffenen Personen sind psychisch stark belastet, da ihr Alltag von der intensiven Beschäftigung mit den vermeintlichen Parasiten und den Versuchen, diese zu entfernen, geprägt ist. Das Ausmaß der artifiziellen Schädigungen der Haut ist abhängig von der Art der Manipulationen. Neben Nadeln, Pinzetten oder ähnlichen Gegenständen zur Entfernung der scheinbar vorhandenen Parasiten kommen auch Desinfektionsmittel oder andere aggressive chemische Substanzen zum Einsatz. Üblicherweise finden sich die Verletzungen und Exkoriationen an Körperstellen, die gut erreichbar sind (Abb.). Insgesamt ist die Haut durch das intensive Waschen und Reinigen zumeist sehr trocken, rissig und empfindlich.7
Die Betroffenen berichten manchmal über Auslöser des vermeintlichen Parasitenbefalls, wobei hier reale oder phantasierte Ereignisse und Erlebnisse in das Wahnsystem eingebaut werden.7 In 8–12 % der Fälle wird die Wahnsymptomatik auf andere, primär gesunde, aber meist labile Personen – Freunde oder Angehörige – „übertragen“.4 Für diese Personen ist nach ICD-10 eine induzierte wahnhafte Störung oder Folie à deux (F24) zu vergeben.

 

 

Krankheitsmanagement

Die betroffenen Personen leiden zumeist seit vielen Monaten, manchmal auch Jahren, unter taktilen Missempfindungen, weshalb sie dermatologische Ambulanzen und Praxen aufsuchen. Aufgrund der für sie eindeutigen somatischen Genese leugnen sie eine psychopathologische Ursache und lehnen dementsprechend eine psychiatrische Konsultation strikt ab.4 Viele Patienten berichten, dass sie wegen ihrer Beschwerden in der Vergangenheit schon andere Experten wie Allgemeinmediziner, Parasitologen oder Dermatologen aufgesucht haben, diese ihnen aber nicht geglaubt hätten. Dies wird oft als Argument angeführt, warum vor der aktuellen Konsultation die vermeintlichen Parasiten gesammelt und in kleinen Schachteln („Matchbox-Zeichen“) mitgebracht worden seien. Die wahnhafte Störung und die Erfahrungen der Vergangenheit bedingen das Misstrauen gegenüber den Ärzten. Dementsprechend ist ein direktives, konfrontatives Vorgehen kontraindiziert.7–9
Am Beginn stehen eine ausführliche Anamnese und die Veranlassung entsprechender Untersuchungen, um einen realen Parasitenbefall oder eine andere zugrunde liegende dermatologische Erkrankung ausschließen zu können.6 Während dieser Phase empfiehlt sich die Zusammenarbeit mit Einrichtungen, die parasitologische Untersuchungen anbieten.
Mit dem Erkennen und Ansprechen der mit der Problematik einhergehenden Belastungen, mit Informationen zu Wechselwirkungen zwischen Haut und Psyche – als Beispiele können Redewendungen wie „Das geht einem unter die Haut“ oder „etwas ist zum aus der Haut fahren“ dienen – und durch behutsames Hinterfragen problematischer Verhaltensweisen wie Kratzen und andere Manipulationen der Haut, vermittelt der Arzt Empathie und Interesse.7–9 Mit Fragen nach der allgemeinen Leistungsfähigkeit – beispielsweise wie die Haushaltsführung gelingt, oder ob es in anderen Belangen des täglichen Lebens Schwierigkeiten gibt – kann die Notwendigkeit einer klinisch-psychologischen Untersuchung unterstrichen und somit der Kontakt zu einem klinischen Psychologen angebahnt werden.
Da der Juckreiz häufig als besonders quälend und belastend beschrieben wird, können juckreizstillende Medikamente und Lotionen eingesetzt werden, um vorübergehend die wahrgenommenen Dysästhesien zu lindern.7 Dabei kann der Juckreiz-Kratz-Zirkel skizziert und darauf hingewiesen werden, dass neben der medikamentösen und Lokaltherapie auch Strategien erlernt werden können, wie dem Drang, zu kratzen, begegnet und widerstanden werden kann. Zudem kann in Bezug auf die Wechselwirkung zwischen Haut und Psyche die Bedeutung einer ganzheitlichen Behandlung unterstrichen und die Vorteile einer ergänzenden klinisch-psychologischen und/oder psychotherapeutischen Behandlung betont werden.10
Ist ein stabiles Vertrauensverhältnis aufgebaut, kann mit dem Hinweis, dass ein Medikament zur „Beruhigung der Hautnerven“ hilfreich wäre – nach Rücksprache mit einem Facharzt für Psychiatrie –, die Behandlung mit einem Neuroleptikum eingeleitet werden.9 Risperidon weist die beste Wirkung-Nebenwirkung-Relation auf, weshalb es das Medikament der ersten Wahl ist.7 Bei Vorhandensein einer depressiven Störung kann eine Behandlung mit einem Antidepressivum, bei Vorliegen einer Angsterkrankung eine Behandlung mit einem Anxiolytikum indiziert sein, wobei in beiden Fällen zur Verbesserung der Distanzierung von den Wahngedanken eine Kombinationstherapie mit atypischen Neuroleptika erwogen werden kann.1, 7, 8
Trotz des vorliegenden Misstrauens reagieren die meisten Patienten auf die ärztliche Zuwendung positiv. Das wiederholte Besprechen der mit der Störung einhergehenden Belastungen kann die Bereitschaft zu einer klinisch-psychologischen und/oder psychotherapeutischen Behandlung erhöhen.

Klinisch-psychologische und ­psychotherapeutische Interventionen

Der Kontakt zum klinischen Psychologen kann über die Veranlassung einer klinisch-psychologischen Diagnostik hergestellt werden. Mithilfe von Lebensqualitätsfragebögen können vorhandene Einschränkungen in der Lebensführung erfasst und ein Bezug zu aktuellen Belastungen hergestellt werden. Gleichzeitig gilt es, vorhandene Ressourcen zu aktivieren. Über die Erarbeitung eines individuellen Erklärungsmodells zur Entstehung und Aufrechterhaltung der aktuellen Problematik gelingt eine erste Entlastung. Verhaltensanalysen helfen ebenfalls, vorhandene Verhaltensmuster zu erkennen und deren aufrechterhaltenden Bedingungen zu verstehen. Psychoedukation schafft ein Verständnis für die Zusammenhänge zwischen Stressoren, Verhaltensweisen und Hautsymptomen.10 Während eine klinisch-psychologische und/oder psychotherapeutische Behandlung ohne begleitende psychopharmakologische Behandlung nur eine geringe Verbesserung bewirken kann, werden mit einer Kombination medikamentöser und psychotherapeutischer Therapie deutlich bessere Erfolge erzielt.7

Zusammenfassung

Der Parasitenwahn ist keine Dermatose im eigentlichen Sinn, da die mit der psychischen Störung einhergehenden Manipulationen der Haut erst die Hautsymptomatik verursachen. Gleichzeitig sind die betroffenen Personen unerschütterlich davon überzeugt, von Parasiten befallen zu sein. Die große Herausforderung in der Behandlung ist der Aufbau einer vertrauensvollen Arzt-Patient-Beziehung, um eine psychopharmakologische Behandlung zu initiieren.

1 Musalek M, (1991). Der Dematozoenwahn. Stuttgart: Thieme
2 Hillert A und Harth W, (2009). Psychiatrische Störungen in der Dermatologie. In: Niemeier V, Stangier U und Gieler U (Hrsg.) Hauterkrankungen: Psychologische Grundlagen und Behandlung. Göttingen: Hogrefe, S. 220–41
3 Bailey C et al., Br J Dermatol 2014; 170(5):1130–5
4 Kuhn H et al., J Am Acad Dermatol 2017; 76(5):779–91
5 Dilling H und Freyberger HJ, (2013). Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen, 6., überarbeitete Auflage. Bern: Huber
6 Musalek M et al., Dermatol Psychosom 2000; 1(Suppl 1):51
7 Campbell E et al., J Am Acad Dermatol 2018; 80(5):1428–34
8 Mumcuoglu K et al., Isr Med Assoc Journal 2018; 20(7):456–60
9 Harth W und Gieler U, (2006). Psychosomatische Dermatologie. Heidelberg: Springer
10 Stangier U, (2002). Hautkrankheiten und Körperdysmorphe Störung. Fortschritte der Psychotherapie. Göttingen: Hogrefe