Ausgewählte Highlights vom Europäischen Diabeteskongress


Seit einigen Jahren schon ist die Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD) die weltweit größte dia­betologische Fachtagung. Nach Berlin kamen in diesem Jahr ca. 18.000 Delegierte aus aller Welt. Ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch das Kongressprogramm zog, war die Individualisierung der therapeutischen Maßnahmen, wie sie von der EASD und der American Diabetes Association (ADA) in ihrem gemeinsamen Positionspapier propagiert wird (Inzucchi SE et al., Diabetes Care/Diabetologia 2012). Auffallend war aber auch die Vielzahl neuer Antidiabetika, die sich gegenwärtig in Entwicklung befinden.

Ein kleiner Querschnitt aus der Vielzahl der präsentierten Abstracts soll im Folgenden kurz dargestellt werden.

Planung diätetischer Maßnahmen

In der Sitzung über den Einfluss von Ernährungsmaßnahmen auf die Körperzusammensetzung untersuchten H. Kahleova et al. (Institute for Clinical and Experimental Medicine, Prag, Tschechien), welchen Effekt die Anzahl der Mahlzeiten auf das Körpergewicht, das HbA1c und den Energieverbrauch in Ruhe haben (Abstract 73-OP). Es wurden 54 Patienten mit Typ-2-Diabetes randomisiert und in einem Cross-over-Design zwei unterschiedlichen hypokalorischen Diäten (Defizit: –500 kcal/Tag) für jeweils 12 Wochen unterzogen. In der ersten Gruppe wurde die tägliche Nahrungsmenge auf 6 Mahlzeiten aufgeteilt, währenddessen in der zweiten Gruppe zwei Mahlzeiten pro Tag vorgeschrieben waren. Das Körpergewicht sank stärker in der Gruppe mit nur 2 täglichen Mahlzeiten (–3,7 kg vs. –2,0 kg). Weiters konnten die Nüchternglukose und der Nüchtern-C-Peptid-Spiegel in der Gruppe mit nur 2 täglichen Mahlzeiten besser gesenkt werden. Der gemessene Energieverbrauch in Ruhe war in der Gruppe mit 6 Mahlzeiten pro Tag stärker erniedrigt.

Fazit: Die Ergebnisse dieser Studie weisen darauf hin, dass weniger und dafür größere Mahlzeiten sich besser auf den Stoffwechsel auswirken als häufigere und kleinere Portionen.

Körpergewicht in der Schwangerschaft

A. Barquiel Alcalá et al. (Universitätshospital La Paz, Madrid, Spanien) untersuchten den Einfluss verschiedener Faktoren auf den Blutdruck während der Schwangerschaft bei Frauen mit Gestationsdiabetes (Abstract 84-OP). Insgesamt 2.568 Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes wurden beobachtet. In einer multivariaten Analyse zeigte sich, dass die glykämische Kontrolle (HbA1c), der Body Mass Index (BMI) vor der Schwangerschaft und ebenso die Gewichtszunahme während der Schwangerschaft unabhängige Prädiktoren für die Entwicklung einer schwangerschaftsassoziierten Hypertonie waren. Die HbA1c-Werte im Verlauf der Schwangerschaft waren stärkere Prädiktoren als die Ergebnisse des oralen Glukosetoleranztests (OGTT) oder die Nüchternglukose.


Fazit: Die Daten zeigen, dass die Entstehung eine Hypertonie während einer Schwangerschaft bei Frauen mit Gestationsdiabetes von mehreren voneinander unabhängigen Faktoren, nämlich HbA1c, BMI und einer starken Gewichtszunahme beeinflusst wird.

Vitamin D mit Gestations­diabetes assoziiert?

Widersprüchliche Daten werden in Bezug auf den Vitamin-D-Spiegel und den Glukosestoffwechsel diskutiert. Eine rezente Übersichtsarbeit und Metaanalyse gibt einen genaueren Einblick in die derzeitige Datenlage (Poel YH et al., Eur J Intern Med 2012).
Aktuell zu diesem Thema präsentierte die Forschergruppe um M. Lacroix (Sherbrooke University, Quebec, Kanada) ihre Studienergebnisse (Abstract 82-OP): Eingeschlossen wurden 655 Schwangere, bei denen im ersten Trimester kein Diabetes jeglichen Typs vorlag. Im Rahmen eines oralen Glukosetoleranztestes im zweiten Trimester (24. bis 28. Schwangerschaftswoche) manifestierte sich bei 54 Studienteilnehmerinnen ein Gestationsdiabetes (Inzidenzrate: 8,2 %). Um eine mögliche Assoziation mit einem Vitamin-D-Mangel zu untersuchen, wurde im 1. Trimester (6. bis 13. Schwangerschaftswoche) der 25-OH-Vitamin-D-Spiegel bestimmt. Als potenzielle Einflussfaktoren wurden das Alter, die Jahreszeit zum Zeitpunkt der Blutabnahme, eine Vitamin-D-Supplementierung sowie anthropometrische Daten (Bauchumfang, BMI, Körperfettanteil) erhoben. Die Autoren konnten zeigen, dass niedrigere Vitamin-D-Spiegel im ersten Trimester mit einem höheren Risiko für die Entwicklung eines Gestationsdiabetes assoziiert waren. So hatten 37 % der Gestationsdiabetikerinnen einen Vitamin-D-Mangel ( 30 ng/ml). Dagegen hatten jeweils 25,8 % der Schwangeren ohne Gestationsdiabetes einen Vitamin-D-Mangel bzw. eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung. Auch nach Korrektur für Alter, Jahreszeit, Vitamin-D-Supplementierung und anthropometrischen Daten blieb ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Gestationsdiabetes bestehen.
Große Interventionsstudien, wie sie derzeit in einem EU-Projekt unter der Koordination von Prof. G. Desoye an der Universitätsklinik Graz durchgeführt werden (Vitamin D And Lifestyle Intervention for Gestational Diabetes Mellitus Prevention, DALI), müssen in weiterer Folge klären, ob es einen kausalen Zusammenhang zwischen einem Vitamin-D-Mangel und der Entwicklung eines Gestationsdiabetes gibt und ob dieses Risiko durch Vitamin-D-Supplementierung beeinflusst werden kann.

Fazit: Die Daten zeigen, dass ein Vitamin-D­Mangel im ersten Trimester mit einem höheren Risiko für Gestationsdiabetes assoziiert ist.

Neue Therapeutika am Horizont

Derzeit sind über 140 neue Therapeutika für den Einsatz bei Typ-2-Diabetes in Entwicklung. Einen Überblick über therapeutische Strategien im Fokus der pharmazeutischen Hersteller gab R. DiMarchi (Indiana University, Bloomington, USA) in der Session „Oral therapies: novel agents“.
Von Glukagon-Inkretin-Hybriden erhofft man sich einen synergistischen Effekt auf die Fettmasse bei geringerem diabetogenem Risiko als unter reinen Glukagonanaloga. Mit einem GLP-1/GIP-Koagonisten konnte das Körpergewicht im Tierexperiment innerhalb weniger Wochen um fast 15 % gesenkt werden. Präklinische Studien zeigen auch einen antiglykämischen Effekt und potenziell weniger gastrointestinale Nebenwirkungen. Ein weiterer im Tiermodell erfolgreicher Ansatz zur Gewichtsreduktion ist die Kombination von Amylin oder Exendin-4 mit Leptin. Auch mit einem Inhibitor der 11-β-Hydroxysteroid-Dehydro­genase Typ 1, einem Enzym, das im Steroidstoffwechsel eine Rolle spielt, konnte eine Verbesserung des Stoffwechsels von Typ-2-Diabetikern gezeigt werden (Rosenstock J et al., Diabetes Care 2010). Der Effekt wurde aber als nicht ausreichend erachtet, und der Therapieansatz wird derzeit nur noch begrenzt weiterverfolgt. Mit Sirtuin-1-Aktivatoren (z. B. Resveratrol in Rotwein sowie der experimentelle Wirkstoff SRT1720) hofft man sogar, die Zellalterung verlangsamen zu können.
Mit Aleglitazar befindet sich derzeit ein kombinierter PPAR-α/γ-Aktivator in Phase II des Entwicklungsprogramms, dessen Daten auf ein günstiges Wirksamkeits- und Sicherheitsprofil hindeuten (Henry R et al., Lancet 2009). Daneben laufen erste Studien zu selektiven PPARγ-Modulatoren (Dunn FL et al., J Diabetes Complications 2011).


Fazit: Die Pipeline der forschenden pharmazeutischen Industrie auf dem Gebiet des Diabetes ist gefüllt. Unterschiedliche neue Wirkmechanismen zielen auf die Verringerung der Fettmasse und eine verbesserte Stoffwechselkontrolle.

Abstracts und ausgewählte Webcasts sind auf den Internetseiten der EASD einsehbar.

Die nächste Jahrestagung findet vom 23. bis 27. September 2013 in Barcelona, Spanien, statt.