Die Ärzteschaft gerät in der Patientenversorgung zunehmend unter Druck, in ihr Handeln eine betriebswirtschaftliche Nutzenoptimierung in Klinik und Praxis mit einzubeziehen. Um sich dieser Entwicklung entgegenzustellen, formulierte die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) vor einigen Jahren den Ärzte Codex. Der Initiative haben sich mittlerweile zahlreiche medizinische Fachgesellschaften angeschlossen, darunter auch die ÖGIM.
„Die zunehmende Ökonomisierung in der Medizin macht auch vor Österreich nicht halt“, betont Mayer. Zwar unterscheide sich das medizinische Umfeld in Österreich von dem in Deutschland, und auch die Art und Weise, wie die medizinische Versorgung geregelt ist, sei eine andere (Stichwort: höherer Anteil an Privatversorgern und an von Versicherungen getragenen Spitälern); ökonomische Überlegungen und Regularien spielen aber auch hierzulande eine immer größere Rolle. „Daher unterstützt die ÖGIM den Ärzte Codex“, so Mayer. Der von der DGIM als „Gegenposition“ zum Ökonomisierungsprozess formulierte Ärzte Codex ist ein allgemeiner Verhaltenskodex ohne Lokalbezug, weshalb er laut Mayer von anderen Ländern problemlos übernommen werden könne. Neben der ÖGIM haben sich auch die Schweizer Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) sowie die Europäische Föderation für Innere Medizin (EFIM) der Initiative verschrieben. In Kürze soll es eine englischsprachige Version des Ärzte Codex geben.
„Der Ärzte Codex soll dabei helfen, die Rolle der Ärzte in unserem zunehmend ökonomisch orientierten Gesundheitssystem besser zu definieren“, erklärt Mayer. Dabei gehe es nicht
darum, Ökonomisierung per se als etwas Schlechtes darzustellen, denn selbstverständlich seien Ärzte verpflichtet, das ihnen zur Verfügung gestellte Geld vernünftig einzusetzen. „Was aber nicht passieren darf – und das ist einer der wichtigsten Punkte des Ärzte Codex – ist, dass Ärzte ihre medizinischen Entscheidungen nach ökonomischen Kriterien treffen“, so Mayer. „Der Arzt steht klar auf der Seite des Patienten, d. h. die Wahl der Therapie muss sich in erster Linie danach richten, was für den Patienten das Beste ist. Die Frage nach der Leistbarkeit ist auf einer anderen Ebene, unabhängig von der ärztlichen Entscheidung, zu diskutieren.“ Auch das andere Ende des Spektrums – das Problem der Überversorgung – wird im Ärzte Codex thematisiert. Dazu Mayer: „Die Durchführung medizinischer Leistungen, die fachlich unsinnig sind oder auf wirtschaftlichen Überlegungen basieren, ist strikt abzulehnen“. Als Beispiel nennt er den Versuch, durch eine hohe Frequenz von bestimmten, gut dotierten Leistungen vorgegebene Budgetziele zu erreichen; dieses Problem kann sich natürlich auch im niedergelassenen Bereich ergeben. Unter dem Motto „Medizin vor Ökonomie“ fasst der Ärzte Codex die wichtigsten Punkte für eine auf ärztlicher Ethik und Werten beruhende Haltung im Arbeitsalltag zusammen (Box). „Ärzte haben damit ein Werkzeug in der Hand, auf das sie sich in heiklen Situationen berufen können, und sie wissen, dass sie mit ihrer Haltung nicht alleine stehen“, so Mayer.
Der Ärzte Codex bietet Unterstützung für Ärzte aller Altersgruppen, sowohl im Krankenhaus als auch im niedergelassenen Bereich. „Für junge Kollegen im Krankenhaus hat er angesichts von Leistungsverdichtung und zunehmendem Dokumentationsaufwand besondere Relevanz“, weiß Mayer. Ökonomisierung und Dokumentationsnotwendigkeit gehen Hand in Hand, denn verrechnet werden könne nur, was nachweislich dokumentiert ist. Die Folge: ein massiv ansteigender Dokumentationsaufwand, der – so Mayer – primär an den jüngeren Kollegen hängen bleibe. Verbunden mit der Leistungsverdichtung – dieselbe Arbeit in weniger Zeit – führe das zu einer Veränderung des Berufsbildes und bei den Betroffenen nicht selten zu Frustration. Dazu kommen dann noch wirtschaftliche Vorgaben, die von den jungen Kollegen kritisch hinterfragt werden. „Der Ärzte Codex kann jungen Kollegen Sicherheit in ihrem ethisch begründeten Handeln geben“, hofft Mayer. „Je mehr das machen, desto wirksamer die Waffe.“
In Deutschland sei der Ärzte Codex bereits gut etabliert, so Mayer. Das merke man daran, dass die Ärzteschaft in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion um die Ökonomisierung der Medizin zunehmend ernst genommen wird – was sicherlich dem klaren, gemeinsam vertretenen Standpunkt zu verdanken sei. Für Ärzte besteht die Möglichkeit, sich zu dem Codex zu bekennen. Sie erhalten dann eine Urkunde, die ihre Verbundenheit zu dem Grundsatz „Medizin vor Ökonomie“ versinnbildlicht. „Die ÖGIM will den Ärzte Codex und dessen Vorteile auch in Österreich bekannt machen“, sagt ÖGIM-Präsident Mayer. Er ist überzeugt, dass „wir als Ärzte mit einem solchen klaren Statement eine bessere Ausgangsposition in der Ökonomisierungsdiskussion haben.“ Interessierte können sich auf der ÖGIM-Website über den Ärzte Codex informieren.