In der SHIFT-Studie konnte der Sinusknoteninhibitor Ivabradin als selektiv Herzfrequenz- senkendes Medikament bei Patienten mit Herzinsuffizienz und einer Herzfrequenz > 70 Schlägen pro Minute (pbm) Krankenhauseinweisungen infolge einer Verschlechterung der Erkrankung um 26 % verringern (HR 0,74; p < 0,0001). Am ESC präsentierte neue Subgruppenauswertungen zeigen, dass Ivabradin die Linksventrikelfunktion verbessert, das Schlagvolumen erhöht und die Lebensqualität der Patienten verbessert, womit zwei Therapieziele bei Herzinsuffizienz erfüllt wären: das Verhindern des Fortschreitens der Erkrankung (Mortalität, Hospitalisierungen, Verschlechterung der Linksventrikelfunktion) und eine Symptomerleichterung. In der SHIFTStudie standen 90 % der Patienten gleichzeitig unter Betablockertherapie (26 % nahmen die volle Zieldosis täglich, 56 % erreichten zumindest 50 % der Zieldosis).
In der Debatte der beiden Vortragenden haben sich folgende Aspekte zur Herzfrequenz bei Patienten mit Herzinsuffizienz herauskristallisiert:
● Hohe Herzfrequenz: Risikofaktor für Mortalität und kardiovaskuläre Ereignisse, bleibt bei vielen Patienten trotz Beta – blockertherapie hoch.1, 2
● In etlichen großen Betablockerstudien war die Ausgangs-Herzfrequenz vergleichbar mit der Ausgangs-Herzfrequenz der SHIFT-Studie (CIBIS II: 80 pbm; MERITHF: 83 pbm; COPERNICUS 83 pbm; Seniors 79 pbm).
● Mit Betablocker: Senkung der Morbidität und Mortalität über die erwarteten Effekte der RAAS-Hemmung hinaus (US Carvedilol Programm 1996, CIBIS II 1999, MERIT- HF 1999, COPERNICUS 2001); wesentlicher weiterer Effekt: Reversion des linksventrikulären Remodellings (möglicherweise ausgeprägter bei Patienten mit hoher Ausgangsherzfrequenz und je stärker die Herzfrequenz gesenkt wird, Dosiseffekt).
● Mit Ivabradin in der SHIFT-Studie bei Patienten mit Herzfrequenz-Ausgangswerten von 80 Schlägen pro Minute unter Beta – blockertherapie: Reduktion der Herzfrequenz um durchschnittlich 15 Schläge pro Minute, Reduktion der kardiovaskulären Mortalität und insbesondere von Herzinsuffizienz- bedingten Krankenhauseinweisungen (primärer Endpunkt) je niedriger die Herzfrequenz, desto geringer das Risiko für ein Ereignis; darüber hinaus Verbesserung der Linksventrikelfunktion und mehr Lebensqualität.
● Betablocker reduzieren den plötzlichen Herztod, Ivabradin scheint darauf als Add-on-Therapie keinen Einfluss zu haben (SHIFT-Studie).
● Reduktion der Herzfrequenz ist der entscheidende Faktor, während die Betablo – ckerzieldosis nicht immer zu erreichen ist (CIBIS-Elderly).
● Metaregressionsanalyse von McAlister3: Die Reduktion der Herzruhefrequenz durch Betablocker hat einen signifikanten Einfluss auf die Mortalität – jede Reduk tion um 5 pbm/min durch Beta – blocker war mit einer Mortalitätsreduk tion um 18 % assoziiert (p = 0,006).
● In der gleichen Metaanalyse hatte die Betablockerdosis (> 50 % der empfohlenen Dosis oder weniger) keinen signifikanten Einfluss auf die Mortalität.
● Wahl des Betablockers möglicherweise entscheidender als die Reduktion der Herzfrequenz: In der COMET-Studie konnte der Mortalitätsunterschied zwischen Carvedilol und Metoprolol nicht mit einer unterschiedlich gesenkten Herzfrequenz erklärt werden.4
● Dosis-Wirkungs-Studie mit Carvedilol (MOCHA): Dosis-Wirkungs-Beziehung in Hinsicht auf die linksventrikuläre Auswurffraktion, aber keine lineare Beziehung zwischen Betablockerdosis und Senkung der Herzfrequenz.5
* ESC 2001, Controversial issues in heart failure: „High heart rate: maximise beta-blockers rather than add Ivabradine“, Pro: Henry Krum, Contra: Karl Swedberg
1 Swedberg K. et al., Lancet 2010; 376:875-85
2 Böhm M. et al., Lancet 2010; 376:886-94
3 McAlister F.A. et al., Ann Intern Med 2009; 150:784-794
4 Metra M. et al., European Heart Journal 2005; 26:2259-2268
5 Bristow R. et al., Circulation 1996; 94:2807-2816
INTERVIEW
UNIVERSUM INNERE MEDIZIN: Ein Argument für den frühen Einsatz von Ivabradin besteht darin, dass Betablockerdosis und Herzfrequenzsenkung nicht immer in einer linearen Beziehung stehen, d. h. es ist nicht automatisch gesagt, dass eine höhere Betablocker-Dosis mit einer stärkeren Frequenzsenkung einhergeht?
Univ.-Doz. Dr. Martin Hülsmann: Es gibt keine völlig stringente Dosis-Wirkungs-Beziehung beim Betablocker. Dies ist ein Argument, um zu sagen, dass man nicht 100 % der empfohlenen Dosis erreichen muss. Es gibt durchaus individuelle Dosierungen dahingehend, dass einzelne Patienten besser auf die Therapie ansprechen. Allerdings lässt sich die Herzfrequenz doch als sehr guter Surrogatparameter für die Wirkung der Therapie heranziehen. Das heißt wenn jemand als Beispiel Metoprolol 47,5 mg erreicht und nicht die empfohlene Dosis von 190 mg, mit dieser Dosis aber bei einer Frequenz von 60 Schlägen pro Minute angekommen ist, dann ist die individuelle Maximaldosis erreicht. Gleichzeitig stärkt das nur bedingt den früheren Einsatz von Ivabradin: Erstens weil man zu einer frequenzorientierten Betablocker-Dosierung angehalten ist, und zweitens weil die Zielfrequenz bei vielen Patienten auch erreicht wird. Für unsere Abteilung lässt sich festhalten, dass etwa 80 % der Patienten über 50 % der empfohlenen Dosis erhalten, was im Vergleich zur SHIFT-Studie ein weit besserer Prozentsatz ist. Aus dem Gesagten ergibt sich aber auch, dass aufgrund der vorgegebenen Einschlusskriterien (Herzfrequenz von > 70 Schläge pro Minute) in der in der SHIFT-Studie noch ein therapeutisches Fenster für Betablocker bestand.
In der Sitzung ist überspitzt durchgeklungen, wozu man den Betablocker in nebenwirkungsreicher Dosierung benötigt, wenn man die Frequenz auch selektiv senken kann?
Die Nebenwirkungen des Betablockers werden übertrieben dargestellt. So ist die COPD zumindest beim _1-selektiven BB keine KI mehr. Auf jden Fall steht das Nutzen-Risiko-Verhältnis eindeutig auf Seiten des BB. Auch der Blutdruck ist bei sorgsamer Titration kein relevantes Problem. Darüber hinaus sind Betablocker nicht allein frequenzsenkend. Letztlich verkürzt die alleinige Sicht auf die Herzfrequenz – auch wenn diese wesentlich ist – die Pathophysiologie der Erkrankung. In dem Kontext ist auch die Tatsache zu berücksichtigen, dass Ivabradin nur bei Patienten im Sinusrhythmus frequenzsenkend wirkt, Die eigene Praxis zeigt, dass etwa 20 % der Patienten trotz maximaler Betablockerdosis und Sinusrhythmus nicht die Zielfrequenz von 60 Schlägen pro Minute erreichen. Diese Patienten sind aus meiner Sicht das Fenster für Ivabradin. Ich denke nur, die Zeit der Blockbuster-Indikationen – eine Substanz für alle Patienten einer Indikation – ist vorbei. 20–30 % aller Patienten einer Indikation wie der Herzinsuffizienz sind allerdings immer noch erheblich. In Summe ist die Substanz daher eine wertvolle Ergänzung
In einzelnen Betablockerstudien war eine Senkung der Mortalität möglich, die meisten Studien datieren aber weit zurück – es war nicht jene Basistherapie verfügbar wie heute?
Die Basistherapie war sicher weniger effizient, insofern ist es heute schwieriger, einen Überlebensvorteil darzustellen. Auf der anderen Seite kann man auch die Frage stellen, wie sinnvoll es ist, eine Substanz allen Patienten zukommen zu lassen, deren Basistherapie offenbar so gut ist, dass ein Überlebensvorteil dadurch nicht mehr zu erreichen ist. Vor diesem Hintergrund konzentrieren sich die Bemühungen heute vielmehr darauf, welche individuellen Patienten tatsächlich von einer zusätzlichen spezifischen Therapie profitieren.
Kommen pleiotrope Effekte in der Praxis zur Wirkung?
Beispielsweise zeigen Untersuchungen, dass bei vergleichbarer Frequenz jene Patienten, die einen Betablocker hatten, gegenüber Patienten ohne Betablocker eine niedrigere Ereignisrate haben. So gesehen muss eine weitere Wirkung vorhanden sein. Sicher lassen sich im Labor beobachtete pleiotrope Effekte nicht immer in die Klinik umsetzen, dass aber mit der Herunterregulation des sympathikoandrenergen Systems auch zusätzliche Effekte zur Wirkung kommen, ist schon aufgrund der Pathophysiologie nahe liegend. Die zentrale Rolle des Sympathikus bei der Vasokonstrik – tion, dem myokardialen Sauerstoffverbrauch, dem Glukosestoffwechsel und der Aktivierung der neurohumoralen Kaskade ist aus der Datenlage evident.