Durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten 10 Jahre kam es zu zahlreichen Neuerungen im Management des Prostatakarzinoms (PCa), von Screening und Diagnostik bis zur Therapie in der palliativen Situation. Aufgabe und Ziel dieses Artikels ist es, eine prägnante Übersicht über diese Neuerungen zu geben und einen kurzen Ausblick in die Zukunft zu wagen.
Das PSA-Screening wurde im vergangenen Jahrzehnt kontrovers diskutiert, da bisher nur ein geringer Einfluss auf die Mortalitäts- bzw. Morbiditätsraten nachgewiesen werden konnte und es daher zu Überdiagnostik und Übertherapie führen kann.
PLCO- und ERSPC-Studie: Zwei große randomisierte Screening-Studien untersuchten das PSA-Screening mit teilweise widersprüchlichen Ergebnissen und führen bereits seit über zehn Jahren zur Diskussion über den Nutzen des Massenscreenings: Während die US-amerikanische PLCO-Studie1 keinen Vorteil für das PSA-Screening zeigte, konnte die europäische ERSPC-Studie einen geringen Überlebensvorteil für das Screening zeigen. Mittlerweile stellte sich aber heraus, dass im Kontrollarm der PLCO-Studie sehr wohl PSA-Testungen (bis zu 80 %) durchgeführt wurden.2 Aktuell liegen 16 Jahre Follow-up-Daten der ERSPC-Studie vor, die einen immer stärkeren Überlebensvorteil für das PSA-Screening zeigen konnten. So liegt die „number needed to diagnose“, um einen PCa-Sterbefall zu vermeiden, mittlerweile bei 18 (nach 13 Jahren Follow-up: 26).3
Zwei bildgebende Verfahren haben in den letzten Jahren die Diagnostik entscheidend beeinflusst:
Das mpMRT konnte durch neue Techniken, vor allem diffusionsgewichtetes Imaging (DWI) und dynamische Kontrastverstärkung (DCE), die Sensitivität und Spezifität für die Erkennung des PCA verbessern.4 Weiters wurde ein strukturiertes Befundungsschema (PI-RADS) publiziert, welches seit 2015 in der Version 2.0 aufliegt.5 Als suspekt markierte Areale im MRT können mit einem Ultraschallgerät fusioniert werden. Dadurch lassen sich gezielte Biopsien aus derartigen Arealen entnehmen. Für diesen Einsatz wurden verschiedene Systeme entwickelt.
Mehrere prospektive Studien haben inzwischen nachgewiesen, dass eine gezielte Fusionsbiopsie die Detektion klinisch signifikanter Tumoren im Vergleich zur herkömmlichen Prostata-Biopsie verbessern kann und das mpMRT die Anzahl unnötiger Biopsien verringert.6 Da aber auch ein unauffälliges mpMRT ein klinisch signifikantes PCa nicht sicher ausschließen kann, wird bei hohem klinischem Verdacht weiterhin eine systematische Biopsie empfohlen.
Als weitere Möglichkeit, Informationen der MRT für die Prostata-Biopsie zu nutzen, stehen die MRT-gezielte Biopsie („in-bore“) und die kognitive Fusionsbiopsie, bei der keine technische Fusion der Bilder erfolgt, zur Verfügung. Bisher konnte keine eindeutige Evidenz für die Überlegenheit einer dieser Methoden erbracht werden.7
PSMA-PET/CT: Auch im Bereich der Nuklearmedizin hat sich mit dem PSMA-PET die Diagnostik beim PCa entscheidend verbessert.
Das PSMA-Protein wandert im Rahmen der Entdifferenzierung von der Prostata-Zelle zur Prostatakrebs-Zelle zunehmend in die Zellmembran und ist dann dort mittels spezifischer Liganden nachweisbar. Die Sensitivität dieser Untersuchung ist so hoch, dass beim biochemischen Rezidiv eines PCa bei PSA-Werten < 0,5 ng/ml in 50 % der Fälle Tumorherde entdeckt werden können.8 Aufgrund dieser Ergebnisse ersetzt das PSMA-PET in diesem Krankheitsstadium zunehmend die konventionelle Bildgebung.
Aber auch im Rahmen des primären Stagings vor lokaler Therapie wird die Untersuchung inzwischen vermehrt eingesetzt. Ein kürzlich publizierter, systematischer Review zeigte, dass die Sensitivität und Spezifität hier bei 65 % und 94 % liegen.9 Es laufen derzeit prospektive klinische Studien, die klären sollen, ob Patienten davon wirklich profitieren.10
Die kurativen Standardtherapien des lokal begrenzten PCa, Strahlentherapie (RT) und radikale Prostatektomie (RPE), sind seit mehr als 10 Jahren fest verankert. Die bekannten Nebenwirkungen dieser Verfahren führen, trotz fortlaufender technischer Verbesserungen zur Schonung der Patienten, weiterhin zu einer deutlich eingeschränkten Lebensqualität.
Anfang des Jahrzehnts zeigten Vergleichsstudien zwischen aktiver Therapie und aktiver Überwachung bei lokal begrenzter Erkrankung, wie zum Beispiel die PIVOT-Studie11, keinen signifikanten Unterschied im Gesamtüberleben nach mehr als 10 Jahren Beobachtung. Gerade ältere Patienten und solche mit einem Low-Risk-PCa profitierten nicht von einer aktiven Therapie.
Auf Basis dieser Erkenntnisse wurde „active surveillance“ (AS) als Therapiemöglichkeit konzipiert und verstärkt eingesetzt. Dabei werden Patienten mit verifiziertem PCa mittels regelmäßiger PSA-Bestimmungen, der digitalen rektalen Untersuchung und Kontroll-Biopsien überwacht. Falls es zu einem Fortschreiten der Erkrankung kommt, soll eine kurative Therapie eingeleitet werden. Die Kriterien zum Einschluss, zur Überwachung während, aber auch zum Abbruch einer AS werden ständig überarbeitet.Durch die jüngst publizierte DETECTIVE-Studie12 kam es wieder zu einigen wichtigen Änderungen: Kontrollbiopsien sind nicht mehr obligat durchzuführen, ein automatischer Ausschluss von Patienten mit einem PSA-Wert > 10 ng/ml oder einem ISUP-Grad-2-PCa wird nicht mehr empfohlen. Diese Empfehlungen sind bereits in die aktuellen EAU-Leitlinien eingegangen.13 Durch die Indikationserweiterungen kann eine Übertherapie durch RT und RPE weiter vermindert werden.
2014 wurden die 12-Jahres-Follow-up-Daten der EORTC-30891-Studie publiziert. In dieser Arbeit wurden die sofortige Androgendeprivationstherapie (ADT) vs. verzögerte ADT bei hormonsensitiven, nichtmetastasierten und lokalisierten PCa, die einer lokalen Therapie nicht zugeführt werden können, untersucht. Es konnte festgestellt werden, dass asymptomatische Patienten mit wenig aggressiven Tumoren nicht von einer sofortigen Hormontherapie in Hinblick auf das PCa-spezifische Überleben profitieren.14
CHAARTED und STAMPEDE: Zwei große Studien brachten im vergangenen Jahrzehnt einen Paradigmenwechsel in der Behandlung des metastasierten hormonsensitiven PCA (mHSPC): STAMPEDE15 und CHAARTED16. Die seit den 1940er-Jahren standardmäßig verwendete ADT wurde mit der kombinierten Gabe von ADT und 6 Zyklen Docetaxel verglichen. Der signifikante Vorteil im medianen Gesamtüberleben von 13,6 Monaten (CHAARTED) bzw. 10 Monaten (STAMPEDE) zugunsten der Hormonchemotherapie sicherte Docetaxel einen festen Stellenwert in der Erstlinientherapie des mHSPC.
COU-AA-301/-302, LATITUDE: Kürzlich hinzugekommen zur Therapie des mHSPC ist Abirateron. In den Jahren 2011/12 wurde dieser CYP-17-Inhibitor zunächst zur Therapie des metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinoms (mCRPC) nach vorangegangener Chemotherapie zugelassen (COU-AA-301).17 Wenig später zeigte die COU-AA-302-Studie, dass auch bei Abirateron-Gabe vor Chemotherapie ein signifikanter Vorteil im Gesamtüberleben erzielt werden kann.18 Zuletzt zeigte die 2017 publizierte LATITUDE-Studie, bei der Abirateron als Erstlinientherapie gegen alleinige ADT beim mHSPC verglichen wurde, ebenfalls einen signifikanten Vorteil im Gesamtüberleben für die Therapie mit Abirateron (medianes Gesamtüberleben 53,3 Monate versus 35,5 Monate).19
AFFIRM, PREVAIL, PROSPER, ARCHES: Ein ähnlicher Verlauf konnte bei Enzalutamid beobachtet werden. Nach guten Ergebnissen in der AFFIRM-Studie20 wurde das Medikament zur Therapie des mCRPC nach Chemotherapie zugelassen. Die PREVAIL-Studie21 untersuchte anschließend die Möglichkeit, Enzalutamid bereits vor der Chemotherapie einzusetzen, wobei sich auch hier ein Vorteil im Hinblick auf das progressionsfreie Überleben (65 % gegenüber 14 % nach 12 Monaten) sowie das Gesamtüberleben zeigte (Reduktion des Sterberisikos um 29 % nach 12 Monaten). Der Vorteil gegenüber Abirateron besteht in der Möglichkeit der Therapie ohne Kortison. Lange Zeit konnte Patienten mit einem nichtmetastasierten kastrationsresistenten PCa (M0-CRPC) keine angepasste Therapie angeboten werden. Mit der Publikation der PROSPER-Studie im Jahr 201922 konnte eine Lücke in der medikamentösen Versorgung geschlossen werden: Enzalutamid zeigte ein verbessertes medianes metastasenfreies Überleben (36,6 vs. 14,7 Monate) und eine Verlängerung der Zeit bis zur nächsten antineoplastischen Therapie (39,6 vs. 17,7 Monate). Zusätzlich konnte, auf Basis der ARCHES-Studie23, die Zulassung zur Behandlung des mHSPC mit Enzalutamid beantragt werden.
SPARTAN, TITAN: Ein weiteres neues Medikament ist Apalutamid, das mit der Zulassung zur Therapie des M0-CRPC auf Grundlage der SPARTAN-Studie seit 2019 zur Verfügung steht.24 Mit der TITAN-Studie25 hat sich auch Apalutamid einen Platz in der Therapie des mHSPC gesichert und kann, unabhängig von Risiko und Vortherapie, angewendet werden. Die Zulassung zur Therapie des mHSPC erfolgte jedoch bisher nur seitens der FDA.
Oligometastasiertes PCa: Im vergangenen Jahrzehnt wurde auch der Stellenwert der lokalen Therapie beim oligometastasierten PCa diskutiert. Hierzu muss angemerkt werden, dass es keine einheitliche Definition des Begriffes „oligometastasiert“ gibt. Die ersten positiven Ergebnisse zur RT beim metastasiertem PCa wurden mit der HORRAD-Studie26 publiziert. Hier zeigte sich ein Vorteil von kombinierter RT und ADT im Sinne einer längeren Dauer bis zum biochemischen Rezidiv bei Patienten mit geringem Metastasierungsgrad. Somit wurde diese Empfehlung in die aktuellen EAU-Leitlinien aufgenommen. Die Ergebnisse mehrerer prospektiver Studien zum Stellenwert der RPE in diesem Setting sind noch ausständig.
Abschließend sei ein kurzer Ausblick auf die Entwicklung der nächsten Jahre gewagt. Im Rahmen der Bildgebung verspricht der hochfrequente Ultraschall (29-MHz-Mikro-Ultraschall-Technologie) eine interessante Alternative zur mpMRT der Prostata27 zu werden.
Neue Therapieansätze beim fortgeschrittenen PCa beschäftigen sich mit Keimbahn- oder somatischen Mutationen verschiedener Gene wie z. B. BRCA1, BRCA2 oder ATM. Durch eine zielgerichtete Behandlung mit Poly-(ADP-Ribose-)Polymerase-(PARP-)Inhibitoren können Zellen mit Störungen der homologen Rekombination zerstört werden. Die kürzlich vorgestellte PROFOUND-Studie untersuchte die Wirkung von Olaparib, einem PARP-Inhibitor, im Vergleich zu Abirateron und Enzalutamid bei mCRPC-Patienten, bei denen Krebszellen fehlerhafte Reparaturgene aufwiesen. Dabei zeigte sich, dass die Behandlung mit Olaparib das Fortschreiten der Erkrankung um vier Monate verzögerte.28
Die Immuntherapie, in anderen urologisch-onkologischen Gebieten schon verankert, gewinnt auch bei der Behandlung des PCa an Bedeutung. So werden derzeit in Studien die Checkpoint-Inhibitoren Pembrolizumab und Atezolizumab untersucht. Pembrolizumab wurde bereits von der FDA in der Behandlung des mCRPC zugelassen – und zwar bei Patienten, bei denen eine Mikrosatelliteninstabilität (MSI-H) nachzuweisen ist.29
In den letzten zehn Jahren erweiterte sich das Spektrum der medikamentösen Therapie, und es entstanden viele neue Kombinationsmöglichkeiten in der Therapie des metastasierten PCa. Zukünftige Studien werden sich zentral mit der Frage zu beschäftigen haben, für welchen Patienten welche Therapiekombination oder -sequenz am sinnvollsten ist.