Erinnern Sie sich? Im Frühsommer des letzten Jahres drohte das Verhältnis zwischen Ärzteschaft und Sozialversicherung zu brechen und damit wankte ein Grundpfeiler der medizinischen Versorgung in Österreich. Das kam nicht über Nacht, hatten sich doch schon seit Jahren Spannungen zwischen den Vertragspartnern aufgebaut, die in der Vertragskündigung Ende September 2009 seitens der Ärzteschaft gipfelten. Ich hatte das Kündigungsschreiben zu unterfertigen. Die Differenzen in der Betrachtung der Zukunft waren zu groß. Dabei ging es nicht nur um das liebe Geld. Wenn es auch ein erklärtes Ziel der SVA war, die Arzthonorare an jene der Gebietskrankenkasse anzugleichen. Das konnte für uns aber nicht in Frage kommen. Auch deren Vorgangsweise im Umfeld des Versuches, eine „Versicherung der Selbstständigen“ über die Fusion der Bauernkrankenkasse mit der SVA zu bilden, belastete das vertragspartnerliche Verhältnis erheblich. Die damaligen politischen Kanäle, wieder begegnete mir „Schwarz-Blau“ in Reinkultur, sollten gegen die Vorstellungen des Vertragspartners ÖÄK genutzt werden. Sicher hatten auch die leitenden Funktionäre in Wiens Wiedner Hauptstraße die Grenzen unserer Geduld falsch eingeschätzt und waren letztlich auch nicht in der Lage, die verbleibenden Monate bis zum Eintritt des vertragslosen Zustandes für vertrauensbildende Maßnahmen zu nutzen. Ganz im Gegenteil wurde mit öffentlichen Aussagen und über halbwahre Informationsschreiben an die Kollegenschaft das Klima weiter angeheizt.
So kam der 1. Juni und mit diesem die erste vertragslose Zeit seit den Sechzigerjahren. Sie dauerte elf Tage, für unsere Kritiker – und solche finden sich derart spannenden Zeiten rasch – viel zu kurz. Aber auch in heutiger Betrachtung bin ich noch immer der Meinung, dass eine Verlängerung des Konfliktes nur jenen geholfen hätte, die noch gekränkt von den Vorgängen im Jahr 2008 mit Ärztestreik, Großdemonstrationen und Koalitionsbruch nach Revanche mit der Umsetzung ihrer damaligen Ziele sannen. Jedenfalls war die gesundheitspolitische Landschaft tatsächlich erschüttert. Die veröffentlichte Meinung reagierte verständnislos, hatte aber unsere steten Warnungen in den letzten Monaten nicht ernst genommen. Man glaubte bis zuletzt an eine „österreichische Lösung“ in letzter Sekunde. Jetzt gab es Interventionen von allen Seiten. Als Ergebnis einer langen Verhandlungsnacht konnte am 11. Juni eine Kompromisslösung präsentiert werden, was die Vertragslosigkeit zwar beendete, aber natürlich bei weitem nicht das schwer ramponierte Verhältnis zwischen ÖÄK und SVA klärte. Dazu brauchte es viel mehr – viel mehr Zeit und viel mehr gegenseitigen Respekt. Dass es in der Sozialversicherung auch zu personellen Konsequenzen kam, hat der Vertrauensbildung sicher gut getan. Wenn vordergründig auch Strukturen aufeinander prallen, sind es doch Menschen, die solche Strukturen bilden und leiten.
Der neue Weg war anfangs noch holprig. Abrechnungsungereimtheiten, Interpretationsprobleme und sogar die ärzteseitig geführte Kündigung der Einzelverträge aller Kassendermatologen in Oberösterreich ergab ständigen Gesprächs- und Klärungsbedarf. Aber alle Klippen konnten umschifft werden und das nun deutlich ruhigere Fahrwasser erlaubte uns nun auch gemeinsame Zielsetzungen. Das mündete in einen überarbeiteten Laborkatalog und der Betonung der Gesprächsmedizin. Das ließ einen Gruppenpraxisvertrag ohne jeden Honorarabschlag zu. Das erlaubte die Aufnahme von kinderpsychiatrischen Leis – tungen in den Honorarkatalog. Und brachte eine weitere Neuerung und Einmaligkeit in Österreichs Sozialversicherungswesen: die Entwicklung von Gesundheitszielen in fünf Vorsorgebereichen (Alkohol, Nikotin, Bewegung, Körpergewicht und Blutdruck), bei deren Einhaltung der Versicherte belohnt wird. Er spart sich dann nämlich den halben Selbstbehalt von ärztlichen Leistungen. Wenn man an die medizinische Sinnhaftigkeit von Vorsorge glaubt, dann braucht es zur Anhebung der Teilnehmerzahl ein Belohnungssystem. So sieht es die Bundeskurie und auch die SVA. Ergänzt wird diese neue Vorsorge über ein Call-Recall-System, also eine Teilnahmeaufforderung, für alle Versicherten.
So glaube ich 2012 nicht ohne Stolz davon ausgehen zu können, dass die Wunden der Vergangenheit zumindest vernarbt sind und eine von gegenseitigem Respekt getragene neue Vertragspartnerschaft die Zukunft bestimmen wird.