Vor allem die letzten Jahre haben einen Paradigmenwechsel in der Diabetologie gebracht – über lange Zeit hinweg war die entscheidende Frage, wie tief der HbA1c-Wert optimal zu senken ist, um Morbidität und Mortalität zu reduzieren. Dies versuchte man unter anderem in der ACCORD-Studie, dem Veterans Affairs Diabetes Trial (VADT) und der ADVANCE-Studie zu klären. Einen Wandel brachte die PROactive-Studie (Dormandy JA et al., Lancet 2005), in der erstmalig in einer großen prospektiven Studie untersucht wurde, ob ein spezifisches Antidiabetikum (Pioglitazon) einen Vorteil gegenüber anderen Substanzklassen zeigt. Die 2007 in einer Metaanalyse suspizierte Kardiotoxizität von Rosiglitazon führte schließlich dazu, dass seither alle neu zugelassenen Antidiabetika kardiovaskuläre Sicherheitsstudien durchlaufen müssen.
Bis zum Jahr 2007 dominierten im wesentlichen Metformin, Sulfonylharnstoffe und Insuline die Diabeteswelt. Für keine der Substanzen lagen (im Fall von Metformin und Sulfonylharnstoffen liegen auch weiterhin) keine großen randomisierten Studien vor, die einen klaren substanzspezifischen Vorteil eines der genannten Wirkstoffe unterstreichen würde. Der Sonderstatus von Metformin als First-Line-Medikament geht im Wesentlichen auf die UKPDS-Studie zurück, die aber eigentlich zum Ziel hatte, zu untersuchen, ob bei therapienaiven Patienten eine strenge glykämische Kontrolle jener einer damaligen Standardtherapie überlegen ist (UKPDS Group, Lancet 1998).
Erstmals kardiovaskulärer Benefit: 2005 wurde schließlich die PROactive-Studie publiziert, in der bei makrovaskulär vorerkrankten Typ-2-Diabetikern untersucht wurde, ob die Zugabe von Pioglitazon im Vergleich zu anderen damals erhältlichen Antidiabetika einen Benefit hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse bringt (Dormandy JA et al., Lancet 2005). Während der kombinierte primäre Endpunkt sich nicht signifikant unterschied, zeigte sich im sekundären Endpunkt, definiert als Gesamtmortalität, nichttödlicher Myokardinfarkt und Schlaganfall, eine signifikant reduzierte Ereignisrate in der mit Pioglitazon behandelten Gruppe. Diese Ergebnisse zeigten erstmalig in einer prospektiven Studie eine kardiovaskuläre Überlegenheit einer Substanz (Pioglitazon). In diesem Fall war der Vorteil unter anderem auf die günstigen Eigenschaften auf das Lipidprofil und die insulinsensibilisierende Wirkung zurückzuführen. Trotz der positiven Daten blieb die Verschreibungshäufigkeit international überschaubar. Letzteres war vermutlich Folge der gehäuften Frakturrate vor allem bei postmenopausalen Frauen, einer allerdings nach Jahren widerlegten suspizierten erhöhten Blasenkrebsrate und der erhöhten Hospitalisierungsrate bei manifester Herzinsuffizienz.
Ähnlich wie die PROactive-Studie wurde die ORIGIN-Studie auf Eigeninitiative der Sponsoren durchgeführt. In ORIGIN wurde der frühe Einsatz von Insulin glargin bei Prädiabetes bzw. manifestem Diabetes mellitus Typ 2 untersucht, und dabei wurde die Sicherheit, aber kein Vorteil einer frühen Insulinisierung mit Insulin glargin gezeigt.
Eine von Nissen et al. (Nissen SE et al., NEJM 2007) publizierte Metaanalyse über die kardiovaskuläre Sicherheit von Rosiglitazon, in der ein erhöhtes Myokardinfarktrisiko und eine erhöhte kardiovaskuläre Mortalität diskutiert wurden, führte schließlich dazu, dass die FDA für die Neuzulassung von Antidiabetika jeweils kardiovaskuläre Sicherheitsstudien forderte. In diese müssen laut Vorgabe Patienten mit besonders hohem kardiovaskulärem Risiko eingeschlossen werden (John M et al., Ind Heart J 2016).
DPP-4-Hemmer: Als Folge dieser Forderung wurden entsprechende Studien zu diversen DPP-4-Hemmern durchgeführt, die jeweils eine kardiovaskuläre Sicherheit der Substanzen Sitagliptin (Green GB et al., NEJM 2015), Alogliptin (White WB et al., NEJM 2013), Linagliptin (Rosenstock J et al., JAMA 2018) und Saxagliptin (Scirica BM et al., NEJM 2013) zeigten, im Falle von Saxagliptin mit dem Schönheitsfehler einer erhöhten Hospitalisierungsrate wegen Herzinsuffizienz.
Ein ähnliches Ergebnis brachten die kardiovaskulären Sicherheitsstudien der beiden GLP-1-Rezeptoragonisten Lixisenatid (Pfeffer MA et al., NEJM 2015) und Exenatid LAR (Holman RR et al., NEJM 2017) sowie des Langzeitinsulins Degludec (DEVOTE) (Marso SP et al., NEJM 2017).
SGLT-2-Hemmer: Umso positiv überraschender waren die Ergebnisse der EMPA-REG Outcome-Studie (Zinman B et al., NEJM 2015): In dieser Studie zeigte sich, dass Patienten mit manifester Atherosklerose bei vergleichbarer HbA1c-Senkung von einer Empagliflozingabe hinsichtlich kardiovaskulärer Morbidität, kardiovaskulärer Mortalität und Gesamtmortalität in eindrucksvoller Art profitieren. Besonders bemerkenswert in dieser Studie war eine deutlich verminderte Hospitalisierungsrate aufgrund einer Herzinsuffizienz. Zudem zeigte sich ein unerwarteter renoprotektiver Effekt von Empagliflozin. Die Gründe für die kardialen und renalen Effekte sind bis dato nicht gänzlich geklärt.
In der 2 Jahre später publizierten kardiovaskulären Outcome-Studie von Canagliflozin (Neal B et al., NEJM 2017) zeigte sich ebenfalls eine signifikante Reduktion des primären Endpunktes, bestehend aus kardiovaskulärer Mortalität, nichttödlichem Myokardinfarkt und nichttödlichem Schlaganfall, allerdings konnte die kardiovaskuläre Mortalität in dieser Studie durch Canagliflozin nicht signifikant gesenkt werden. Unklar ist auch die Ursache für die erhöhte Amputationsrate vorwiegend bei Patienten mit vorbestehender PAVK in dieser Studie.
Erst kürzlich wurden die Ergebnisse der DECLARE-TIMI-Studie publiziert (Wiviott SD et al., NEJM 2018), in der sowohl Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko als auch solche mit bereits manifester Atherosklerose untersucht wurden. Im primären Endpunkt, bestehend aus kardiovaskulärer Mortalität und nichttödlichem Myokardinfarkt bzw. Schlaganfall, konnte zwar die Sicherheit, aber keine Überlegenheit von Dapagliflozin im Vergleich zu anderen Antidiabetika gezeigt werden. Im koprimären Endpunkt bestehend aus kardiovaskulärer Mortalität und Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz zeigte sich eine Überlegenheit von Dapagliflozin.
GLP-1-Rezeptoragonisten: Ebenso wie bei den SGLT-2-Hemmern zeigte sich auch eine Heterogenität hinsichtlich kardiovaskulärer Effekte bei den GLP-1-Rezeptoragonisten. Während für Lixisenatid und Exenatid LAR keine signifikante kardiovaskuläre Überlegenheit gegenüber anderen Substanzen bewiesen werden konnte, zeigte sich in der LEADER-Studie (Marso SP et al., NEJM 2016) eine signifikante Überlegenheit von Liraglutid gegenüber anderen Substanzen im primären Endpunkt (kardiovaskuläre Mortalität, nichttödlicher Myokardinfarkt oder Schlaganfall), in der Gesamtmortalität und kardiovaskulären Mortalität. Ähnlich wie in der EMPA-REG Outcome-Studie fand sich zudem ein renoprotektiver Effekt in der mit Liraglutid behandelten Patientengruppe. Für den einmal wöchentlich zu verabreichenden GLP-1-Agonisten Semaglutid konnte in der SUSTAIN-6-Studie (Marso SP et al., NEJM 2016) ebenfalls eine Überlegenheit im primären Endpunkt, der analog zur LEADER-Studie gewählt war, demonstriert werden.
Die genannten Studien haben 2018 schließlich dazu geführt, dass die internationalen Guidelines zur Behandlung eines Diabetes mellitus Typ 2 grundlegend geändert wurden. Für kardiovaskulär vorerkrankte Patienten wird nach Metformin als Zweitlinientherapie entsprechend den Studienergebnissen nun entweder ein SGLT-2-Hemmer oder ein GLP-1-Rezeptoragonist mit positiver Outcome-Studie (Empagliflozin, Canagliflozin bzw. Liraglutid > Semaglutid > Exenatid LAR) empfohlen; im weiteren Krankheitsverlauf können, sofern keine Kontraindikation besteht, diese beiden Substanzklassen auch kombiniert werden. Substanzen mit Hypoglykämierisiko sollen bestmöglich vermieden werden, als erste injizierbare Therapie sollen nicht wie bisher Insulin, sondern bei einem Großteil der Patienten GLP-1-Rezeptoragonisten eingesetzt werden. Für Patienten ohne manifeste Atherosklerose, für die eine Gewichtsabnahme vorrangig ist, sieht der ADA/EASD-Algorithmus (Davies MJ et al., Diabetologia 2018) eine ähnliche Vorgehensweise vor: nach Metformin sollen SGLT-2-Hemmer oder GLP-1-Rezeptoragonisten verwendet werden.
Resümee: Die neuen ADA/EASD-Guidelines haben einen Paradigmenwechsel in der Diabetologie gebracht: Nicht mehr alleinig das Erreichen eines vordefinierten HbA1c-Zielwertes wird gefordert, sondern vielmehr der Weg dorthin – durch Nutzung der pleiotropen Wirkungen einzelner Antidiabetika.