Seit Jahren werden diverse Pathogene, genetische Faktoren wie IL-23 oder NOD- 2 und Umweltfaktoren in der Entstehung und Aufrechterhaltung der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung diskutiert. NSAR inklusive Acetylsalicylsäure (ASS) inhibieren protektive Prostaglandine und führen über eine Veränderung der „tight junctions“ zu einer erhöhten mukosalen Permeabilität. Über diese Mechanismen wird die Mukosa empfindlich gegenüber Bakterien und Toxinen, sodass es zu einer chronischen Entzündungsreaktion kommt.
Seit langem wird eine Assoziation zwischen der NSAR-Einnahme und der klinischen Verschlechterung der CED diskutiert. Simon et al. präsentierten bei der DDW 2010 Daten einer prospektiven europäischen Kohortenstudie über Aspiringebrauch und Entwicklung von MC und Colitis ulcerosa (CU). Eine Kohorte von 138.239 Männern und Frauen aus Schweden, Dänemark und der BRD mit einem Alter zwischen 30–74 Jahren wurde zwischen 1993 und 1997 eingeschlossen. 37 Patienten entwickelten einen MC und 93 Patienten eine CU nach einer medianen Nachbeobachtung von 4,5 Jahren. Die regelmäßige Einnahme von ASS erhöhte das Risiko, einen MC zu entwickeln, fast 7-fach (OR = 6,84). Bei Patienten ohne chronischen Nikotinkonsum erhöhte sich das Risiko, unter regelmäßiger ASS-Einnahme einen MC zu entwickeln, fast 10-fach (OR = 9,38). Zwischen ASS-Konsum und der Entwicklung einer CU konnte keine signifikante Korrelation festgestellt werden. Die Autoren kamen zum Ergebnis, dass ASS in der Ätiologie des MC involviert sein könnte, unklar waren die Wechselwirkungen zwischen Nikotinkonsum und ASS-Gebrauch. Weitere epidemiologische Studien sind notwendig, um den Verdacht des kausalen Zusammenhangs zwischen ASS-Einnahme und der Entstehung eines MC besser zu verstehen.
Derzeit kann aus den vorliegenden Daten noch nicht auf eine kausale Assoziation zwischen der ASS-Einnahme und der Entwicklung eines MC geschlossen werden. Nur einer von 2.000 Patienten, die ASS einnehmen, entwickelt einen MC und der Zusammenhang zwischen der ASS-Einnahme und der Entwicklung eines MC ist nicht bewiesen. Es stellt sich die Frage, ob die ASS-Einnahme nicht ein Marker eines anderen Risikofaktors für die Entwicklung eines MC ist. Nach unserem Ermessen sollten Patienten, die eine Sekundärprophylaxe mit ASS benötigen, diese weiter wie bisher einnehmen. Ein episodischer Gebrauch von ASS scheint vertretbar, solang der kausale Beweis zwischen der ASSEinnahme und der Entwicklung eines MC nicht definitiv erbracht ist.
Seit Jahren wird ein Zusammenhang zwischen der intestinalen Mikroflora, bakteriellen Infektionen und der Verwendung von Antibiotika und der Entstehung von CED diskutiert. Ausgehend von einer genetischen Prädisposition dürfte es zu einer aberranten Immunantwort des Gastrointestinaltrakts auf Umweltfaktoren kommen. Durch eine Imbalance der normalen intestinalen Bakterienflora mit Überwiegen pathogener Keime und Verlust möglicher protektiver Bakterien kommt es laut der „Dysbiosis- Hypothese“ zur Krankheitsentwicklung.
Antibiotika in der Kindheit: Ein interessantes Abstract wurde bei der DDW 2010 präsentiert, die Studie ist mittlerweile im Volltext im „American Journal of Gastroenterology“ erschienen: „Assoziation zwischen der Antibiotikaverschreibung im 1. Lebensjahr und dem Risiko der Entwicklung einer CED“. Shaw und Kollegen untersuchten, ob der frühzeitige Gebrauch von Antibiotika mit der Entwicklung von CED in der Kindheit assoziiert ist. In einer populationsbasierten Fallkontrollstudie wurde eine CED-Datenbank der Universität von Manitoba ausgewertet. Zwischen 1996 und 2008 wurden 36 Patienten und 360 Kontrollen korreliert nach Alter, Geschlecht und geographischer Herkunft untersucht. Der Antibiotika-Gebrauch im 1. Lebensjahr zwischen Patienten mit CED und Kontrollpersonen wurde verglichen und ausgewertet. Das mittlere Alter bei Diagnose war 8,4 Jahre. 58 % der Patienten (21/36) wurde ein Antibiotikum im 1. Lebensjahr verschrieben, verglichen mit 39 % der Kontrollpersonen. Bei 75 % der CED-Patienten wurde ein MC diagnostiziert. Patienten, denen 2–4 Antibiotika verschrieben wurden, hatten ein 3-fach erhöhtes Risiko, Patienten mit mehr als 5 Verschreibungen ein 5-fach erhöhtes Risiko für die Entstehung eines MC. Diese Ergebnisse legen einen Zusammenhang zwischen der Frequenz der Antibiotikaverordnungen und der Entstehung eines MC nahe. Eine Korrelation zwischen Antibiotikagebrauch im 1. Lebensjahr und der Entstehung einer CU konnte statistisch nicht errechnet werden, dürfte aber durch die kleine Zahl der Patienten mit CU in der vorliegenden Studie bedingt sein. Die Autoren konnten somit eine signifikante Assoziation zwischen Antibiotikaverschreibung im 1. Lebensjahr und der Entstehung eines MC nachweisen. Im Jahr 2004 stellten Card und Kollegen (Gut) in einer englischen Kohorte eine signifikante Assoziation zwischen Auftreten eines MC bei Erwachsenen und Antibiotikaverbrauch 2–5 Jahre vor der Diagnose des MC fest. Hildebrand und Kollegen berichteten 2008 (Scandinavian Journal of Gastroenterology) von einer signifikanten Assoziation zwischen der Diagnose Pneumonie vor dem 5. Lebensjahr und späterer Entwicklung eines MC in der Kindheit. Vor wenigen Monaten präsentierten Hviid und Kollegen (Gut 2011) eine dänische Kohorte mit 50 MC-Patienten und 67 CU-Patienten. Bei Antibiotika-Verwendern wurde 1,84-mal häufiger die Diagnose einer CED als bei Antibiotika- naiven Patienten gestellt. Statistisch wurde eine 12%ige Risikoerhöhung für die Diagnose einer CED für jede Antibiotikatherapie errechnet. Das Risiko für die Diagnose einer CED war in den ersten 3 Monate nach der Antibiotikatherapie am höchsten.
Antibiotika beeinflussen die intestinale Mikroflora somit wohl kurz- und langfristig. Möglicherweise kommt es dadurch zu einem überproportionalen Wachstum von potenziell pathogenen Keimen, die die Entwicklung einer CED bei genetisch prädisponierten Individuen fördert. Der Verlust von natürlichen Bakterienpopulationen durch Antibiotikatherapie könnte mit der Reifung des neonatalen gastrointestinalen Immunsystems interferieren und eine verminderte Toleranz gegenüber pathogenen Keimen bedingen und damit die Entwicklung einer CED triggern.
Die aus den vorliegenden Daten abzuleitende Assoziation zwischen der Verwendung von Antibiotika und der Entwicklung einer CED im Kindesalter scheint interessant, ob daraus in Zukunft therapeutische Konsequenzen abzuleiten sind, muss aber derzeit offen bleiben. Auf jeden Fall sollten Antibiotika im Kindesalter nicht unkritisch verschrieben werden.
FACT-BOX
Die regelmäßige ASS-Einnahme scheint
eine gewisse Assoziation mit dem gehäuften
Auftreten von MC zu besitzen. Ein kausaler
Zusammenhang zwischen der ASSEinnahme
und der Entstehung eines MC ist
aber derzeit nicht bewiesen.
Antibiotikagebrauch in der Kindheit scheint
das spätere Auftreten eines MC zu begüns –
tigen.
Die Veränderung der intestinalen Mikroflora
dürfte dafür die entscheidende Rolle spielen.
Therapeutische Konsequenzen lassen
sich derzeit (noch) nicht ableiten.