Grundsätzlich ändern sich mit zunehmenden Alter mehrere Faktoren, welche die Entwicklung eines Diabetes bzw. eine gestörte Glukosetoleranz fördern: Es kommt zur Abnahme der Insulinproduktion und -sekretion, die Sensitivität der Betazellen gegenüber stimulierenden Peptiden wie GIP und GLP-1 nimmt ab und die pulsatile Insulinsekretion verläuft weniger geordnet. Sowohl Hyperglykämie als auch Hypoglykämie können sich beim geriatrischen Patienten anders präsentieren als bei jungen Diabetikern, teilweise zurückzuführen auf bereits existierende Komorbiditäten mit entsprechender Medikation bis hin zur Polypharmazie. Dies führt häufig zu einer verzögerten Diagnosestellung und Therapiebeginn.
Geriatrische Patienten mit Diabetes mellitus sind nach den gleichen Prinzipien wie jüngere Diabetiker zu behandeln, eine Individualisierung der Therapie und der Therapieziele ist jedoch mit zunehmenden Alter und abhängig von Komorbiditäten unbedingt notwendig. Wie nicht zuletzt aus der ACCORD- und ADVANCEStudie ersichtlich wurde, ist eine strenge glykämische Kontrolle nicht unbedingt mortalitätssenkend.
Blutzuckerziele: Neben den Langzeitkomplikationen des Diabetes mellitus ist bei geriatrischen Patienten besonders die Hypoglykämie problematisch, die mit Stürzen, Fortschreiten des kognitiven Abbaus, Hospitalisierung und erhöhter Mortalität einhergeht. Abhängig von Komorbiditäten und der Lebenserwartung kann bei älteren Patienten im Einzelfall auch ein HbA1c von 8 % als Zielwert gesehen werden, wobei eine chronische Erhöhung des Nüchternblutzuckers über 150 mg/ml bzw. postprandiale Werte über 300 mg/ml zur Intensivierung und Überprüfung der Therapie führen sollten.
Ernährung: Primäre Maßnahmen wie ausgewogene Ernährung, Mobilität und suffiziente Beherrschung der kardiovaskulären Risikofaktoren können grundsätzlich jedem Patienten empfohlen werden, wobei im Alter auch das Risiko der Mangelernährung zu beachten ist. So ist bei Patienten über 70 Jahren der Nutzen einer Gewichtsabnahme in keiner Studie eindeutig belegt worden.
Schulung: Gerade bei älteren Patienten konnte der Erfolg einer strukturierten Diabetesschulung gezeigt werden. Auch die familiäre Umgebung sollte in Therapie und Erkennung von hyperund hypoglykämischen Entgleisungen geschult werden.
Die medikamentöse Therapie orientiert sich an den zugelassenen Präparaten für jüngere Diabetiker, wobei natürlich besonders auf mögliche Nebenwirkungen, Komplikationen und Kontraindikationen zu achten ist. Ein Kreatinin im Normbereich bedeutet beim hochbetagten Patienten keinesfalls, dass auch die glomeruläre Filtrationsrate im Normbereich liegt!
Bewährt haben sich möglichst einfach zu haltende Therapieschemata mit Medikamenten mit niedrigem hypoglykämischen Potenzial wie Metformin oder kurz wirksamen Sulfonylharnstoffen ohne aktive Metaboliten (z. B. Gliclazid). Alphaglukosidasehemmer führen zwar zu einer guten Kontrolle der postprandialen Hyperglykämie, werden jedoch häufig wegen gastrointestinaler Nebenwirkungen abgesetzt. DPP-4-Inhibitoren erscheinen wegen der äußerst geringen Hypoglykämierate und der Gewichtsneutralität eine sinnvolle Therapie darzustellen, es fehlen jedoch noch ausreichende Langzeitdaten. Glitazone sollten auf Grund der berichteten Nebenwirkungen und Kontraindikationen mit äußerster Zurückhaltung eingesetzt werden. Zunehmender Verlust der Funktion der Betazellen resultiert oft in der Notwendigkeit einer Insulintherapie, sei es additiv als Langzeitinsulin oder als alleinige Therapieform. Auch hier gelten die bereits erwähnten Empfehlungen eines einfachen Therapieregimes, einer einfachen Handhabung der Spritzen und der unbedingt vorausgehenden entsprechenden Schulung, insbesondere auch der Blutzuckerselbstmessung.
ZUSAMMENFASSUNG: Bei geriatrischen Patienten mit Diabetes mellitus ist eine Individualisierung der Therapie und der angestrebten Ziele in besonderem Maße notwendig. Ein multidisziplinäres Vorgehen mit angepasster Therapie, geriatrischer Betreuung, Vermeidung einer Polypharmazie und diabetischer Schulung erscheint erstrebenswert. Es gilt: Therapiewahl und Festlegung der Ziele individuell gestalten, hypoglykämieinduzierende Medikamente vermeiden sowie Komorbiditäten und Polypharmazie beachten. Das Ethos „primum nihil nocere“ sollte gerade bei multimorbiden diabetischen Patienten nicht in Vergessenheit geraten.