Diabetes mellitus und koronare Herzkrankheit: Der Zusammenhang zwischen Diabetes mellitus und koronarer Herzerkrankung (KHK) ist gut etabliert, so ist das Risiko einer KHK bei Diabetikern 2–6-mal höher als bei Nichtdiabetikern und das kardiovaskuläre Ereignisrisiko eines Diabetikers so hoch wie bei Nichtdiabetikern, die bereits einen Infarkt durchgemacht haben. Der Zusammenhang zwischen gestörtem Glukosemetabolismus (Insulinresistenz) und KHK lässt sich zu einem frühen Zeitpunkt nachvollziehen: So zeigte eine Studie im JAMA aus dem Jahr 2004, dass metabolische Parameter wie postpran – diale Glukose oder HbA1c umso schlechter waren, je mehr Koronararterien bei Verdacht auf KHK dann tatsächlich stenosiert waren, wenngleich einzelne metabolische Parameter immer noch im klinischen Normbereich lagen bzw. andere Parameter wie Nüchternglukose in dieser Hinsicht keine Sensitivität aufwiesen. Vor diesem Hintergrund wären bessere Parameter zur Risikostratifizierung für eine rechtzeitige Therapie oder Therapieintensivierung gefordert (vgl. auch letzter Absatz).
Umfassende medikamentöse Therapie: Der prinzipielle Wert der medikamentösen Therapie bzw. der Therapieintensivierung wurde z. B. in der BARI-2D-Studie nachgewiesen, die zeigt, dass Diabetiker mit angiografisch nachgewiesener KHK von einer umfassenden bzw. hochtitrierten medikamentösen Therapie (Antidiabetika, Betablocker, ACE-Hemmer, ARB, Statine, Aspirin) über 5 Jahre so gut profitieren, dass eine frühe invasive Revaskularisation nicht notwendigerweise das Überleben in diesem Zeitraum verbessert (BARI 2D; NEJM 2009). Eine Metaanalyse von 5 randomisierten Studien zeigt als Benefit der antiglykämischen Therapie eine Reduktion des Infarktrisikos von Diabetikern um 17 % (Ray KK et al., Lancet 2009).
Und nachdem 90 % der Diabetiker übergewichtig sind und Übergewicht/Adipositas nicht zuletzt mit einer markant höheren Inzidenz der Herzinsuffizienz assoziiert ist, kann man auch auf körperliche Aktivität und Lebensstil- Modifikation als nicht-medikamentöse Intervention hinweisen.
Individuelle Zielwerte: Intensive Therapien werden in vielen Bereichen nicht zuletzt vor dem Hintergrund umgesetzt, dass Guidelines über die Jahre hinweg strikter wurden und Zielwerte (Blutdruck, LDL, HbA1c) nach unten gingen, womit sich mehrheitlich eine kardiovaskuläre Risikoreduktion erreichen lässt. Eine der Ausnahmen ist die ACCORD-Studie, in der die intensivierte Therapie zur Senkung der HbA1c-Werte auf unter 6 % und die Blutdrucksenkung auf Werte von systolisch unter 120 mmHg nicht erfolgreich waren (abgesehen von einer stärkeren Reduktion von Schlaganfällen bei sehr starker Blutdrucksenkung). Ein Vergleich der beiden Studien UKPDS (De-novo- Diabetiker, Risikosenkung durch intensive metabolische und blutdrucksenkende Therapie ohne unteren systolischen Schwellenwert) und ACCORD (5 Jahre vorbestehender Diabetes, kein Benefit durch noch stärkere Therapieintensivierung) zeigt aber, dass frühe und rezente Studien nicht wirklich vergleichbar sind: In der UKPDS-Studie war nach einem Follow-up von etwa 5–6 Jahren das HbA1c aller Patienten – auch der intensiv therapierten – deutlich über den HbA1c-Werten selbst der konventionell behandelten Patienten in der ACCORD-Studie. Allerdings war auch in der ACCORD-Studie in der intensiv behandelten Gruppe ein steter Anstieg des HbA1c von 7 % auf 9 % mit einem höheren Mortalitätsrisiko assoziiert. Mit anderen Worten: Sinkt das HbA1c, dann ist ein Benefit zu erwarten, in der intensiv behandelten Gruppe der ACCORDStudie war dies bei HbA1c-Werten < 7 % der Fall. Der Zielblutdruck für Patienten mit Diabetes ist derzeit nicht eindeutig festgelegt. Hier fließen die Daten der ACCORD-Studie ein, die zeigt, dass systolische Werte um 120 mmHg (unter intensiver Therapie) gegenüber Werten um 130 mmHg keine weitere Verbesserung brachten (Infarkt, kardiovaskulärer Tod) bzw. in Hinsicht auf Retinopathien sogar schlechter waren. Allein was Schlaganfälle betrifft, hatte die intensive blutdrucksenkende Therapie einen deutlichen Vorteil gegenüber der Standardtherapie mit einer Reduktion der Insultrate um 41 % (HR: 0,59; p = 0,01). In ähnlicher Weise wurde in einem dänischen Register bei 60.000 Patienten festgestellt, dass das 5-Jahres-Risiko für eine tödliche koronare Herzerkrankung bei Typ-2- Diabetikern mit systolischen Blutdruckwerten unter 110 mmHg signifikant steigt (wiederum mit Ausnahme der Schlaganfallrate, die bei tieferen Werten weiter zurückging). „Die Schlussfolgerung aus Studien wie ACCORD oder INVEST und einzelnen großen Registern besteht in der Feststellung, dass man den Blutdruck systolisch auf einen Bereich von 120 mmHg senken soll, nicht unter 110 mmHg, insbesondere nicht bei multimorbiden Patienten mit langer Diabetesdauer und kardialer Voranamnese.“ Wenn man berücksichtigt, dass ein Unterschreiten der Zielwerte einzelne Medikamente an die Grenze der Nutzen-Benefit- Ratio bringt (Nierenfunktion, Hyper- oder Hypokaliämie, Exsikkose, Obstipation, Beinödeme, COPD, Bradykardie, Inkontinenz), sind „individuelle Zielwerte je nach Gesamtsituation unter Berücksichtigung bestimmter Aspekte sinnvoll, wie beispielsweise dem Alter, dem späten Beginn der Erkrankung, der Multimorbidität, einer geringen Lebenserwartung, einer vorliegenden kardiovaskulären Erkrankungen oder langen Diabetesdauer.“ (Univ.- Prof. Dr. Martin Clodi)
Therapie bei Diabetikern mit Herzinsuffizienz: Zur Frage der Medikamentenwahl wurde von Professor Clodi darauf hingewiesen, dass Metformin (mit dem in der UKPDS-Studie eine Reduktion der Gesamt-, Diabetes- und Infarkt-assoziierten Mortalität nachgewiesen wurde) gemäß den Leitlinien der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG, modifiziert im Jahr 2010) nach wie vor die Therapie der Wahl ist, und dass bei Nichterreichen der HbA1c-Zielwerte weitere Medikamente zusätzlich empfohlen werden. Diskussionspunkte bei Metformin sind die Nierenfunktion und die fortgeschrittene Herzinsuffizienz. An einem Herzinsuffizienz-Kollektiv der MedUni Wien zeigt sich, dass Patienten mit NT-proBNPWerten > 400 pg/ml (Normalwert: < 125 pg/ml), sehr wohl profitieren und gegenüber Patienten ohne Metformin ein besseres ereignisfreies Überleben haben. Gleiches gilt interessanterweise auch für Patienten mit einer glomerulären Filtrationsrate von 30–60 ml/min, auch wenn Metformin in dieser Situation kontraindiziert ist. Festgehalten wurde auch, dass selektive Betablocker wie z. B. Bisoprolol bei Diabetikern mit Komorbiditäten bereits ab erhöhtem NT-proBNP-Screening-Werten indiziert sind.
NT-proBNP, ein besserer Marker zur Risikostratifizierung: Aus der Beobachtung, dass die geforderten Zielwerte bereits in vielen Studien erreicht wurden, dass viele Patienten unter intensiver Therapie mit sehr langer Diabetesdauer leben, während die Morbidität und Mortalität bei anderen Patienten immer noch hoch ist (30 % in der Steno-2-Studie bei Diabetespatienten mit Mikroalbuminurie trotz eines deutlichen Vorteils der intensiven Therapie, Follow-up 13 Jahre), lässt sich ableiten, dass nicht alle Patienten das gleiche Risiko haben und – hier schließt sich der Kreis – eine bessere Methode zur Risikostratifizierung wertvoll wäre. In diesem Sinn wurde an der Diabetes-Ambulanz der Meduni Wien NT-proBNP als Marker bei Diabetespatienten mit hohem Risiko für chronische Herzinsuffizienz untersucht. Dabei zeigte sich, dass 37 % der Diabetiker bei Erstvorstellung NT-proBNP-Werte > 125 pg/ml aufweisen, auch wenn etwa zwei Drittel dieser Patienten anamnestisch herzgesund sind. Über 15 Monate nachbeobachtet haben diese Patienten ein 15–25 % höheres Mortalitätsrisiko und über 5 Jahre ein dramatisch höheres Ereignisrisiko (Hülsmann M et al., Eur Heart Journal 2008). Aus einer rezenten Publikation geht hervor, dass NT-proBNP auch ein Prognosemarker für das kardiale Risiko älterer Patienten über 65 Jahre ist. Vice versa treten bei älteren Diabetikern mit Werten unter dem Cut-off von 125 pg/ml über einen Zeitraum von 2 Jahren so gut wie keine kardialen Ereignisse auf (Gleiches gilt auch für jüngere Patienten).1 Aus den neuen Daten geht weiters hervor, dass Diabetiker mit erhöhtem NT-proBNP bei gleichzeitiger Proteinurie einen deutlich schlechteren Verlauf haben als proteinurische Diabetiker ohne erhöhtem Marker. Letztlich hat sich NT-proBNP in dieser Untersuchung bei Diabetikern gegenüber dem „State of the Art“-Parameter Albuminurie als der bessere Prädiktor für kardiale Ereignisse herausgestellt.2 Vor diesem Hintergrund wurde im nächsten Schritt die PONTIAC-Studie durchgeführt (NT-proBNP Guided Prevention of Cardiac events in a Population of Diabetic Patients without a History of A Cardiac Disease), die 300 Patienten mit NT-proBNP-Werten > 125 pg/ml in zwei Gruppen unterteilte, die entweder eine gute Standardtherapie in ausgewählten Diabetes-Zentren erhielten (Gruppe 1) oder eine Titration von RAASAntagonisten und Betablockern in der Herzinsuffizienz-Ambulanz des AKH Wien (Gruppe 2). Die Studie ist noch nicht publiziert, man kann aber vorwegnehmend festhalten, dass dieses Vorgehen zu einer weiteren Verlaufsoptimierung beitragen kann – wie spätestens beim nächsten Meeting der AG Herzinsuffizienz, höchstwahrscheinlich aber früher berichtet wird.
* Vorsitz: Univ.-Prof. Dr. Richard Pacher, Univ.-Doz. Dr. Martin Hülsmann. Weitere Themen der Tagung der AG Herzinsuffizienz: Diuretika und Nierenersatz – therapie, pulmonale Hypertonie aus pneumologischer und kardiologischer Sicht, finden sich in den nächsten Ausgaben von UNIVERSUM INNERE MEDIZIN
1 NT-proBNP and cardiac events in older diabetic patients, Resl M et al., Eur J Cardiovasc Prev Rehabil 2011 Jun; 18(3):399-405
2 A comparison of NT-proBNP and albuminuria for predicting cardiac events in patients with diabetes mellitus. Clodi M et al., Eur J Cardiovasc Prev Rehabil 2011 Aug 19 [Epub ahead of print] Fachkurzinformation siehe Seite 99 UIM1_12_UIM1 29.02.12 17:33 Seite 50