Der Terminus „chronische Migräne“ wurde erstmals in der zweiten Ausgabe der Internationalen Kopfschmerzklassifikation (ICHD-II) der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft (IHS) angeführt. Die diagnostischen Kriterien sehen für diese maximale Ausprägung einer Migräneerkrankung, die in der Klassifikation noch als „Migränekomplikation“ angeführt wird, vor, dass sie die Kriterien für eine Migräne ohne Aura erfüllen muss, dies an 15 oder mehr Tagen pro Monat für mindestens 3 Monate, ohne dass gleichzeitig ein Medikamentenübergebrauch besteht. Die Prävalenz der chronischen Migräne kann in der Gesamtbevölkerung in etwa mit 0,5 % eingeschätzt werden.
Da die regelmäßige Einnahme von Kopfschmerz-Akutmedikamenten an mehr als 10 Tagen pro Monat mit der Gefahr der Entstehung von Kopfschmerzen bei Medikamentenübergebrauch einhergeht, ist die zentrale Bedeutung effektiver vorbeugender Therapiemaßnahmen bei Patienten mit einer chronischen Migräne gegeben. Für die Prophylaxe der chronischen Migräne war bisher kein Medikament spezifisch zugelassen.
Die Einführung von Botulinumtoxin A in der Behandlung von Kopfschmerzen begann 1994. Die erste MEDLINE-Zitierung „Botulinumtoxin and Headache“ stammt von 1999, im Jahr darauf erfolgten die ersten Doppelblindstudien von Brin, Binder und Silberstein. Die ersten placebokontrollierten klinischen Studien wurden nahezu ausschließlich bei episodischer Migräne durchgeführt, wobei lediglich offene Studien positive Ergebnisse mit einer Ansprechrate zwischen 50 und 80 % zeigten. Durch Dodick und Mitarbeiter erfolgte 2004 die erste Studie an Patienten mit täglichen chronischen Kopfschmerzen, wobei in dieser Studie zwei Subgruppenanalysen durchgeführt wurden: Einerseits wurden Patienten evaluiert, die eine zusätzliche medikamentöse Prophylaxe hatten, in die zweite Subgruppenanalyse flossen andererseits jene ohne zusätzliche Prophylaxe ein. Überraschenderweise war in der Gruppe, in der keine zusätzliche Prophylaxe gegeben war, der Unterschied in der Anzahl der Tage mit Kopfschmerzen mit einem Delta von 3,3 statistisch signifikant. Letztendlich waren aber auch hier alle primären Endpunkte negativ.
Trotz negativer Studiendaten, vor allem in der Indikation der episodischen Migräne, hielt man am Behandlungskonzept von Botulinumtoxin Typ A in der Behandlung der chronischen Migräne fest. Zwischen Februar 2006 und August 2008 wurden nun zwei identische, multizentrische, doppelblinde placebokontrollierte Studien durchgeführt:
Die PREEMPT-1-Studie in 51 Zentren in den USA und Kanada und die PREEMPT-2-Studie in 66 Zentren in den USA, Deutschland, Kanada, Großbritannien, Kroatien und der Schweiz. Das Studiendesign sah eine 4-wöchige Baseline-Phase vor, auf die eine 24-wöchige doppelblinde, randomisierte, placebokontrollierte Parallelgruppenphase folgte. Die Patienten erhielten entweder zwei Behandlungen mit Onabotulinumtoxin A oder zwei Behandlungen mit Placebo. Anschließend folgte eine 32 Wochen andauernde offene Phase, in der die Patienten drei Behandlungen mit Onabotulinumtoxin A erhielten. Für das PREEMPT-Studienprogramm wurde eine Neudefinition der chronischen Migräne gewählt (Tab.). Die Patienten wurden stratifiziert nach mit oder ohne Medikamentenübergebrauch und in die Verum- oder in die Placebogruppe randomisiert. Die Definition des Medikamentenübergebrauchs erfolgte entsprechend den ICHD-II-Kriterien.
Als Hauptzielparameter in der PREEMPT-1-Studie wurde die Häufigkeit von Kopfschmerzepisoden innerhalb von 28 Tagen in den Wochen 21 bis 24 definiert. Sekundäre Wirksamkeitsparameter waren Häufigkeit der Kopfschmerztage, Häufigkeit der Migränetage, Häufigkeit der Akuteinnahme von Kopfschmerzmedikamenten sowie umfangreiche Daten zu kopfschmerzbedingten Behinderungen der Lebensqualität. Es muss jedoch bemängelt werden, dass während des Studienprogramms die Hauptzielparameter geändert wurden. So wurde nach Beendigung der PREEMPT-1-Studie jedoch noch unter laufendem PREEMPT-2-Studienprogramm der Hauptwirksamkeitsparameter von Häufigkeit der Kopfschmerzepisoden auf Häufigkeit der Kopfschmerztage geändert. Insgesamt wurden 1.384 Patienten in die beiden Studien aufgenommen, davon wurden 688 in die Verum- und 696 in die Placebogruppe randomisiert. Die Mehrzahl der Patienten (65,5 %) wurde in die Gruppe mit Medikamentenübergebrauch stratifiziert. Die Doppelblindphase schlossen 88,2 % der mit Botox und 90,4 % der mit Placebo behandelten Patienten ab, 72,6 % aller Patienten schlossen auch die offene Phase komplett ab. In jeder Behandlung erhielten die Patienten eine festgelegte Minimaldosis von 155 Einheiten Onabotulinumtoxin A an 31 festgelegten Injektionsorten mit festgelegter Dosierung an 7 spezifischen Kopf- und Halsmuskelbereichen (Abb.). Zusätzlich konnten die Prüfärzte bis zu 8 weitere Injektionen von Onabotulinumtoxin A oder Placebo bis zu einer maximalen Gesamtdosis von 195 Einheiten unter Nutzung eines „Follow the pain“-Paradigmas an 3 der spezifischen Kopf- und Nackenmuskelgebieten vornehmen.
Die Ergebnisse der PREEMPT-1 (Veränderung der Frequenz von Kopfschmerzepisoden zwischen Baseline und Woche 24) zeigte keinen signifikanten Unterschied. In den Subgruppenanalysen betreffend Veränderung der Kopfschmerztage und Veränderung der Migränetage konnten jeweils statistische Signifikanzen erreicht werden. Der primäre Hauptzielparameter in der PREEMPT-2-Studie (Reduktion der Kopfschmerztage) erreichte statistische signifikante Endwerte.
Die gepoolten Daten der beiden PREEMPT-Studien zeigten eine im Vergleich zu Placebo signifikante Reduktion des Zielparameters Kopfschmerztage pro Monat. Im Schnitt nahm die Kopfschmerzhäufigkeit unter Onabotulinumtoxin A um 8,4 Tage im Monat ab, im Vergleich zu 6,6 Tagen unter Placebo. Signifikant verbesserten sich im Placebovergleich auch die folgenden Parameter: Häufigkeit der Migräne, wahrscheinliche Migränetage, Häufigkeit der mittelstarken/starken Kopfschmerztage, Anzahl der kumulativen Kopfschmerzstunden und die Anzahl der Patienten mit schweren HIT-6-Kategorie-Scores. Lediglich die Zahl der eingenommenen Kopfschmerzakutmittel veränderte sich nicht signifikant, wenn auch die Zahl der Triptaneinnahmen signifikant sank.
In weiteren Subgruppenanalysen dieser beiden Studien konnte ebenso festgehalten werden, dass kein Unterschied zwischen den Patientengruppen mit oder ohne Medikamentenübergebrauch bestand. Die Sicherheit und Verträglichkeit von Onabotulinumtoxin A im PREEMPT-Studienprogramm entsprach den bekannten Sicherheits- und Verträglichkeitsprofilen der Substanz bei multiplen intramuskulären Injektionen.
Der Wirkmechanismus von Onabotulinumtoxin A ist letztlich nicht restlos geklärt. Botulinumtoxin Typ A ist ein Proteinkomplex, der vom Bakterium Clostridium botulinum gebildet wird. Es besteht aus einem Typ-A-Neurotoxin und verschiedenen weiteren Proteinen. Die erklärte Wirkung von Botulinumtoxin Typ A erfolgt durch Blockade der Azetylcholinfreisetzung an präsynaptischen cholinergen Nervenendigungen. Jedoch konnte eine direkte analgetische Wirkung von Botulinumtoxin Typ A weder in tier- noch in humanexperimentellen Studien gezeigt werden. Präklinische Studien belegen jedoch, dass Botulinumtoxin Typ A zusätzlich die periphere Freisetzung von inflammatorischen Neuropeptiden und Neurotransmittern, die in die Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerzen und Entzündungen involviert sind. Diese schließen Glutamat, Substanz P, CGRP (Gene-Related Peptide) und Neurocommun A ein.
In der Behandlung der chronischen Migräne steht nun somit eine effiziente, lokal zu applizierende Substanz zur Verfügung. Die Studienergebnisse zeigten, dass die Behandlung mit Onabotulinumtoxin Typ A im Vergleich zu Placebo eine signifikante Verbesserung zeigte. Onabotulinumtoxin Typ A sollte in der Indikation der Behandlung der chronischen Migräne ausschließlich durch einen Facharzt für Neurologie appliziert werden. Die im PREEMPT-Studienprogramm vorgegebenen Injektionsstellen müssen eingehalten werden. Onabotulinumtoxin Typ A ist in der Indikationsbehandlung der chronischen Migräne in Österreich noch nicht zugelassen. Weiters muss darauf hingewiesen werden, dass zum jetzigen Zeitpunkt keine Erstattung möglich ist.