Julia Valenčak: Der Begriff kommt aus dem Altgriechischen und heißt „Wahrnehmung“. Es geht also nicht um Schönheit als standardisiertes, aufgezwungenes Ideal. Bereits Demokrit hat 400 vor Christus Ästhetik als eine Frage der Symmetrie verstanden, bei der es darum geht, wie die Teile sich zu einem Gesamtbild harmonisch zusammenfügen. Für mich steht hierbei der Patient/die Patientin im Mittelpunkt – in ihrer Gesamterscheinung. Was bei dem einen schön ist, könnte bei dem anderen aufgesetzt wirken. Auch bei Aristoteles geht es um das Zusammenspiel von echtem Wesen und der bloßen Erscheinung. Das ist für mein ästhetisches Empfinden, aber auch meine Arbeitsphilosophie, entscheidend: Schön ist, was sich harmonisch in ein Gesicht einfügt, was den Charakter eines Menschen zum Ausdruck bringt und natürlich wirkt.
Die Haut ist nicht nur ein lebenswichtiges Organ, sondern auch das größte Organ, das die gesamte – wenn Sie so wollen – „soziale Arbeit“ unseres Körpers übernimmt. Die Haut grenzt unseren Gesamtorganismus gegenüber der Außenwelt ab. Über die Haut interagieren wir optisch und taktil mit unseren Mitmenschen. Wir sind Haut. Die Haut stellt ein zentrales ästhetisches Kapital der Menschen dar. Quer durch alle Kulturen auf diesem Planeten gilt eine schöne Haut als anstrebenswertes Gut. Das schlägt sich natürlich auch im Stellenwert der Disziplin nieder, die schon sehr lange weit mehr als medizinisch unterfütterte Kosmetik ist. Tatsächlich gibt es ja auch eine große Palette an ästhetischen Beeinträchtigungen, die gleichzeitig ernstzunehmende Hauterkrankungen darstellen, z. B. die Akne vulgaris, die Rosacea, aktinische Keratosen u. v. m. Das zeigt auch, dass das Begriffsfeld der ästhetischen Dermatologie weit größer ist, als manche Kollegen meinen.
Eine gesunde, altersgerecht schöne Haut, die den Menschen vor schädlichen Umwelteinflüssen und Krankheitserregern effizient schützt und von den Mitmenschen als ästhetisch, gepflegt und anziehend wahrgenommen wird. So zumindest mein Verständnis.
Schattenseiten tun sich wie immer dort auf, wo die Beratung nicht sachgerecht verläuft. Wenn medizinische Ästhetik als Möglichkeit missverstanden wird, ewig-junge Cyborgs zu schaffen, dann können die Dinge auch schieflaufen. Deshalb ist in der Ästhetik die aufrichtige, psychologisch kontextualisierte Kommunikation mit den Patienten sehr wichtig. Das bringt mich zurück zu Demokrit: Es sollte den Ärzten in ihrer Beratungsfunktion um Harmonie gehen, nicht um das Hinterhereilen eines destruktiven Schönheitswahns. In jedem Fall ist es zentral, die Patienten vollumfänglich aufzuklären und alle Schritte entsprechend zu dokumentieren. Das ist keine Ansichtssache, sondern hat einen juristischen Hintergrund, weshalb in diesem Heft Frau Dr. iur. Langer auf das Thema der Haftung eingeht.
Danke für das Gespräch!