Neurodermitis – eine tägliche Herausforderung

Chronische Erkrankungen erfordern ein gemeinsames Therapiekonzept mit den Betroffenen, eine Schulung im Umgang mit der Erkrankung sowie Unterstützung in der Entwicklung von Selbstmanagement und Prävention neuerlicher Krankheitsschübe. Dies setzt die aktive Mitarbeit von Patienten und ggf. auch ihrer Angehörigen voraus.

Neurodermitis-Schulung – ein Modell aus Deutschland

Ausgehend von einer Initiative des Bundesministeriums für Gesundheit, wurde in Deutschland ein Konzept zur Neurodermitis- Schulung erarbeitet, welches sich in einer kontrollierten, prospektiven Studie als wirksam erwies. In dieses interdisziplinär aufgebaute Schulungsprogramm sind Haut- und Kinderfachärzte, Psychologen, Pädagogen und Ernährungsfachkräfte eingebunden. Einerseits werden Informationen über die Erkrankung und praktische Hinweise zu den Therapiemöglichkeiten vermittelt, andererseits die TeilnehmerInnen auch zu Verhaltensänderungen (Coping) motiviert.

Zielgruppe: Die Neurodermitis-Elternschulungen richten sich an Eltern, Alleinerziehende und/oder Bezugspersonen von betroffenen Kindern (Säuglinge und Kinder bis zum 7. Lebensjahr). Die Schulungen mit 6 Einheiten à 2 Stunden oder – wie zuletzt in Linz – als Tagesveranstaltung (3 Einheiten à 2 Stunden pro Tag) werden von interdisziplinären Teams aus den Bereichen Medizin (Pädiatrie, Dermatologie), Psychologie und Ernährung geleitet. Mütter und Väter können gemeinsam an den Schulungen teilnehmen.
Betroffene Eltern erhalten umfassende Informationen zum Krankheitsbild und möglichen Krankheitsverlauf, Bewältigungsstrategien für den Alltag, Informationen zu richtiger Hautpflege und der stufengerechten Anwendung von Heilsalben. Auch werden weitere wichtige Themen wie Ernährung, Allergien und komplementäre Therapien in der Gruppe erarbeitet.
Weiters hat die „Arbeitsgemeinschaft für Neurodermitisschulung“ (AGNES) neben der Elternschulung betroffener Kinder bis 7 Jahre auch Schulungsprogramme für betroffene ältere Kinder und Jugendliche und deren Eltern entwickelt.

Train-the-Trainer-Seminare: Inzwischen sind in Deutschland viele Neurodermitis-Akademien und -Schulungszentren etabliert, die auch für die Qualität des standardisierten Schulungsprogramms veranwortlich sind. In regelmäßigen Schulungen und „Train the Trainer“-Seminaren werden zusätzliche Neurodermitis-TrainerInnen ausgebildet, um ein möglichst flächendeckendes Netz an Schulungszentren für Betroffene aufrechtzuerhalten bzw. weitere Zentren etablieren zu können. Auch in der Schweiz werden Neurodermitis-Schulungen flächendeckend angeboten, die Kosten werden dort nur teilweise von den Krankenkassen übernommen.
Den Ablauf einer Ausbildung zum/zur Neurodermitis-TrainerIn (AGNES) zeigt die Tabelle.

Inhalte der Schulung

Die Inhalte der Schulungen der AGNES orientieren sich an den von den TeilnehmerInnen der Konsensuskonferenzen und der Arbeitsgemeinschaft „Neurodermitisschulung im Kindesalter“ erstellten Rahmenbedingungen (WAHN 1998).

Folgende Themen werden besprochen und erarbeitet:

  • Informationen zur stadiengerechten Behandlung
  • Einübung und Transfer in den Alltag (z. B. Eincremeverfahren etc.)
  • Kenntnisse über mögliche Auslöser und deren Vermeidung
  • Kenntnisse über geeignete diagnostische Maßnahmen zur Vermeidung von Exazerbationen
  • Einblick und Erprobung in Entspannungsverfahren (z. B. progressive Muskelentspannung, Fantasiereisen, autogenes Training)
  • Erarbeiten und Erproben von Strategien im Umgang mit psychosozialen Belastungen von Kindern und Eltern
  • Möglichkeit zur Besprechung familiärer Belastungen im Zusammenhang mit der Erkrankung
  • Umgang mit Juckreiz und Erarbeiten von Kratzalternativen, kindgerechte Ernährung und Diagnostik von Nahrungsmittelallergien 

Ausbildung zum/zur Neurodermitis-TrainerIn in Österreich

In Österreich konnte 2010 durch die großzügige Unterstützung der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (ÖGDV) und der Firma Intendis erstmals ein „Train the Trainer“-Seminar in Wien durchgeführt werden. Auch 2011 veranstaltete die ÖGDV ein Schulungsprogramm zum/zur Neurodermitis-TrainerIn. Prof. Uwe Gieler und sein Team begeisterten uns und schafften es trotz bestem Sommerwetter, die Seminarräume bis spätabends zu füllen! An insgesamt 3 Sommerwochenenden konnten in Linz 24 KollegenInnen (Kinderärzte, Hautfachärzte, Psychologinnen und eine Diätologin) zum/zur Neurodermitis-TrainerIn ausgebildet werden. Diese Fortbildung wurde auch dieses Mal dankenswerterweise von der ÖGDV und von der Firma Intendis unterstützt.
An zwei dieser Wochenenden durften die TeilnehmerInnen die Elternschulung aktiv mitgestalten und auch selbstständig einige Unterrichtseinheiten halten, natürlich bestens betreut von Prof. Uwe Gieler, Dr. Isabel Fell und Dipl.-Psych. Lars Henninghausen. In enger Zusammenarbeit mit der Landes-Kinderklinik Linz und der Abteilung für Dermatologie und Venerologie des Allgemeinen Krankenhauses Linz rekrutierten wir 18 Eltern von Neurodermitis-Kindern im Alter von 1 bis 7 Jahren.
In 2 Gruppen aufgeteilt, unterrichteten wir die Eltern und diese uns! Als wesentliche Therapiepfeiler konnten für alle die tägliche konsequente Basispflege und die gegebenenfalls notwendige korrekte Anwendung von Heilsalben erarbeitet werden. Die Eltern erhielten auf alle ihre individuellen Fragen zu Ernährung, Allergien, Infektionen und komplementärmedizinischen Behandlungsmethoden etc. konkrete Antworten. Beispiele für Kratzalternativen und Entspannungstechniken konnten erlernt und auch ausprobiert werden. Das Erkennen von psychosozialen Problemen und das Entwickeln von Lösungsansätzen spornte einige Eltern bereits während der Schulung an, die Schlafprobleme ihrer Kinder anzugehen. Manche konnten räumliche Veränderungen schaffen, andere im Gespräch mit ihrem/ ihrer PartnerIn Lösungsansätze erarbeiten und durch bewusstes Handeln ihre Ziele erreichen.
Der Austausch in einer solchen Schulung beseitigt Informationsdefizite und gibt den Eltern Sicherheit im Umgang mit der Erkrankung, den Betroffenen und ihrem Umfeld.
Interesse an der Neurodermitis-Schulung zeigten nicht nur viele weitere KollegInnen, sondern auch viele Eltern. Dies spiegelt die Bereitschaft für solche Schulungen und deren Bedarf wider.

Engagierte Einzelinitiativen: Durch ihr großes Engagement und ihre finanzielle Unterstützung haben KollegenInnen in Kärnten die Neurodermitis-Schulung (Elternschulung von betroffenen Kindern) bereits etablieren können, die Übernahme der Kosten durch die Krankenkasse wurde für 3 Schulungen im Jahr 2011 zugesagt. Auch in Wels in Oberösterreich (Klinikum Wels-Grieskirchen) werden Neurodermitis-Schulungen für Eltern angeboten, hier jedoch nur ermöglicht durch die großzügige Unterstützung von Firmen und eine geringe Pauschale der Eltern, aber ohne Kostenersatz.

Ziel: flächendeckendes Angebot

Es ist zu wünschen, dass die entwickelten Neurodermitis-Schulungsprogramme auch in Österreich bald flächendeckend angeboten werden können, da nur durch die aktive Einbindung der Betroffenen ein Selbstmanagement und die Prävention neuerlicher Krankheitsschübe erreicht werden können. Die Finanzierung der Elternschulungen durch die Krankenkassen muss daher rasch angestrebt werden. Die ÖGDV hat die Arbeitsgruppe „Pädiatrische Dermatologie“ der ÖGDV beauftragt, die ausgebildeten Neurodermitis-Trainer Innen bei der Planung und Umsetzung von Neurodermitis-Schulungen zu unterstützen und diese zu koordinieren.

Literaturempfehlungen:
– Arbeitsgemeinschaft Neurodermitisschulung e.V. (AGNES), www.neurodermitisschulung.de
– Ring J., Bachert C., Bauer C.-P., Czech W. (Hrsg.): Weißbuch Allergie in Deutschland. Springer Medizin Urban & Vogel GmbH, 3. Auflage, München 2010
– Werfel Th., Lotte C., Scheewe S., Staab D. (Hrsg.): Manual Neurodermitisschulung. Dustri Verlag Dr. Karl Feistle, München-Orlando 2008
– Stangier U., Gieler U., Ehlers A.: Neurodermitis bewältigen. Erwachsenenschulung, Springer Verlag, Berlin-Heidelberg 1996
– Scheewe S., Warschburger P., Clausen K.: Neurodermitis – Verhaltenstraining für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern. Urban & Vogel 1997
– Scheewe S., Wilke-Clausen K.: Pingu Piekfein. Urban & Vogel 1999
– Kehrt R., von Rüden U., Wenninger K., Staab D., Wahn U.: Neurodermitis- Elternschulung, Berliner Modell. Mead Johnson, Dietzenbach 1998
– Wenninger K., Kehrt R., von Rüden U., Lehmann C., Binder C., Wahn U., Staab D.: Parent education in the management of childhood atopic dermatitis: The Berlin Model. Patient Educ Couns 2000; 40: 253-261
– aha! Schweizerisches Zentrum für Allergie, Haut und Asthma, www.ahaswiss.ch