Die positiven Resultate rezenter kardiovaskulärer Outcomestudien haben zu einem Paradigmenwechsel in der Diabetestherapie geführt. Die Kontrolle der Glykämie ist nicht mehr das alleinige Ziel der antidiabetischen Therapie, vielmehr sollen pleiotrope Wirkungen einzelner Substanzen bei Hochrisikopatienten genutzt werden, um kardiovaskuläre und renale Morbidität zu vermeiden und Mortalität zu senken. In den internationalen Leitlinien hat dies dazu geführt, dass sich die Diabetestherapie nach den kardiovaskulären und renalen Vorerkrankungen und/oder den vordergründigen Therapiezielen wie Gewichtsreduktion oder Meidung von Hypoglykämien richtet.
Die HbA1c-Ziele haben sich im Vergleich zu den vergangenen Leitlinien kaum geändert. Für neu manifestierte Typ-2-Diabetiker ohne wesentliche Komorbiditäten ist weiterhin ein HbA1c ≤ 6,5 % anzustreben.
Für den Großteil der Typ-2-Diabetiker ist ein HbA1c-Zielwert ≤ 7,0 ausreichend, insbesondere wenn das Therapieziel nicht komplikationslos erreicht werden kann und/oder mit einem signifikanten Hypoglykämierisiko einhergehen würde. Für multimorbide Patienten mit kurzer Lebenserwartung ist auch ein HbA1c-Ziel ≤ 8 % ausreichend, bei höheren HbA1c-Zielwerten muss von symptomatischen Hyperglykämien ausgegangen werden (ÖDG Leitlinien für die Praxis, Wien Klin Wochenschr 2019; https://link.springer.com/journal/508/onlineFirst [epub ahead of print]).
Die aktuellen, von EASD und ADA gemeinsam ausgearbeiteten Therapieempfehlungen (Davies MJ et al., Diabetologia 2018) sehen weiterhin Metformin als unumstrittene Firstline-Therapie zusätzlich zur Lebensstilmodifikation vor, sofern keine Unverträglichkeit oder Kontraindikation besteht. Letztere wurde – zumindest was die Einschränkung bei Niereninsuffizienz betrifft – in den letzten Jahren etwas gelockert. In Österreich ist Metformin erst bei einer GFR < 30 ml/min kontraindiziert, allerdings ist eine Dosisreduktion auf 1.000 mg/Tag ab einer GFR < 45 ml/min indiziert.
Sofern unter einer Monotherapie mit Metformin der HbA1c-Zielwert nicht erreicht werden kann, wird eine Therapieerweiterung mit einem oralen Antidiabetikum oder einem GLP-1-Rezeptoragonisten empfohlen. Die Auswahl des Wirkstoffes richtet sich ab diesem Zeitpunkt nach Komorbiditäten bzw. nach dem primären Therapieziel (Gewichtsabnahme, Vermeiden von Hypoglykämien) (Davies MJ et al., Diabetologia 2018).
Für alle kardiovaskulär vorerkrankten Patienten oder jene, die an einer Nephropathie leiden, sollte die Metformin-Monotherapie entweder mit einem SGLT-2-Inhibitor (Empagliflozin und Canagliflozin) oder einem GLP-1-Rezeptor Agonisten (Liraglutide > Semaglutide > Exenatide
LAR) mit positiven kardiovaskulären Outcomedaten erweitert werden. Die SGLT-2-Inhibitoren sollen insbesondere bei Patienten mit prädominanter Herzinsuffizienz und/oder Nephropathie eingesetzt werden, während bei Vorliegen anderer kardiovaskulärer Erkrankungen die genannten GLP-1-Rezeptoragonisten oder SGLT-2-Inhibitoren als gleichwertig eingestuft werden (Davies MJ et al., Diabetologia 2018). Wenn unter der dualen Kombinationstherapie
keine ausreichende glykämische Kontrolle erreicht wird, ist bei diesem Patientenkollektiv häufig eine Dreifachkombination, bestehend aus Metformin, SGLT-2-Inhibitor oder GLP-1-Rezeptoragonisten, sinnvoll. Alternativ oder als zusätzliche Therapieerweiterung wäre auch der Einsatz eines DPP-IV-Hemmers (sofern keine GLP-1-Rezeptoragonistentherapie vorliegt), Pioglitazon (sofern keine manifeste Herzinsuffizienz vorliegt), Sulfonylharnstoff (für die allerdings keine kardiovaskulären Sicherheitsdaten aus prospektiven randomisierten Studien vorliegen) und/oder Basalinsulin möglich. Für die langwirksamen Insulinanaloga Degludec und Glargin U100 liegen kardiovaskuläre Sicherheitsdaten vor, sodass diese Insuline bevorzugt im genannten Setting eingesetzt werden sollten (Davies MJ et al., Diabetologia 2018).
Für all jene Patienten, bei denen keine kardiovaskuläre oder renale Vorerkrankung vorliegt bzw. bekannt ist, sollen vorrangige Therapieziele formuliert werden. Für die Mehrzahl dieser Patienten wird eine Gewichtsreduktion als vorrangiges Ziel deffiniert werden. Bei diesem Therapieziel ist der Therapiealgorithmus jenem von kardiovaskulär bzw. renal Vorerkrankten sehr ähnlich: Als Secondline-Therapie sollen hier entweder SGLT-2-Hemmer oder GLP-1-Rezeptoragonisten eingesetzt werden. Eine Kombination der beiden genannten Wirkstoffklassen zusätzlich zur Metformintherapie ist bei weiterer Notwendigkeit einer Therapieeskalation sinnvoll.
Nur bei Versagen dieser Dreifachkombination sollen Substanzen wie DPP-IV-Hemmer (sofern kein GLP-1-Rezeptoragonist eingesetzt wurde), Sulfonylharnstoffe, Pioglitazon oder basales Insulin zum Einsatz kommen.
Für Patienten, bei denen es vorrangig ist, Hypoglykämien zu vermeiden, werden DPP-IV-Hemmer, GLP-1-Rezeptoragonisten, SGLT-2- Hemmer und Pioglitazon als gleichwertige Kombinationspartner zu Metformin eingestuft. Besonders Hypoglykämie-gefährdet sind neben kardiovaskulär bzw. renal Vorerkrankten, für die jedoch dieser Therapiealgorithmus nicht zur Anwendung kommen soll, auch geriatrische Patienten, jene mit kognitiver Beeinträchtigung oder Patienten mit positivem spezifischem Antikörperbefund.
Eine weitere Neuerung und Besonderheit in den aktuellen Guidelines ist, dass als erste injizierbare Therapie GLP-1-Rezeptoragonisten und nicht mehr Insulin zum Einsatz kommen sollte. Eine Ausnahme dafür stellen entgleiste Patienten dar, die sich mit Zeichen des Insulinmangels präsentieren: Für diese Patienten wird weiterhin der unmittelbare Beginn einer Insulintherapie empfohlen. Für alle anderen Patienten, bei denen mit oralen Antidiabetika keine ausreichende glykämische Kontrolle erreicht werden kann, wird der Beginn einer GLP-1-Rezeptoragonistentherapie empfohlen, sofern keine Kontraindikation oder Unverträglichkeit vorliegt.
Erst wenn auch nach dieser Therapieerweiterung keine ausreichende Blutzuckerkontrolle erzielt wird, wird der Beginn einer basalen Insulintherapie empfohlen, die je nach Wunsch bzw. Lebensform des Patienten mit einem prandialen Insulin oder durch Umstellung auf eine Mischinsulintherapie erweitert werden kann.
Zusammenfassend wird in den aktuellen EASD/ADA Guidelines basierend auf den Resultaten der rezent publizierten kardiovaskulären Outcome-Studien empfohlen, die medikamentöse Therapiewahl nach den bestehenden Vorerkrankungen oder den primär angestrebten Therapiezielen (z. B. Gewichtsreduktion, Meiden von Hypoglykämien) zu richten. Für eine Mehrzahl der Patienten bedeutet dies, dass SGLT-2-Hemmer oder GLP-1-Rezeptoragonisten als vorrangige Kombinationspartner zu Metformin eingesetzt werden sollen.