Die Patientin wurde im Alter von 9 Monaten an unserer Genodermatosenambulanz vorgestellt. Sie war nach einer unauffälligen Schwangerschaft mit 39+0 SSW zur Welt gekommen. Bereits zum Zeitpunkt der Geburt fiel eine Makrozephalie auf (Kopfumfang: 38 cm, > 97. Perzentile), Körpergröße und Gewicht lagen im oberen Normbereich. Außerdem zeigten sich streifenförmige makulöse Hyper- und Hypopigmentierungen an Stamm und Extremitäten. Beide Eltern sowie die ältere Schwester sind gesund, es besteht keine Konsanguinität. Laut mitgebrachtem Mutter-Kind-Pass gab es in der Entwicklung bisher keine Auffälligkeiten.
Zum Vorstellungszeitpunkt bestanden eine Makrosomie sowie Makrozephalie (Länge, Gewicht, Kopfumfang > 97. Perzentile). Es fanden sich Hypo- und Hyperpigmentierungen an Stamm und Extremitäten, mit einem Verteilungsmuster entlang der Blaschko-Linien. Auffällig war auch eine Iris-Heterochromie. Außerdem zeigte sich in der klinischen Untersuchung eine stammbetonte, muskuläre Hypotonie sowie eine leichte motorische Entwicklungsverzögerung.
Incontinentia pigmenti (Bloch-Sulzberger-Syndrom): Diese X-chromosomal-dominant vererbte Erkrankung (NEMO-Gen, Region Xq28) betrifft Mädchen (letal für homozygote/männliche Träger) und verläuft typischerweise in Stadien. Den Blaschko-Linien folgend finden sich im Stadium 1 Vesikel und Pusteln auf gerötetem Grund, verruköse Läsionen im Stadium 2, Hyperpigmentierung im Stadium 3 und schließlich im Stadium 4 atrophe Hypopigmentierung. Extrakutane Manifestationen betreffen vor allem Zähne, Haare, Nägel, Augen und ZNS. An ein Stadium 3 oder 4 könnte man in unserem Fall denken, anamnestisch ergab sich jedoch kein Hinweis auf zuvor durchlaufene Stadien und die hypopigmentierten Areale waren nicht atroph.
McCune-Albright-Syndrom: Dieses Syndrom wird durch somatische Mutationen in GNAS verursacht. Die typischen Café-au-lait-artigen Hyperpigmentierungen können auch in breiten Linien im Verlauf der Blaschko-Linien auftreten. Die Ränder dieser Hautläsionen werden häufig mit der „Coast of Maine“ verglichen, sie sind scharf begrenzt und irregulär gezackt. Weitere Merkmale sind fibröse Knochendysplasie und endokrinologische Beteiligung (Pubertas praecox). Das klinische Bild schien uns hier ebenfalls nicht passend.
Epidermaler Nävus (Keratinozytennävus): Epidermale Nävi sind meist hautfarben bis hyperpigmentiert und entlang der Blaschko-Linien angeordnet. In der Regel sind diese erhaben, teils hyperkeratotisch. Im Zweifel kann eine histologische Abklärung weiterhelfen.
Wir stellten die Diagnose eines Pigmentmosaiks. Dies ist ein Überbegriff für Hauterscheinungen mit einem Muster aus Hypo- und/oder Hyperpigmentierungen, denen ein Mosaizismus zugrunde liegt. Von einem Mosaik spricht man, wenn es nach erfolgter Befruchtung, im Laufe der Embryonalentwicklung, zu einer Mutation kommt. Je nach betroffenem Gen, Zeitpunkt und Region entsteht ein anderer Phänotyp. Bei einem genetischen Mosaik handelt es sich somit um einen Organismus, der aus einer befruchteten Eizelle, jedoch aus mindestens zwei genetisch unterschiedlichen Zellpopulationen besteht.
Im Falle eines Pigmentmosaiks ist ein Zellklon mit veränderter Melaninproduktion vorhanden, und es kommt zu vermehrter oder verminderter Melaninablagerung in der Basalzellschicht. Es handelt sich bei Pigmentmosaiken um eine heterogene Gruppe. Leider findet sich in der Literatur keine einheitliche Nomenklatur. Im Falle einer Blaschko-lineären Verteilung werden die Bezeichnungen Hypomelanosis of Ito (bei manchen Autoren nur dann, wenn eine extrakutane Beteiligung vorliegt), linear and whorled naevoid hyperpigmentation, naevoide Hyper-/Hypomelanose, Blaschkoide Dyspigmentation und Cutis tricolor (Hyper- und Hypopigmentierung) verwendet. Abbildung 1 zeigt archetypische Muster bei Pigmentmosaiken, wobei die Typen 1 und 2 (A–C) mit Abstand am häufigsten sind. Die Diagnosestellung erfolgt in der Regel klinisch.
Es ist bekannt, dass auch extrakutane Manifestationen im Rahmen von Pigmentmosaiken vorkommen. Zur Prävalenz finden sich unterschiedliche Angaben. Laut einer 2018 publizierten Arbeit, basierend auf Literaturrecherche in PubMed, weisen 56 % der Patienten mit Pigmentmosaik extrakutane Manifestationen auf.1 Andere Studien kommen hingegen auf etwa 30 %.2, 3 Die unterschiedlichen Zahlen sind möglicherweise durch „referral-“ und „reporting-bias“ zu erklären. Eine dieser Arbeiten zeigte eine signifikante Assoziation von Pigmentmosaiken mit extrakutanen Manifestationen, wenn 4 oder mehr Körperregionen betroffen waren, außerdem eine etwas häufigere Assoziation bei segmentaler Verteilung (schachbrettartig, Typ 2).3 Dies steht im Widerspruch zu einer Studie, die diese Form des Verteilungsmusters als weit verbreitet und kaum mit extrakutanen Manifestationen verbunden beschreibt.4 Die häufigsten extrakutanen Manifestationen stellen neurologische (Entwicklungsverzögerung, epileptische Anfälle) und muskuloskelettale Veränderungen dar. Seltener finden sich kardiale und ophthalmologische Beteiligungen. Auch Gesichtsdysmorphien wie Balkonstirn, eingesunkene Nasenwurzel, Hypertelorismus und buschige Augenbrauen wurden in manchen Fällen beobachtet. Zusammenfassend ist zu sagen, dass im Falle eines Pigmentmosaiks eine sorgfältige physikalische Untersuchung erfolgen sollte. Des Weiteren sind regelmäßige Kontrollen beim Kinderarzt zur Beurteilung der Entwicklung mit gegebenenfalls weitergehender Abklärung indiziert.
Aufgrund der Makrozephalie, der muskulären Hypotonie sowie der leichten motorischen Entwicklungsverzögerung wurden eine Schädelsonografie und eine augenärztliche Untersuchung vereinbart. Leider musste die Patientin jedoch kurze Zeit später im Status epilepticus an die Kinderklinik eingeliefert und auf der Intensivstation aufgenommen werden. Eine Therapie mit Levetiracetam (Keppra®) wurde begonnen. Im MRT zeigte sich eine Hemimegalenzephalie links sowie eine Polymikrogyrie. Im EEG fand sich eine Verlangsamung links temporo-occipital. Die neuropädiatrische Untersuchung ergab zu diesem Zeitpunkt eine motorische und sprachliche Entwicklungsverzögerung. Auffällig war auch eine leichte Gesichtsasymmetrie mit hemifazialer Makrosomie links.
Eine genetische Analyse wird empfohlen, insbesondere wenn extrakutane Manifestationen vorliegen; von manchen Autoren auch dann, wenn nur die Haut betroffen ist. Zum einen kann dadurch ein besseres Verständnis der Pathogenese erreicht werden; zum anderen zeigt unser Fall, dass sich daraus auch mögliche therapeutische Ansätze ergeben können. In vielen Fällen konnten im Mosaik vorliegende numerische oder strukturelle Chromosomenaberrationen nachgewiesen werden. Punktmutationen eines bestimmten Gens wurden deutlich seltener gefunden. Mutationen im MTOR-Gen („mechanistic target of rapamycin“) konnten vereinzelt bei Kindern mit Megalenzephalie, Polymikrogyrie und Pigmentmosaik mit Hypo- und Hyperpigmentierungen nachgewiesen werden.5, 6 Es wird dafür sogar die Verwendung eines neuen Begriffes, nämlich „Megalencephaly, Polymicrogyria and Pigmentary Mosaicism (MPPM) Syndrome“ vorgeschlagen. Zur genetischen Analyse werden meist Lymphozyten aus peripherem Blut oder Fibroblasten aus Hautbiopsien untersucht.1 Falsch negative Ergebnisse sind aufgrund der untersuchten Zellarten sowie des Mosaiks möglich. Von der Kinderklinik wurde eine genetische Analyse des MTOR-Signalweges aus einem Mundschleimhautabstrich der Patientin veranlasst. Dieser Signalweg spielt eine wichtige Rolle in der Regulation von Zellproliferation und Wachstum. Es konnte tatsächlich eine Mutation im MTOR-Gen, als somatisches Mosaik vorliegend, nachgewiesen werden (c.5930C > T; pThr1977Ile in 7 % der Reads). Somit gelang der Nachweis mittels einer deutlich weniger invasiven Methode. Exakt dieselbe Mutation wurde bisher in der Literatur in 4 weiteren Fällen beschrieben.5, 6
Im Falle einer rein kutanen Beteiligung ist die Prognose exzellent, die Läsionen selbst können jedoch kosmetisch störend sein und sind schwer zu behandeln. Zum Teil wird versucht, mit Laserbehandlungen (Q-switched Laser) ein Abblassen von Hyperpigmentierungen zu erzielen.
Extrakutane Manifestationen müssen je nach betroffenem Organ bzw. Symptomatik individuell behandelt werden. Unsere Patientin erhält Levetiracetam als Dauermedikation zur Anfallsprophylaxe, zudem Physiotherapie und Frühförderung. Außerdem werden engmaschige neuropädiatrische Kontrollen inklusive EEG durchgeführt. Erfreulicherweise zeigte sich hier zuletzt eine altersgemäße Entwicklung. Aufgrund der Pathogenese und des positiven Nachweises einer Mutation im MTOR-Gen erscheint eine Therapie mittels MTOR-Inhibitoren (Everolimus/RAD 001, Sirolimus/Rapamycin) zielführend. In Zellkulturen konnte sowohl eine pathologische Größenzunahme in Neuronen durch Mutationen in MTOR (auch durch die bei unserer Patientin gefundene) gezeigt werden als auch ein Ansprechen auf den MTOR-Inhibitor Everolimus (RAD 001).5 Everolimus ist bereits bei Patienten mit tuberöser Sklerose (TSC) mit subependymalen Riesenzellastrozytomen oder renalen Angiomyolipomen zugelassen und wird auch als Zusatzbehandlung bei epileptischen Anfällen im Rahmen dieser Erkrankung ab 2 Jahren erfolgreich eingesetzt. Sirolimus ist für TSC bisher nicht zugelassen, zeigte in Studien allerdings ebenfalls eine gute Wirksamkeit7, 8 und wird auch off-label bei komplexen vaskulären Anomalien bereits im Kindesalter verwendet.9 MTOR-Inhibitoren könnten auch in unserem Fall eine vielversprechende therapeutische Option darstellen, sind allerdings für diese Indikation noch nicht zugelassen. Bisher wurde aufgrund des derzeit guten Verlaufes und der Anfallsfreiheit auf eine Off-label-Therapie verzichtet.