Zumal diese Kunst sich doch nicht als messbar, nicht vergleichbar, nicht evaluierbar, nicht kontrollierbar und sich schon gar nicht als steuerbar erweist. Ich aber – als Arzt seit mehr als 30 Jahren am Patienten tätig – habe dazu eine eigene Meinung.
Für mich bedeutet ärztliche Kunst nicht, offensichtlich die richtige Medizin oder den rechten Eingriff zu verordnen. Das bleibt für uns angesichts unserer Ausbildung und Kompetenz selbstverständlich. Es zählt nicht als Kunst, sich durch persönliches Engagement unter Opferung der Freizeit fort- und weiterzubilden, um am Puls einer sich stetig weiterentwickelnden Wissenschaft zu bleiben. Es zählt auch nicht als Kunst, durch ein langes, intensives, aufreibendes Studium die Basis mit Erlangung eines akademischen Grades gelegt zu haben.
Vielmehr liegt die Kunst darin, dem Ängstlichen in seiner Krankheit zur rechten Zeit mit den richtigen Worten Mut zuzusprechen, dem Schmerzgeplagten neben Injektionen, Infusionen oder Tabletten letztlich Hoffnung auf ein Ende seines Leides zu vermitteln; den Hoffnungslosen und tief Trauernden aber in deren schwersten Stunden Trost zu spenden. Und dabei immer die volle Verantwortung zu tragen – wenn auch an der Grenze einer engen Legalität zu handeln oder zu lassen angezeigt ist. Wenn also Unsicherheit, Sorge, Angst, Schmerz, ja der nahende Tod den Menschen und seine Nächsten betreffen, wenn mit Sensibilität, Humanität und Expertise ohne Angst die Verantwortung zu übernehmen und zu handeln gefragt ist – bei Tag und bei Nacht, zu Erde, zu Luft und zu Wasser. Hier versagen institutionelle Richtlinien und Kontrollen. Hier weiß der schmerzlich Betroffene, fühlen seine nächsten Verwandten und Freunde: das ist ärztliches Handeln, ärztliche Kunst!
Ich glaube aber auch fest, dass wenn wir Ärztinnen und Ärzte in dieser so restriktiven, regulierten, mit zahlreichen sinnlosen Auflagen und Verordnungen versehenen Welt weiter und beseelt durch ärztliche Empathie unsere Pflicht erfüllen, ist auch das eine Kunst für sich. Wenn wir trotz verpflichtender allgemeiner Behandlungspfade und irrationaler ökonomischer Auflagen noch immer den Menschen, das Individuum als Einzelschicksal sehen und nicht – wie offiziell gewünscht – die Krankheit, die Diagnose oder den ICD-Code behandeln, dann ist auch das eine große Leistung, wenn nicht gar eine Kunst. Auch noch zusätzlich behindert durch Verordnungseinschränkungen, Bewilligungspflicht, ein rotgelb- grünes Boxensystem oder Generika-Raten, Personalrestriktion und Maulkorberlässe in den Spitälern – und all das bei einer Bevölkerungsentwicklung, die uns mehr und ältere Patienten versorgen und weniger Ärzte das System sichern lässt.
Trotz allem machen wir noch immer unsere Arbeit, tun unsere Pflicht und übernehmen jede Verantwortung. Wenn auch so mancher das nicht als Kunst sieht, die Menschen vertrauen uns. Politiker, Ökonomen und selbsternannte Gesundheitsexperten beneiden uns. Das ist gut so. Wir sind weiter auf dem richtigen Weg!