Vorliegender Artikel hat nicht das Ziel, bestehende und bewährte Leitlinien mehr oder minder geschickt zu variieren. Diese können z. B. unter http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/061-025.html nachgelesen werden. Vielmehr stellen sich in der klinischen Praxis Fragen, Probleme und Missverständnisse, die hier angesprochen und – hoffentlich – ausgeräumt werden sollen.
Häufig ist das Erkennen einer anaphylaktischen Reaktion eine Blickdiagnose. Allerdings sind viele ihrer Symptome nicht objektivierbar – Übelkeit, Schwindel, Bauchkrämpfe, Juckreiz und selbst Atemnot. Differenzialdiagnosen, wie sie z. B. in der Leitlinie zur Akuttherapie anaphylaktischer Reaktionen (AWMF online) angeführt werden, sollten daher in unklaren Fällen bedacht werden.
Vasovagale Synkopen, Hyperventilation und epileptische Anfälle können einer anaphylaktischen Reaktion oberflächlich täuschend ähnlich sehen. Umgekehrt gilt es, die vorhandenen Symptome zu objektivieren und zu dokumentieren: Hat der Patient Hautveränderungen, ist er tatsächlich spastisch, ist der Blutdruck erwartungsgemäß nieder oder im Gegenteil stark erhöht? Flush oder Urtikaria sind zwar nicht obligate Bestandteile der Schocksymptomatik, ihr Fehlen ist aber zumindest ungewöhnlich.
Ein leider wenig sensitiver Parameter ist die Serumtryptase, die nur in schweren Fällen deutlich erhöht ist. Allerdings kann ein Absinken von zwei, im Abstand von einigen Stunden abgenommenen Tryptasewerten den Verdacht auf ein anaphylaktisches (genuin allergisches oder nicht IgE-mediiertes pseudoallergisches) Geschehen erhärten, selbst wenn beide Werte im Normbereich liegen.
Antihistaminika wirken lediglich bei Hautsymptomen und Rhinokonjunktivitis. Im Stadium I (die Mehrzahl der Fälle) sind sie daher als alleinige Therapie wohl ausreichend, nicht aber für Systemreaktionen, zumal der Wirkungseintritt selbst bei i. v. Gabe zu langsam erfolgt. Es besteht die Gefahr, durch den verzögerten Einsatz von Adrenalin wertvolle Zeit zu verlieren. Alle i. v. verfügbaren Antihistaminika sind Blut-Hirn-Schranken-gängig und wirken sedierend. Es muss daher sichergestellt sein, dass der Patient nach einer eventuellen ambulanten Behandlung nicht selbständig den Heimweg antritt.
Glukokortikoide: Das Problem des langsamen Wirkungseintritts betrifft in niedriger Dosis (bis 100 mg Prednisolonäquivalent) auch die Glukokortikoide. Deren „spezifische“ Wirkung soll auf der Beeinflussung der Transkriptionsrate von Zielgenen beruhen, weshalb mit einem klinischen Ansprechen erst nach Stunden zu rechnen sei. Dies kann für die Prophylaxe eines biphasischen Verlaufs oder eines Rezidivs sogar erwünscht sein, nicht jedoch bei der Akutbehandlung. Hier kommen „unspezifische“, angeblich „membranstabilisierende“ Effekte zum Tragen, die schon 10–30 Minuten nach i. v. Gabe wirksam werden, aber hoher Dosen von 500–1.000 mg Prednisolonäquivalent bedürfen.
Gabe von Volumen: Die Bedeutung der Substitution des relativen (Gefäßerweiterung) und absoluten (Permeabilitätserhöhung) Flüssigkeitsverlustes durch Gabe von Volumen wird häufig unterschätzt. Sie kann nur dann erreicht werden, wenn Flüssigkeit in ausreichender Menge (bei Kindern 20 ml/kg, bei Erwachsenen initial 500–1.000 ml) und möglichst rasch verabreicht wird. Im Einzelfall kann es durchaus sinnvoll sein, die Kunststoffflasche mit einer Blutdruckmanschette oder der Hand zu komprimieren, um eine Gabe „im Schuss“ zu ermöglichen. Hyperosmolare Lösungen wie Hydroxyethylstärke haben aufgrund ihrer Kolloidwirkung theoretische Vorteile gegenüber einfachen Elektrolytlösungen (physiologische Kochsalzlösung, Ringer). Studien dazu existieren nicht.
Adrenalin ist das einzige Medikament, das in der Akuttherapie des anaphylaktischen Schocks Leben retten kann. Pointiert ausgedrückt bedeutet das: Wenn ein Patient ohne Adrenalin überlebt, war er wahrscheinlich nie vital bedroht. Stirbt er trotz Adrenalin, hätte daran auch jede zusätzliche Medikation nichts geändert. In der Mehrzahl der Fälle tritt ein Herzstillstand innerhalb von 30 Minuten ein.
Adrenalin muss also möglichst frühzeitig eingesetzt werden. Adrenalin kann in vielfältiger Weise appliziert werden. Als Initialmaßnahme, z. B. wenn der Patient noch keine Leitung hat, bietet sich die intramuskuläre (besser als subkutane) Gabe an: beim Erwachsenen 0,5 mg (z. B. eine halbe Ampulle Suprarenin®) in den lateralen Oberschenkel. Sie kann nach Bedarf nach 5 Minuten wiederholt werden. Auch für den Arzt sind Autoinjektoren, wie sie üblicherweise Bestandteil des Notfallsets sein sollten, eine durchaus sinnvolle Alternative zur normalen i. m. Spritze.
Adrenalin ist auch bestens zur Therapie eines Bronchospasmus oder lokaler Schwellungen, etwa der Zunge oder des Larynx geeignet. Während Adrenalininhalatoren heute nicht mehr als Bestandteil des Patienten-Notfallsets empfohlen werden, sind sie für den ärztlichen Einsatz durchaus sinnvoll. Wenn möglich, sollte aber einer Adrenalininhalation über die Maske der Vorzug gegeben werden. Dafür stehen einfach zu handhabende Vernebler, die an die Sauerstoffmaske angeschlossen werden, zur Verfügung. Inhalatives Adrenalin reicht nicht zur Behandlung anderer systemischer Reaktionen wie Blutdruckabfall aus!
Für die i. v. Gabe sollte Adrenalin aus praktischen Gründen entweder schon fertig vorverdünnt vorrätig sein (1 mg auf 10 ml NaCl) oder in selber Weise verdünnt werden. Die Dosierung beträgt dann 0,5 ml (= 0,05 mg), eventuell mehrfach im Abstand von einigen Minuten. Die i. v. Gabe birgt ein wesentlich höheres Risiko eventuell lebensbedrohlicher Hypertension, Tachykardie, Arrhythmien und kardialer Ischämie. Andererseits gibt es keine Kontraindikation gegen Adrenalin in der Behandlung vital bedrohlicher Anaphylaxien.