Case Report: Vakzininduzierteprothrombotische Immunthrombozytopenie

Im März 2021 traten in einigen Ländern nach Impfungen mit dem ChAdOx1-nCoV-19-Vakzin (AstraZeneca) Fälle von Thrombosen – einschließlich Thrombosen an ungewöhnlichen Stellen (Hirnvenenthrombose oder Thrombose venöser splanchnischer Gefäße) – und Thrombozytopenien auf. Dieses Phänomen wird im Fachjargon als VIPIT (vakzininduzierte prothrombotische Immunthrombozytopenie) oder vakzininduzierte thrombotische Thrombopenie (VITT) bezeichnet. Eine sofortige entsprechende Behandlung ist dringend erforderlich. Ein Ärzte-Team der Universitätsklinik für Innere Medizin I, Klinische Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie, der Medizinischen Universität Wien konnte nun einen derartigen akuten Fall erfolgreich behandeln. Die neuen Erkenntnisse wurden zudem im Journal of Thrombosis and Haemostasis publiziert. Dabei werden einerseits die aktuellen Behandlungsempfehlungen unterstützt, es wird aber andererseits auch darauf hingewiesen, dass zur Vermeidung einer lebensbedrohlichen Thrombose eine frühzeitige Diagnose und eine unverzügliche Einleitung der Behandlung notwendig sind.

 

 

Case Report

Anamnese: Eine 62-jährige Frau in einem guten Allgemeinzustand entwickelte am Tag nach einer Impfung mit dem Vakzin ChAdOx1 nCOV-19 grippeähnliche Symptome wie Gelenkschmerzen, mäßige Kopfschmerzen und mäßigen Schwindel. Sie nahm 1 g Paracetamol ein, war afebril, verbrachte aber den ganzen Tag zu Hause, die meiste Zeit davon im Bett (Tag 1). Am nächsten Tag fühlte sie sich deutlich besser und nahm 400 mg Aspirin ein (Tag 2). An den Tagen 3 und 4 fühlte sie sich vollkommen erholt und fuhr am Tag 4 auf Urlaub. Am Abend von Tag 5 entwickelte sie Schüttelfrost und hohes Fieber (39,8 °C), woraufhin sie 400 mg Aspirin einnahm. Am nächsten Morgen nahm sie erneut 400 mg Aspirin ein, war afebril, fühlte sich viel besser und fuhr wieder zurück nach Hause (Tag 6). An den Tagen 7 und 8 war sie beschwerdefrei. Am Abend des 8. Tages entwickelte sie ein ungewöhnliches Hämatom an der Lippe. Sie bemerkte zudem Blutungen am Zahnfleisch. Am Morgen von Tag 9 registrierte sie ein atraumatisches Hämatom am rechten Knöchel und begab sich zur weiteren Abklärung in die Notfallaufnahme. In der Krankengeschichte fand sich eine substituierte Hypothyreose mit ungeklärter Genese seit dem 20. Lebensjahr, zwei komplikationsfreie vaginale Geburten, keine anderen Vorerkrankungen, keine vorangegangenen Operationen. Die venöse Blutgasanalyse war völlig normal, ein SARS-CoV-2-PCR-Test war negativ. In der klinischen Untersuchung waren kleine Hämatome und Petechien der Gliedmaßen erkennbar. Der D-Dimer-Schnelltest war positiv. Bei Verdacht auf Vorliegen einer VIPIT wurde die Patientin zur weiteren Behandlung auf die hämatologische Station verlegt.

Diagnose: Im CT-Scan (zerebral, Thorax, Abdomen) zeigten sich keine Pathologien, insbesondere keine Anzeichen einer venösen oder arteriellen Thrombose. Das Blutbild ergab eine isolierte Thrombozytopenie (normales Differenzialblutbild, keine Fragmentozyten). Das D-Dimer war stark erhöht, Fibrinogen war niedrig; die globalen Tests der plasmatischen Gerinnung (PTZ, aPTT) lagen im Normbereich. Der Anti-PF4/Heparin-IgG-Enzym-Immunoassay (ZYMUTEST™ HIA IgG, HYPHEN Biomed), war hochpositiv.

Therapie und Verlauf: Aufgrund der Blutungszeichen bei Thrombopenie (Thrombozyten: 26 G/l) und Hypofibrinogenämie (Fibrinogen: 84 mg/dl) sowie der Einnahme von Aspirin wurde ein niedrig dosiertes Fibrinogenkonzentrat verabreicht (1 g Fibryga®, Octapharma, am Tag 1 und Tag 2 der Hospitalisierung). Weiters wurde eine HIT-kompatible Antikoagulation (d. h. Vermeidung von Heparinen) mit kurzwirksamem Danaparoid begonnen (Orgaran®, Mylan; 750 IE i. v. Bolus plus 1.500 IE s. c., gefolgt von 1.500 IE s. c. alle 8 h). Die Antikoagulation mit Danaparoid wurde monitiert, um Anti-Xa-Talspiegel von circa 0,5 IU/ml zu erreichen (gemessen mit einer für Danaparoid geeichten Standardkurve). Zudem wurden an den Tagen eins und zwei der Hospitalisierung hochdosierte intravenöse Immunglobuline (Intratect®, Biotest; 1 g/kg) und Prednisolon (0,75 mg/kg)verabreicht. Sowohl die Laborparameter als auch die klinischen Blutungsanzeichen wurden engmaschig monitiert. Bereits 4 Stunden nach Therapieinitiierung zeigte sich ein starkes Absinken von D-Dimer, welches sich in den folgenden Tagen fortsetzte. Umgekehrt stiegen die Thrombozytenzahl und Fibrinogen stetig an und erreichten am 4. Tag des Krankenhausaufenthalts normale Werte. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Antikoagulation auf orales Apixaban 5 mg zweimal täglich umgestellt. Die einzigen Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen nach der zweiten Verabreichung von hochdosiertem IVIG (Tag 2 der Hospitalisation, Tag 10 nach der Impfung). In der am selben Tag durchgeführten zerebralen MRT waren keine Anzeichen von Thrombosen und Blutungen erkennbar. Die Kopfschmerzen verschwanden in den folgenden Tagen. Am 6. Tag des Krankenhausaufenthaltes konnte die Patientin in sehr gutem Allgemeinzustand entlassen werden. Eine ambulante Nachsorge erfolgte 5 Tage später, alle Laborwerte lagen im Normbereich, und die Patientin befand sich in gutem Allgemeinzustand.

 

INFOKASTEN
Dieser Case Report wurde rezent im Fachmagazin Journal of Thrombosis and Haemostasis veröffentlicht und nach Rücksprache mit den Autoren in dieser Ausgabe von UNIVERSUM INNERE MEDIZIN für Sie redaktionell aufgearbeitet.

Service: J Thromb Haemost 2021; DOI: 10.1111/jth.15346. Online ahead of print.

„Successful treatment of vaccine-induced prothrombotic immune thrombocytopenia (VIPIT)“,
Thaler J, Ay C, Gleixner KV, Hauswirth AW, Cacioppo F, Grafeneder J, Quehenberger P, Pabinger I, Knöbl P

 

 

 

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